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▶ Geiselbefreiung und Luftkämpfe in der Seenplatte

Neubrandenburg / Lesedauer: 6 min

Angehende Waffenlehrer der Luftwaffe üben in diesen Tagen mit ihren Flugzeugen über der Seenplatte, was am Himmel zu sehen und auch am Boden zu hören war. Der Nordkurier war dabei.
Veröffentlicht:25.08.2021, 15:10

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Die Wolken hängen tief, als sich die Transporthubschrauber heranarbeiten. Mit lautem Rotorengeknatter setzen die beiden CH-53 der Bundeswehr kurz hintereinander auf der Landebahn am Flughafen Trollenhagen bei Neubrandenburg auf, während über der geschlossenen Wolkendecke der Donner von Düsenjägern grollt.

Feinde sind eliminiert

Kurz zuvor waren zwei olivgrüne Fahrzeuge über das Flugfeld Richtung Landepunkt herangerast. Schwer bewaffnete Soldaten springen heraus, taxieren die Lage und stellen sich schützend vor in blaue Overalls gekleidete Geiseln, die ebenfalls aussteigen. Die Feinde, die zuvor unter anderem mit einer schultergestützten Handfeuerwaffe zur Abwehr von Fluggeräten die Helikopter bedroht hatten, sind da schon eliminiert. Zudem wurde aus der Luft eine (in diesem Fall aufblasbare) Flugabwehranlage ausgeschaltet.

Koordinierung aller Aktionen im Mittelpunkt

Auf Kommando setzt sich der Trupp aus Olivgrünen und Blaumännern in Bewegung. Geduckt geht es in Richtung eines der Transporthubschrauber, der die Männer an Bord nimmt. Schon kurz darauf heulen die Motoren auf und die Helikopter schrauben sich in den dunklen Himmel über der Seenplatte.

(Foto: WARNING)

Was anmutet wie ein echter Kampf- und Rettungseinsatz, war in der vergangenen Woche Teil einer groß angelegten, kombinierten Luft-Boden-Operation, bei der Soldaten der Panzergrenadierbrigade 41 „Vorpommern“ die Kameraden der Luftwaffe unterstützten. Bei der simulierten Befreiung und dem Abtransport von Geiseln in Trollenhagen mimten die Soldaten der Militärischen Aufklärungsunterstützung sowohl Soldaten und Geiseln als auch Gegner. Dabei ging es nicht um den Kampf am Boden, sondern um die Koordination der Aktionen in der Luft und am Boden. „Solch eine Übung ist nicht alltäglich“, sagte Stabsfeldwebel Sebastian T. nach Ende des Szenarios.

Die Übung in Trollenhagen und anderen Orten der Seenplatte ist Teil des Manövers „Baltic Hunter“ im Zuge der ersten Waffenlehrerausbildung durch die Waffenschule Luftwaffe am Fliegerhorst Laage. Dabei kam in den vergangenen Tagen über MV nahezu das komplette Materialspektrum zum Einsatz, das die Luftwaffe aufzubieten hat: Eurofighter, Tornados, Aufklärungsflugzeuge sowie CH-53 Transport-Hubschrauber. Mithilfe einer privaten Firma wurde sogar die Bedrohung durch „echte“ bodengestützte Flugabwehrsysteme simuliert. In Trollenhagen stand eine verblüffend realistisch aussehende aufblasbare Attrappe am Rande des Rollfelds.

(Foto: WARNING)

Manöver als Höhepunkt der Ausbildung

Die Übung ist nach Angaben der Streitkräfte der Höhepunkt der Waffenlehrerausbildung. Ausgesuchte Eurofighter-, Tornado- und A400M-Piloten und Fachleute aus dem Einsatzführungsbereich sowie dem Militärischen Nachrichtenwesen durchlaufen als Weapons Under Graduates (WUG), wie die Lehrgangsteilnehmer genannt werden, eine sechsmonatige Ausbildung. Dazu haben die Eurofighter-Piloten in Laage, die Tornado-Piloten in Jagel und die A400M-Piloten in Wunstorf trainiert, um nun im Manöver „Baltic Hunter“ ihr Erlerntes zusammenzubringen.

Allein bei dem Szenario in Trollenhagen kamen neben den Helikoptern auch 16 Eurofighter und acht Tornados sowie ein Learjet zum Einsatz. Mit dabei waren am Boden auch Mitglieder des Kommandos Spezialkräfte (KSK), die unlängst in Trollenhagen bereits eine Geiselbefreiung geübt hatten. Jetzt waren sie als Fliegerleitoffiziere im Einsatz und koordinierten die Zielzuweisung für die Kräfte aus der Luft.

Anerkennung vom KSK

„Bei der Geiselbefreiung wurde simuliert, dass parallel dazu mehrere Gebäude gleichzeitig bombardiert werden“, erläuterte Stabsfeldwebel T, der den Einsatz am Boden geplant und koordiniert hat. Kein einfaches Unterfangen bei so vielen militärischen wie auch zivilen Luftfahrzeugen im Umkreis von 30 nautischen Meilen oder 50 Kilometern über Neubrandenburg, zumal auch noch dargestellt wurde, dass die eigenen Jets von feindlichen Kräften angegriffen werden und ein Luftkampf entbrennt, wie der mit Technik schwer bepackte Offizier erklärt. Bei der Nachbereitung des Einsatzes bekamen die „X41“-Panzergrenadiere anerkennende Worte für ihre Arbeit von den KSK-Kameraden: „Bei euch am Boden ist alles gut gelaufen.“

Auf deutlich weniger Begeisterung stießen die vielen Flugbewegungen hingegen bei den Bewohnern der Seenplatte, die sich wegen des damit verbundenen Lärms wiederholt an die Luftwaffe und auch den Nordkurier wandten.

Weitere Übung bei der Fischmanufaktur in Waren

Unterstützung gab es derweil auch und zwar von etwas ungewöhnlicher Seite: Müritzfischerchef Jens-Peter Schaffran stellte wenige Tage nach dem Übungsteil in Trollenhagen das Gelände der Fischmanufaktur in Eldenholz bei Waren für einen weiteren Manöverabschnitt zur Verfügung. Wo sonst in der Urlaubssaison vor allem Touristen zum Fischkaufhaus abbiegen, rollte nun ein Konvoi mit „gefährlicher Ladung“ ein. Zuvor wurde zwischen Fischkisten und Hallen alles genau abgesucht, damit der technische Halt nicht in der Katastrophe endet.

(Foto: WARNING)

Genau das stand aber im Drehbuch der Übung. Der Konvoi mit einer Kurzstreckenrakete und einem Flugabwehrsystem sollte von der Luftwaffe angegriffen werden, wie Stabsfeldwebel T. darlegte. Natürlich war weder die Scud-Rakete echt noch das Flugabwehrsystem.

Karton mit Fischbrötchen als willkommene Stärkung

„In diesem Moment sind hier irgendwo feindliche Bodentruppen, die den Standort auskundschaften und die genauen Daten an die Luftwaffe übermitteln“, sagte der Einsatzleiter. Dann kam auch schon ein Funkspruch und die Fahrzeuge rollten auf den von hohen Nadelbäumen umgebenen Hof. Neben einem weißen Campingmobil reihten sich die Militärfahrzeuge ein.

Mitarbeiter einer amerikanischen Firma, die für das Militär arbeitet, zeigten den Panzergrenadieren, wie man das aufblasbare Flugabwehrsystem, das einem Zivilisten wie eine Hüpfburg vorkommt, aufbaut. Währenddessen wurde das Gelände kontrolliert. Alles sicher. Pause erlaubt. „Ohne Mampf kein Kampf“, lässt irgendwer fallen und prompt kommt ein großer Karton mit Fischbrötchen von den Müritzfischern. Das ist Gastfreundschaft.

(Foto: WARNING)

Realität in Afghanistan beeinflusst auch die Übung

Irgendwo in den Wolken sind derweil 16 Kampfflugzeuge in einem Korridor zwischen Berlin und Laage unterwegs, ausgestattet mit 52 Bomben, die 15 Ziele eliminieren sollen. Stabsfeldwebel T. und seine Männer sind keine leichte Beute und können die feindlichen Spezialkräfte am Boden aufspüren. Der Luftangriff konnte trotzdem erfolgreich durchgeführt werden. Und geschmeckt hat es übrigens auch.

Wie schnell ein Bundeswehreinsatz ernst wegen kann, zeigte sich derweil an der Tatsache, dass eine auf dem Flugfeld in Trollenhagen vorgesehene Landung eines A400M-Transporters abgesagt wurde. Eigentlich sollten die „Geiseln“ mit dem Transportflugzeug ausgeflogen werden. Doch die Maschine wurden anderen Orts viel dringender gebraucht: Im realen Einsatz in Afghanistan zum Ausfliegen von Botschaftspersonal und Ortskräften.