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Rekord

Till Backhaus ist "ältester" Minister Deutschlands

Schwerin / Lesedauer: 6 min

Er hat einen westdeutschen Rentner geboxt, einen Krieg auf Rügen und einen Rosenkrieg geführt: Minister Till Backhaus feiert sein 20-jähriges Thronjubiläum.
Veröffentlicht:03.11.2018, 07:00

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Eigentlich sollte man ihn selbst unter Schutz stellen: Till Backhaus ist die knorrige Eiche unter den biegsamen Pappeln und der robuste Trecker unter den stromlinienförmigen Polit-Porsches um ihn herum. Till Backhaus ist ein Typ. Im Vergleich zu ihm wirken andere aus dem Schweriner Kabinett wie brav gescheitelte Mädels und Jungen, die immer nur Einsen nach Hause bringen. Till balgt sich lieber. Manchmal gibt sein Verhalten dabei aber auch Anlass zur Sorge.

Gefühlt ist der Mann mit der einprägsamen Stimme seit Christi Geburt mecklenburg-vorpommerscher Agrar- und Umweltminister. In diesen Tagen feiert der Sozialdemokrat 20-jähriges Thronjubiläum, er ist aber schon länger dienstältester Minister Deutschlands. Vermutlich trifft das sogar auf ganz Europa – Blödsinn! – viel eher auf den ganzen Kosmos zu. Der Mann ist einmalig, das bestreiten nicht mal seine zahlreichen politischen Gegner. Und man weiß nicht, wo anfangen, wo aufhören, zu groß ist der Fundus, aus dem man sich da bedienen kann.

Backhaus sorgte für allerhand Geschichten

Als ich seinerzeit nach Schwerin als Korrespondent kam, war Backhaus natürlich schon lange da. Damals bat ich um ein Gespräch mit ihm, in lockerer Atmosphäre, zum Kennenlernen. Und ich lernte ihn kennen: Backhaus lud zum Termin zu einer Zeit, die für Journalisten eigentlich gar nicht existiert: Früh um halb acht tanzte ich an und dann kam das, was auch alle anderen Kollegen fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Der Minister hub an, redete, redete weiter und redete eine Stunde später immer noch. Und das ist nur seine kleinste Übung.

Später rief er manchmal an und nieste mich zusammen. Dann war die Sache gegessen und er kam nie wieder darauf zurück. Nachtragend ist der Mann jedenfalls nicht. Dennoch sollen seine Zornesausbrüche im Ministerium ebenso legendär und berüchtigt sein wie sein Durchhaltevermögen von morgens früh bis spät abends. Allein in den vergangenen zehn Jahren haben sich unter Backhaus ein halbes Dutzend Pressesprecher abgewechselt.

Ihr Job war es auch, die Eskapaden des Ministers irgendwie zu erklären. Sei es der westdeutsche Rentner, den der Minister auf die Nase boxte, weil der beim Familienausflug beinahe seinen Sprössling angefahren hatte. Sei es der legendäre Rosenkrieg mit seiner Ex, bei dem es auch um einen angeblich geschenkten und dann wiedergeholten Trecker ging. Sei es seine Hochzeit mit einer ehemaligen Schönheitskönigin „Miss Ostdeutschland“. Oder die Plagiatsvorwürfe im Zusammenhang mit seiner Doktorarbeit. Da war nichts Justiziables dran, so eine Expertenkommission später. Aber gleichzeitig wurde dem studierten Agraringenieur bescheinigt, dass seine Dissertation nicht gerade eben, nun ja, hm, äh, zu den besten gehörte. Also eher im Gegenteil.

Vor dem Fronteinsatz hat er sich nie gedrückt

Der Mann mit dem Thronjubiläum war eigentlich mal Kronprinz. Vor 13, 14 Jahren durfte dieser Terminus in keinem Artikel fehlen. Backhaus war damals sogar Chef der Landes-SPD und stand in den Startlöchern, um irgendwann mal Harald Ringstorff als Ministerpräsident zu folgen. Dann kam die Vogelgrippe auf Rügen. Backhaus rückte unter Vollschutz und mit Panzern der Bundeswehr auf der Ferieninsel ein und hämmerte den unvergessenen Satz in den blutroten Himmel: „Jeder Stall, aus dem auch nur ein einziger Vogelkopf herausguckt, wird jetzt von den Keulkommandos besucht. Das garantiere ich!“ Gedacht war das als Warnung an alle Geflügelhalter, die die Aufstallpflicht unterlaufen. Danach war der Mitbegründer der MV-SPD nicht mehr Kronprinz. Stattdessen kam der staatstragende Wessi Sellering, der sich besser im Polit-Sprech auskannte.

Gefechte hat Backhaus viele ausgetragen, vor einem Fronteinsatz hat er sich noch nie gedrückt. Die Wahrheit ist aber: Meistens musste er die Waffen strecken. Oder wollte er sogar? Gerne hat sich Backhaus in den letzten Jahren einen blassgrünen Anstrich verpasst, doch passiert ist da wenig. Das liegt schon in der Natur der Sache: Seit 2006 heißt sein Ressort nämlich Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt. Bis dahin war der Umweltschutz Sache eines eigenständigen Ministeriums. Dreimal darf man raten, wer im Agrarland Mecklenburg-Vorpommern seit 2006 immer wieder den Krieg gewinnt. Völlig baden gegangen ist Backhaus beispielsweise mit seinem geplanten Agrarstrukturgesetz, mit dem der Erwerb von Acker durch Konzerne eingeschränkt werden sollte.

Kaum hatte der Minister einmal laut gehustet, war der Bauernverband verschnupft. Kurze Zeit später war das Gesetz in der Versenkung verschwunden. Ähnlich ging es dem Minister, der in Tierheimen so gerne Katzen streichelt, mit einem Klagerecht für ausgesuchte Tierschutzverbände, das es bis heute nicht gibt. Backhaus war mit der Ankündigung einsam und allein nach vorne vorgeprescht. Diesmal war der Koalitionspartner CDU sauer und der damalige Regierungschef Sellering musste seinen eigenen SPD-Minister öffentlich zurückpfeifen.

In Sachen Antibiotika agierte Backhaus etwas geschickter: Zwar brachte er groß angelegte Untersuchungen zum Einsatz in der Tierhaltung auf den Weg und versprach, sich für eine Reduzierung einzusetzen. Aber man konnte ihn löchern wie man wollte: Wie viel weniger es nun genau sein sollte, sagte der Minister nicht. Auch auf eine Landes-Wolfsverordnung, wie von ihm ins Gespräch gebracht, wartet man bis heute. Jedenfalls diejenigen, die sich davon etwas versprechen.

Aktuell im besten Politiker-Alter

Am liebsten sieht sich der 59-Jährige nach eigenem Bekunden „an der Spitze der Bewegung“. Wenn er da dummerweise gerade mal nicht ist, ist Berlin schuld. Dabei kommt dem Fuchs ein äußerst glücklicher Umstand zu Gute: Die meisten Bundeslandwirtschaftsminister, die Backhaus politisch überlebt hat, wurden von der Union gestellt. Wahlweise ist aber auch Brüssel schuld. Gerade kämpft er einen Kampf um die Neuausrichtung der EU-Agrar-Förderpolitik. Die nämlich müsse mehr auf den Natur- und Umweltschutz ausgerichtet werden, fordert er und macht sich wieder Feinde.

Anlass ist auch die Dürre-Katastrophe dieses Sommers, in der der Minister von Feld zu Feld, von Acker zu Acker stiefelte, eigenäugig einen Brand entdeckte und die Feuerwehr durchs Gelände lotste.
Zu entnehmen war das Heldenepos einer Pressemitteilung seines Ministeriums. Doch zurück zur EU: Extreme Witterungsereignisse wie die Trockenheit in diesem Jahr oder die Überflutungen von 2017 würden immer häufiger werden, mahnt der Minister. Der Ausgleich der Schäden überfordere Landwirte und Gesellschaft. Dann kommt auch noch der teure Brexit hinzu, das britische Geld ist futsch. Backhausens Schlussfolgerung: Direktzahlungen der EU müssen künftig konsequent an ökologische Leistungsziele gebunden werden. Das gefällt weder der Agrarlobby noch Brüssel. Mal sehen wie‘s ausgeht.

Und mal sehen, wie es mit Backhaus weitergeht. Mit seinen 59 Lenzen ist er noch im besten Politiker-Alter. In drei Jahren wird wieder gewählt. Schon bei der letzten Landtagswahl aber hörte man so manchen Genossen tuscheln: Seine Selbstherrlichkeit gehöre weg. Aber dann haben sie sich doch nicht getraut. Nicht auszudenken, was ein freidrehender einfacher Abgeordneter Backhaus in der Fraktion anrichten würde, wenn er die Kettensäge auspackt und an dem einen oder anderen Stuhl sägt. Schließlich ist der Mann ja auch noch Forstminister.