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Zu den Toten von Altstrelitz gibt es viele Geheimnisse

Neustrelitz / Lesedauer: 3 min

Im Gefängnis von Altstrelitz hat die Rote Armee ab 1945/46 zahlreiche Häftlinge eingesperrt. Viele starben an Entkräftung und Krankheiten, andere wurden erschossen − wo liegen diese Toten?
Veröffentlicht:27.06.2022, 11:24

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Rudi P. war 13 Jahre alt, als er Ende der 1940er-Jahre mit einem Gespannführer auf einem Pferdefuhrwerk eine grausige Aufgabe vor sich hatte. Südlich von Neustrelitz, an der heutigen B 96, sollten sie aus einer Sandkuhle Tote bergen.

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„Dürftig bekleidete, junge deutsche Männer“, die meisten wiesen Schussverletzungen auf, wie P. nach 1990 zu Protokoll gab. Dokumentiert ist seine Erinnerung in einer Broschüre der Arbeitsgemeinschaft Lager Sachsenhausen 1945-1950. Die Beiden mussten die Leichen mit Haken herausziehen und zum Altstrelitzer Friedhof fahren.

Neubrandenburger Horst Vau engagiert sich für das Gedenken der Toten

Waren die Leichen Häftlinge aus dem etwas mehr als einen Kilometer entfernten Gefängnis in Altstrelitz? Dort internierte der sowjetische Geheimdienst NKWD 1945/46 Häftlinge, die zuvor durch ein Sowjetisches Militärtribunal (SMT) verurteilt worden waren. Horst Vau hält das für wahrscheinlich. Seit der Wende engagiert sich der Neubrandenburger für das Gedenken an die zahlreichen, im Nordosten verhafteten Jugendlichen, die unter Werwolfverdacht gerieten, unter anderem in Penzlin, seiner Heimatstadt, und in Malchow. Auch sein Bruder Karl-Heinz gehörte zu jenen Jungen. Vom SMT in Güstrow verurteilt, saß der damals 16-Jährige wie viele seiner Leidensgefährten für einige Wochen im Altstrelitzer Gefängnis ein.

Vau weiß aber, dass seinerzeit auch ein toter, uniformierter Rotarmist in der Sandkuhle gefunden worden war, die bei den Altstrelitzern unter dem Namen „Klein Amerika“ bekannt war. Zudem sollen rund um das Areal am Ende des Weltkriegs Gefechte geführt worden sein. Bei den Toten könnte es sich also auch um gefallene Soldaten gehandelt haben.

Viele Geheimnisse sind noch nicht gelüftet

Während viele schreckliche Ereignisse der Nachkriegszeit, beispielsweise zum NKWD-Sonderlager 9 in Neubrandenburg-Fünfeichen, nach der Wende recherchiert und dokumentiert wurden, bergen die Monate vom Sommer 1945 bis zum September 1946, als der NKWD das Gefängnis in Altstrelitz nutzte, noch viele Geheimnisse.

Das fängt bei den genauen Belegungszahlen an. Im Oktober sollen es zwischen 700 und 1000 Gefangene gewesen sein, nicht nur Deutsche, sondern auch durch die SMT verurteilte Sowjetbürger. Ende 1945 wurden knapp 400 Insassen registriert.

Ab Ende Januar kamen alle neuen Tribunal-Verurteilten aus dem Nordosten, die nicht sofort in die UdSSR deportiert wurden, nach Altstrelitz. Im September 1946 wurden sie schließlich nach Sachsenhausen überführt.

Wurden Menschen in der Sandkuhle hingerichtet?

Fest steht, dass zahlreiche Menschen die Torturen im Gefängnis, Krankheiten und mangelhafte Ernährung nicht überstanden. Die AG Sachsenhausen hat Nachweise über 46 Gefangene gesammelt, die in den Monaten 1945/46 in dem Knast von Altstrelitz starben, geht aber von einer höheren Todesrate aus. Dass Pferdewagen mit meist mehreren Toten das Gefängnis Richtung Süden verließen, haben viele ehemalige Gefangene bezeugt. Ebenso gibt es einige Berichte über Erschießungen durch Rotarmisten 1945 südlich von Altstrelitz. Fanden auch in der Sandkuhle, die heute durch ein Wäldchen abgedeckt wird, Hinrichtungen statt?

Vau gibt nicht auf − Zeitzeugen gesucht!

Ursprünglich hatte sich Vau dafür eingesetzt, zusammen mit dem Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge nach möglichen Toten in dem Waldstück zu graben, um Gewissheit zu erlangen. Mittlerweile gehe es der AG Sachsenhausen vor allem um einen Gedenkstein an der Bundesstraße. Dafür bräuchte es aber mehr verlässliche Zeitzeugenberichte. Geeignet wären auch Aufzeichnungen von alten Strelitzern. Vau ist sich bewusst, wie schwer das nach fast 80 Jahren ist. Doch im Sinne der Toten will er noch nicht aufgeben.

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