„Utøya 22. Juli“
Film über Massaker wühlt Teterower Augenzeugen auf
Teterow / Lesedauer: 4 min
Die Zelte sind umgestürzt. Alles liegt wild herum. Dazwischen klingeln Handys, aber niemand ist zu sehen, der rangehen könnte. Dann die Einblendungen: Zuerst detonierte eine Bombe im Osloer Regierungsviertel. Danach wurde ein Attentat in einem Ferienlager auf der Insel Utøya verübt. Der Täter war ein 32-jähriger Rechtsextremist aus Oslo. 77 Menschen wurden insgesamt getötet, 99 wurden schwer verletzt. Mehr als 300 Menschen erlitten schwerwiegende Psychotraumata. Das Attentat auf Utøya dauerte 72 Minuten.
„Utøya 22. Juli“ – der Film kam am Donnerstag in die deutschen Kinos. Heidrun und Walter Gleffe aus Teterow haben sich den Trailer angesehen. „Ein komisches Gefühl ist das. Die Sachen, die alle rumliegen. Als die Kinder an Land kamen, war auch alles irgendwie so ungeordnet“, sagt sie. „Es war Hektik“, fügt ihr Mann hinzu. „Das ist alles wieder da.“ Diese Bilder, die sich eingebrannt haben.
Marcel Gleffe rettete fast 30 Jugendliche
Die beiden Teterower hatten ihren Sohn Marcel in Norwegen besucht, um gemeinsam Urlaub zu machen. Am 22. Juli 2011 waren sie in unmittelbarer Nähe der Insel Utøya. Marcel Gleffe rettete fast 30 Jugendlichen das Leben. Er fuhr mit einem Boot raus und zog die von der Insel Flüchtenden aus dem Wasser während Anders Breivik auf Utøya tötete. Gleffes Eltern kümmerten sich gemeinsam mit anderen um die Jugendlichen. „Zu dem Zeitpunkt gab’s keine Emotionen. Du stehst im Wasser, holst die Leute raus. Da war gar keine Zeit zum Denken. Erst hinterher, als wir abends zusammengesessen haben, reflektierte man, was da los war. Dann war die Sprache weg“, stehen Walter und Heidrun Gleffe die Stunden von damals vor Augen.
„Der Alltag holt einen ein“, sagt sie heute. „Wir reden nicht mehr viel darüber. Wenn im Fernsehen Terrornachrichten kommen, die Schießerei in München zum Beispiel, kommt es hoch.“ Und als sie von dem Film hörte, wühlte auch das alles wieder auf. Ins Kino gehen sie auf keinen Fall. Da sind sich Heidrun und Walter Gleffe einig. Vielleicht schauen sie ihn sich irgendwann mal allein am Fernseher an. „Man hätte es ruhen lassen sollen“, meint Heidrun Gleffe. Ihr Mann: „Es ist Ansichtssache, ob so ein Film gut ist. Ich weiß nicht, wie die, die nicht dabei waren, den Film sehen, wie das rüber kommt. Ich sehe das anders, als jemand der nicht dabei war.“
Utøya-Massaker ist nationale Tragödie in Norwegen
Ihr Sohn Marcel lebt nach wie vor in Norwegen. Dort kam der Film schon vor ein paar Monaten ins Kino, sagt er am Telefon. „Als ich durch die Stadt lief, habe ich die Plakate gesehen. Für Norwegen ist das Massaker eine nationale Tragödie. Ich war vor Ort, habe das ganze Chaos, die ganze Ungewissheit miterlebt. Es ist unvorstellbar, was im Nachhinein raus kam. In diesem Land, das Vorzeigemodell für Demokratie ist. Auch wenn ich es versuche, man schließt nicht ab. Niemals.“
Was den Film betrifft, habe er schon einige Kritiken im Internet gelesen. „Ich will ihn mir angucken und mir selbst eine Meinung bilden“, sagt Marcel Gleffe. „Aber nicht unbedingt im Kino.“ Mit einigen Leuten, die er am 22. Juli 2011 gerettet hat, habe er hin und wieder Kontakt. „Man schreibt sich, ein kurzer Austausch, aber getroffen haben wir uns nicht mehr.“ Die Insel Utøya versucht er zu meiden. Einmal sei er arbeitsbedingt in der Nähe gewesen. „Wir hatten dort eine Baustelle. Da geht einem wieder vieles durch den Kopf. Um so näher man kommt, um so düsterer wird es“, sagt der 39-Jährige.
Er weiß aber auch, dass sich vieles verändert hat und dass sich auf Utøya wieder junge Leute treffen.