Streit um Jugendherbergen
Rügener Hotelier attackiert Schwesig
Schwerin / Lesedauer: 4 min
Die Ausgangssituation ist klar: Jugendherbergen werden als gemeinnützig anerkannt und müssen weder Körperschaftssteuer noch Gewerbesteuern zahlen. Auch im Umsatzsteuergesetz werden sie von der Steuer ausgenommen. Für Gerd Marthiens, Geschäftsführer des Internationalen Jugenddorfes Wittow auf der Insel Rügen, sind damit die Jugendherbergen im Vergleich zu privaten Anbietern beim Kampf um Gäste deutlich und unberechtigterweise im Vorteil.
Doch damit nicht genug – nachdem das SPD-geführte Bildungsministerium in Schwerin Ende 2018 per Pressemitteilung angekündigt hatte, für alle allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in Mecklenburg-Vorpommern die Beiträge im DJH zu übernehmen und damit günstige Übernachtungen und Aufenthalte in Jugendherbergen zu garantieren, griff Marthiens zur Feder und adressierte seinen Ärger direkt an Ministerpräsidentin Manuela Schwesig.
Der Brief, der dem Nordkurier vorliegt, hat es in sich. „Ich benenne dieses Verhalten ihres Ministeriums als Subventionierung eines Vereins aus Steuermitteln, die unter anderem auch durch nicht bevorteilte Beherbergungsunternehmen im Segment des Jugendtourismus erwirtschaftet werden müssen“.
Streit beschäftigt auch Europäische Kommission
Die staatliche Übernahme der Mitgliedsbeiträge stelle laut Marthiens einen enormen Marketingeffekt in den Schulen zugunsten des DJH dar. Dies führe zu einer „unlauteren Wettbewerbsverzerrung“. Für Marthiens folgt daraus die Frage, ob es Aufgabe von Politik und Verwaltung sei, dermaßen in den Markt einzugreifen?
Die Beantwortung dieser Frage beschäftigt seit Jahren auch die Europäische Kommission. Oliver Winter, Vorstandsvorsitzender der A&O Hotels and Hostels AG, deren Angebote im ähnlichen Preissegment wie Jugendherbergen liegen und Jugendliche und insbesondere Klassenfahrten ansprechen, ist bereits im Jahr 2014 mit einer Beschwerde bei der EU-Wettbewerbskommission gegen die Subventionierung von Jugendherbergen vorgegangen – musste dabei aber teilweise eine Niederlage einstecken.
Steuerprivilegien rechtens
Die Kommission entschied 2015, dass die Steuerprivilegien rechtens sind – allerdings aus dem eher formalen Grund, dass gesetzlich geregelte Steuervorteile, die aus der Zeit vor den Römischen Verträgen von 1957 stammen, von der EU nicht angetastet werden dürfen. Jugendherbergen sind in Deutschland bereits seit 1920 von der Mehrwertsteuer befreit. Winter hat sich mit dieser Begründung aus Brüssel nicht abspeisen lassen und klagt vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Europäische Kommission und die Bundesrepublik Deutschland als Streithelferin. Ein Prozessende ist aufgrund der Komplexität der Angelegenheit noch weit entfernt.
Mit den Vorwürfen der privaten Anbieter konfrontiert, macht Andreas Timm, Pressesprecher von Manuela Schwesig, deutlich: „Wir halten die im Brief geäußerte Kritik für falsch. Die Entscheidung des Bildungsministeriums zielt darauf ab, Schulen die Mitgliedschaft im gemeinnützigen Jugendherbergswerk zu erleichtern. Selbstverständlich können Schulen für Klassenfahrten aber auch weiterhin kommerzielle Anbieter wie die Einrichtung des Briefeschreibers nutzen.“
Timm weiß um den „sensiblen Dauerkonflikt“ zwischen Deutschem Jugendherbergswerk und privaten Anbietern und kündigt an, dass eine Beantwortung des Briefes von Gerd Marthiens in Arbeit sei. Zumal der Geschäftsführer des Internationalen Jugenddorfes Wittow noch weitere Vorwürfe in Richtung Ministerpräsidentin geäußert hat. Die Nähe von Politik und Verwaltung zu einem wirtschaftlich verdeckt agierenden Verein wie dem Jugendherbergswerk sei bedenklich.
Ein Fall von Lobbyismus?
Marthiens fragt, ob dies eine Form von Lobbyismus sei? Fakt ist, dass es personelle Verquickungen zwischen Politik und DJH gibt – auch in Mecklenburg-Vorpommern. Die Jahresberichte des hiesigen Landesverbandes werden regelmäßig von Grußworten der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig beziehungsweise ihres Vorgängers Erwin Sellering geziert. Auch Sylvia Bretschneider (SPD), Landtagspräsidentin in MV, lobt und preist in ihren Grußworten die Vorzüge der Jugendherbergen.
„Das sind ganz normale Grußworte der Ministerpräsidenten. Ich kann da nichts Vorwerfbares erkennen“, reagiert Andreas Timm gelassen auf die Vorwürfe. Auch das Bildungsministerium weist die Lobbyismus-Kritik zurück.
Fakt ist, dass aktuell mit Kerstin Kassner, Bundestagsabgeordnete der Linken, und Bernd Fischer, Chef des MV-Tourismusverbandes, zwei exzellente Netzwerker in Politik und Tourismus Mitglieder im Verwaltungsrat des DJH-Landesverbandes MV sind. Bis zum vergangenen Jahr saß mit Ralf Mucha auch ein SPD-Landtagsabgeordneter im Verwaltungsrat. Für die größte Oppositionspartei im Schweriner Landtag, die AfD, ist die Bevorteilung des DJH untragbar. Die Ministerpräsidentin höchst selbst betreibt eine steuergeldfinanzierte Wettbewerbsverzerrung erster Güte. Es müssen die gleichen Regeln für alle gelten“, fordert Thomas Fernandes von der AfD.