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Sietow

Bäume dienen als lebendige Grabsteine

Sietow / Lesedauer: 4 min

VonPetra KonermannUnter diesen Wipfeln ist Ruh‘: Ein Wald zwischen Sietow und Malchow dient als Friedhof. Hier hat nicht der Mensch, sondern die Natur das ...
Veröffentlicht:27.05.2013, 02:27

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VonPetra Konermann

Unter diesen Wipfeln ist Ruh‘: Ein Wald zwischen Sietow und Malchow dient als Friedhof. Hier hat nicht der Mensch, sondern die Natur das Sagen – eine Stippvisite an einem besonderen Ort zum Innehalten.

Sietow.Von fern sind die Rufe eines Kranichs zu hören, die Vögel zwitschern in den Baumwipfeln, die Morgensonne streichelt das zarte Grün der Bäume – schöner kann es im Wald nicht sein. Dennoch: Gerade in diesem rund zwei Hektar großen Waldstück liegen Werden und Vergehen, Leben und Sterben besonders dicht zusammen. Hier übernehmen Buchen, Eichen und Ahorn die Aufgabe lebendiger Grabsteine, sie dienen den Lebenden zur Erinnerung an die Menschen, die sie verloren haben.
„Menschen brauchen einen Ort, an dem sie trauern können“, ist Joachim Albrecht überzeugt. Als stellvertretender Revierförster hat er Aufgaben, die wohl nicht unbedingt zur Berufsbeschreibung eines Försters gehören: Die Betreuung von Menschen, die durch Tod einen Angehörigen verloren haben und die sich nun im Ruheforst um die letzte Ruhestätte für den Toten kümmern.
Auch die gelernte Verwaltungsfach-Angestellte Anne Reichstein hätte sich nie träumen lassen, dass ihr Beruf vom Umgang mit Trauernden geprägt sein wird. Die junge Mitarbeiterin des Forstamtes Wredenhagen ist die Ansprechpartnerin, wenn es um den Sietower Ruheforst geht. Immer mehr Menschen suchen sich schon zu Lebzeiten selbst den Ort aus, an dem sie nach ihrem Tod bestattet werden wollen. Rund 100 Bestattungen hat es seit der Gründung des Ruheforstes vor vier Jahren in Sietow gegeben.
Auch wenn der Natur in dem großen Mischwald freien Lauf gelassen wird, so sind die Bestattungsregeln dennoch streng. Jedes der rund 200 Ruhebiotope, wie die einzelnen ausgewählten Bäume genannt werden, sind durch das globale Navigationssatellitensystem zur Positionsbestimmung und Zeitmessung (GPS) genau eingemessen, so dass Gräber später wieder gefunden werden können. Eine grüne Plakette am Baum kennzeichnet ein Familien- oder auch Freunde-Biotop. In zwei Kreisen, zwei beziehungsweise zweieinhalb Meter vom Baum im Zentrum des Biotops entfernt, werden hier bis zu zwölf Urnen unter dem Blätterdach in die Erde gesenkt. „Hier können Familienangehörige dafür Sorge tragen, dass sie im Abstand von Jahren gemeinsam unter einem Baum zur Ruhe gebettet werden“, erklärt Anne Reichstein.
Mit einer gelben Marke sind die Bäume versehen, die als Gemeinschaftsbiotope gelten. Hier kann sich jeder zu Lebzeiten oder die Angehörigen im Sterbefall einen Platz aussuchen. Einfluss, wer mit wem unter einer Buche oder Eiche ruht, hat man dann jedoch nicht. Je nach Wertigkeit des jeweiligen schwanken die Preise für einen Platz im Ruheforst. „Es gibt Gräber, die anonym gehalten sind. Aber die meisten entscheiden sich für eine Plakette, die an den Angehörigen erinnert“, erzählt die Forstamtsmitarbeiterin. Doch auch hier sind die Vorschriften streng: Lediglich groß wie Visitenkarten dürfen diese Tafeln sein. Was jedoch darauf steht, ist den Hinterbliebenen überlassen – und ihrer Fantasie. Ein Schmetterling schwebt über eine kleine schwarze Tafel, die an einer Eiche angebracht ist. Nur wenige Meter weiter hat jemand dafür gesorgt, dass sein Spitzname und das Konterfei seines geliebten Hundes für die Nachwelt erhalten bleiben. Und es gibt natürlich den Klassiker: Auf den Täfelchen sind Namen, Geburts- und Sterbedatum vermerkt.
„Die Tafeln sind unauffällig, weil im Ruheforst die Natur das Sagen haben soll, nicht der Mensch“, erklärt Anne Reichstein. So sind bei Bestattungen oder zum jeweiligen Geburts- und Sterbetag nur einzelne Blumen, auf keinen Fall Kränze erlaubt. Die Natur, so macht es Anne Reichstein deutlich, übernimmt die Grabpflege. Frühling, Sommer, Herbst und Winter gehen über den Wald und die dort Ruhenden hinweg. „Das ist für viele naturverbundene Menschen ein schöner Gedanke“, weiß Förster Joachim Albrecht. Viele Menschen denken bereits zu Lebzeiten über ihren letzten Weg nach – und über den Baum, der sie behüten soll, wenn siemal tot sind. „Es gibt welche, die wollen unter einem Baum mit doppelter Krone beerdigt sein: Es sind Zwillinge, die vieles gemeinsam erlebt haben. Oder jemand sucht gezielt nach einem krummen Baum, ein Sinnbild dafür, dass es im Leben nicht immer geradlinig läuft“, sagt Anne Reichstein.
Am Dienstag, 28. Mai, gibt es um 14 Uhr eine Führung durch den Ruheforst.


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