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Nord Stream 2

Wird die Ostsee zum Milliarden-Grab?

Lubmin / Lesedauer: 4 min

Kanzlerin Merkel bietet Präsident Putin im Fall Nalwalny die Stirn. Die Frage ist nur: Welchen Preis ist sie bereit, für einen harten Kurs gegen Russland zu zahlen?
Veröffentlicht:07.09.2020, 05:56

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Die osteuropäischen Verbündeten kritisieren das Projekt scharf, die USA attackieren es sogar mit Sanktionen: Seit Jahren kämpft die Bundesregierung gegen massiven Widerstand für Nord Stream 2, die umstrittene Gas-Pipeline durch die Ostsee zwischen Russland und Deutschland. Nur noch gut 150 Kilometer der insgesamt 2360 Kilometer langen Stränge der Pipeline fehlen. Doch jetzt, kurz vor der Ziellinie, steht die Unterstützung der Bundesregierung wegen der Vergiftung des russischen Kremlkritikers Alexej Nawalny auf der Kippe.

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Jedenfalls vermeidet es Kanzlerin Angela Merkel, nach dem Gift-Befund bei Russlands bekanntestem Oppositionellen das zu wiederholen, was noch vor zehn Tagen galt: „Wir wollen, dass das fertiggebaut wird, und dass die Frage Nawalny wie auch andere Fragen separat diskutiert werden müssen“, sagte sie da auf ihrer traditionellen Sommerpressekonferenz am 28. August.

Nord Stream 2 wackelt

Bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Vergiftungsbefund wich sie am 3. September der Frage nach der Zukunft von Nord Stream 2 aus. Und auch Regierungssprecher Steffen Seibert hielt sich tags darauf bedeckt. Das Projekt wackelt, und die Forderungen nach einem Stopp werden lauter – auch in Merkels eigener Partei.

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Bei einem Abbruch würden jedenfalls Milliarden-Investitionen – auch deutscher Unternehmen – buchstäblich in der Ostsee versenkt. Im Falle eines Baustopps müssten Investitionen in Höhe von acht Milliarden Euro abgeschrieben werden, sagt Timm Kehler, Vorstand von Zukunft Erdgas, einer Initiative der deutschen Gaswirtschaft. Weiterhin müssten die bereits aufgelaufenen Kosten für die Anbindungspipelines von vier Milliarden Euro von den Gaskunden gezahlt werden, ohne dass diese genutzt würden. Rund 120 Unternehmen aus zwölf europäischen Ländern seien direkt am Bau und Betrieb der Pipeline beteiligt.

Spielt Deutschland ein „doppeltes Spiel“?

„Ein Totalverlust beider Pipeline-Investitionen könnte für einzelne europäische Unternehmen zu Schäden in Milliardenhöhe führen und würde Arbeitsplätze vor allem in Ostdeutschland kosten“, sagt Hermes. Und Kehler ist sicher: „Bei einem Stopp werden die Gaspreise in der EU spürbar ansteigen, da das knappere Angebot die Preise nach oben treiben wird.“

Gas aus Russland ist auf dem Markt billiger als etwa Fracking-Gas aus den USA. Russland ist nach Angaben von Zukunft Erdgas der größte Importpartner der EU mit einem Anteil von rund 38 Prozent, danach folgt Norwegen mit rund 25 Prozent.

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Grundsätzlich wird Gas von der Bundesregierung als „Brückentechnologie“ gesehen. Denn bis Ende 2022 steigt Deutschland aus der Atomkraft aus und bis spätestens 2038 aus der Kohleverstromung, die ersten Blöcke gehen in den kommenden Jahren vom Netz. Der Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne aber stockt derzeit.

Dazu kommt: Die Gasförderung in der EU ist rückläufig. Um den Bedarf zu decken, seien „zuverlässige, wirtschaftliche und nachhaltige zusätzliche“ Gaslieferungen erforderlich, argumentiert die Nord Stream 2 AG. Das sehen auch viele in der Koalition in Berlin so.

Ein Ausstieg aus Nord Stream 2

Ein Ausstieg aus Nord Stream 2 wäre aber auch eine Zäsur für die politischen Beziehungen zu Russland. „Wenn es in den nächsten Tagen auf der russischen Seite keine Beiträge zur Aufklärung der Vorkommnisse um Nawalny gibt, werden wir mit unseren Partnern über eine Antwort beraten müssen“, machte Außenminister Maas die Dringlichkeit deutlich.

Die russische Administration hielt dagegen: „Wenn die Bundesregierung es mit ihren Erklärungen aufrichtig meint, dann muss sie selbst daran interessiert sein, möglichst kurzfristig das Rechtshilfeersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation zu beantworten. Übermittelt wurde dieses bereits am 27. August.

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Bislang gibt es keine Gewissheit, dass Deutschland kein doppeltes Spiel spielt. Denn die Landesjustizverwaltung Berlin, die für die Rechtshilfe zuständig ist, hat erst am letzten Freitag das Ersuchen der russischen Generalstaatsanwaltschaft von den Bundesbehörden zugeleitet bekommen. Wo ist denn diese Dringlichkeit“?, ließ die Pressesprecherin der Russischen Botschaft in Berlin verbreiten. „Solange Berlin keine Antwort gibt, behindert es die Aufklärung, zu der es aufruft. Absichtlich?“, fragte die Sprecherin.

Sollte die Bundesregierung Nord Stream 2 die Unterstützung entziehen, würde sie damit nicht nur klare Kante gegen Moskau zeigen, sondern gleichzeitig eines der Hauptstreitthemen mit den USA abräumen. US-Präsident Donald Trump attackiert die Pipeline mit Sanktionen – und es ist nicht davon auszugehen, dass sich das bei einer Wahl seines Kontrahenten Joe Biden zum Präsidenten ändern würde.