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Schwieriges Pflaster

Professor aus Österreich will Tribsees wachküssen

Tribsees / Lesedauer: 4 min

Ein Kunstprofessor aus Linz in Österreich will den Ort Tribsses in Vorpommern aus seinem „Dornröschenschlaf” befreien. Ob die Bewohner da mitmachen?
Veröffentlicht:08.10.2020, 19:49
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Die Kleinstadt Tribsees mit ihren 2500 Einwohnern liegt inmitten der vorpommerschen Provinz. Viel ist nicht los – wenn man mal von dem weltberühmten Loch absieht, das sich im Herbst 2017 auf der nahen Autobahn 20 aufgetan hat. Längst ist das Loch zu, der Verkehr rollt auf einer Behelfsbrücke. Wie viele andere Kommunen in Mecklenburg-Vorpommern hat Tribsees keine echte Perspektive, die Einwohner arbeiten meist in Rostock oder Stralsund. Seit 1990 ging rund ein Drittel der Einwohner durch Abwanderung verloren.

Professor sieht Ort nur im Dornröschenschlaf

„Tribsees liegt quasi im Dornröschenschlaf“, sagt Stadtplaner Ton Matton, Professor für Raum- und Designstrategien an der Kunstuniversität im österreichischen Linz. Mit dem einjährigen Projekt „Tribsees' Zukunft machen“, das am Samstag startet, will er Aufbruchsstimmung erzeugen. „Am Ende soll eine lebendigere Stadt mit zuversichtlichen Menschen stehen.“ Er möchte die Bewohner motivieren, sich noch stärker für ihre Stadt einzusetzen und sie mit neuem Leben zu füllen. Matton, der als Planungszentrum eines der vielen leeren Häuser „besetzt“ hat, weiß um die Größe des Projekts, aber bange machen gilt nicht.

Er hat in den vergangenen Jahren schon vier ähnliche Projekte in Deutschland gestartet, eines davon 2012/13 in Wittenburg (Kreis Ludwigslust-Parchim). „Es ist bisher immer ein neuer Energielevel in den Gemeinden entstanden, die Leute wurden selbstbewusster.“

„Früher gab es mal Versprechungen”

Der 59 Jahre alte Michael Krüger macht auf jeden Fall mit. Er hat viele Ehrenämter, ist der Leiter der Feuerwehr-Jugendkapelle, ist im Heimatverein oder der Kirche engagiert. „Früher gab es mal Versprechungen zu einem großen Gewerbegebiet“, sagt Krüger. Doch das hat sich alles zerschlagen, jetzt gebe es viele alte und leerstehende Häuser. „Es soll wieder mehr Leben rein kommen.“

Ein Spaziergang durch die historische Altstadt mit ihren rund 300 Gebäuden macht deutlich, wo es in Tribsees im Argen liegt. Mehr als ein Drittel der Häuser stehen leer, sind im schlechten baulichen Zustand oder schlicht völlig ruinös, sagt die für Bau und Ordnung zuständige Leiterin des Amtes Recknitz-Trebeltal, Stefanie Timm. Frühere Eigentümer hätten sie einfach aufgegeben. Für die Stadt gebe es kaum Zugriffsmöglichkeiten.

„Zu jedem kaputten Haus eine traurige Geschichte”

„Zu jedem kaputten Haus gibt es eine traurige Geschichte“, sagt Matton. Es sei sein Ziel, dass es am Ende des Projekts zu jedem dieser Häuser eine neue und gute Geschichte geben wird.

Die Macher des Projekts sind sich einig, dass in Tribsees ein riesiges Potenzial liegt. Das macht der Spaziergang durch die meist schön restaurierte Altstadt klar. „Seit 1991 sind rund 20 Millionen Euro in die Sanierung der Altstadt geflossen“, sagt Timm. Tribsees galt einst als Modellstadt der Städtebauförderung. Alle 15 Straßen wurden erschlossen – teilweise mit historischen Pflastersteinen, die für einen hohen Lärmpegel in der zentralen Karl-Marx-Straße sorgen.

Chorsingen gegen den Verfall

Die Karl-Marx-Straße wird am Samstag im Mittelpunkt des Projektstarts liegen. In einer „Regenschirm-Umfrage“, die Schirme sind das Behältnis für die Postkarten, können die Einwohner ihre Wünsche über ihr künftiges Tribsees äußern. Der nächste Schritt kommt dann am 1. Adventswochenende. Mit Hilfe von Studenten der Uni Linz werden ebenfalls in der Karl-Marx-Straße die Wünsche in einer Lichtwerbung visualisiert. „Dann wird die Straße aussehen wie Las Vegas“, hofft Matton. Ab März sollen die Wünsche in den leeren Häusern umgesetzt werden. Dann soll es ein Café, Kino, Tanzhaus, Hotel oder Restaurant geben.

Für die emotionale Unterstützung des Projekts ist die Berliner Künstlerin Bernadette la Hengst zuständig. Sie verfügt laut Matton im übertragenen Sinne über einen „Starkstromanschluss“. Sie hat schon einige Einwohner von Tribsees für einen Chor um sich gesammelt. „Ich komme nicht mit einem fertigen Lied“, sagt sie. Text und Musik entstehen ganz neu. Die Leute singen ihre eigenen Visionen. „Ich möchte, dass ein Lied entsteht aus den Wünschen und Biografien der Bewohner“, sagt la Hengst. Zum ersten Mal soll der Chor auch am 1. Advent auftreten.