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Leichtathletik-Geschichte

Als dem schnellsten Neubrandenburger Olympia gestohlen wurde

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Thomas Schröder gehörte in der DDR zu den besten Sprintern. Doch 1984 verpasste der Neubrandenburger Olympia, weil die Politik etwas dagegen hatte. Am Dienstag wird er 60.
Veröffentlicht:23.08.2022, 10:25

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Die Wettkampfsachen von 1984 hat Thomas Schröder noch immer. Sie liegen bei ihm im Schrank, sind ungenutzt und noch verpackt. Er wollte sie damals bei den Olympischen Spielen tragen, in Los Angeles – doch der Boykott der Ostblockstaaten hat Thomas Schröders Sprint-Auftritt in den USA verhindert. Es war ein dunkles Kapitel der Sportgeschichte.

Thomas Schröder, der am Dienstag, dem 23. August, seinen 60. Geburtstag feiert, gehörte damals zu den besten Sprintern der DDR. Für Olympia in Los Angeles hatte er sich qualifiziert, es sollte der Höhepunkt seiner Karriere werden. Doch dann der große Schock: „Es war ein paar Wochen vor Olympia, wir waren gerade in Erfurt bei einem Wettkampf, als wir Sportler zusammengeholt wurden”, erzählt Thomas Schröder. „Und dann wurde verkündet, dass wir nicht bei den Olympischen Spielen starten werden.“

„Wettkämpfe der Freundschaft” als Ersatz

Das DDR-Olympiateam war zu dem Zeitpunkt bereits voll auf Los Angeles fokussiert. „Wir waren komplett eingekleidet, ich hatte zu Hause zwei Koffer voller Klamotten, alles hochwertige Sachen“, erinnert sich der Neubrandenburger. Ein Jahr zuvor war Schröder mit den DDR-Sprintern schon mal in Los Angeles. „Wir hatten die Wettkampfstrecken gesehen, dort trainiert. Unsere Vorfreude auf Olympia war riesengroß“, erzählt er.

Als „Ersatz“ für die gestohlene Olympiachance gab es im Osten schließlich die sogenannten Wettkämpfe der Freundschaft, bei denen auch die Prämien gezahlt wurden, die für Los Angeles ausgelobt waren. Schröder rannte in Moskau mit der DDR-Staffel auf Platz zwei über 4x100 Meter, wurde zudem Sechster über 100 Meter. Als Lohn erhielt der SCN-Sprinter unter anderem 1500 Westmark und eine vierwöchige Schiffsreise auf dem DDR-Urlauberschiff „Völkerfreundschaft“. „Die Prämien waren schön, aber nur ein Trost für die verpasste Olympiateilnahme“, sagt Thomas Schröder heute. Die verstauten Wettkampfsachen sind heute Zeugen der größten Enttäuschung seiner sportlichen Karriere: „Ja, meine Laufbahn ist schon irgendwie unvollendet.“

100-Meter-Bestzeit: 10,10 Sekunden

Die ersten Schritte in der Leichtathletik hatte Thomas Schröder in seiner Heimatstadt Waren bei Trainer Ullrich Philipp gemacht. Früh wurde das Sprint-Talent des Jungen sichtbar, 1975 folgte der Sprung zur Kinder- und Jugendsportschule in Neubrandenburg. Beim Club entwickelte sich Schröder rasend schnell, vier Jahre später rannte er als 16-Jähriger in Polen über die 100 Meter zum Europameistertitel der Junioren. Seine Zeit damals: 10,41 Sekunden.

Thomas Schröder war plötzlich sogar ein Thema für die Olympischen Spiele 1980 in Moskau – als Staffelläufer. Am Ende war er den Verantwortlichen aber noch zu jung. In seinem letzten Juniorenjahr 1981 packte der Sprinter noch einen drauf: Bei der EM in Utrecht holte der SCN-Mann dreimal Gold über 100 und 200 Meter sowie mit der Staffel. In Utrecht rannte er damals mit 10,14 Sekunden auch persönliche Bestzeit über 100 Meter.

In der Elite schlossen sich für den Sprinter vom Tollensesee, der bei Hans-Jürgen Ansorge trainierte, die Erfolge nahtlos an. 1983, 1984 und 1986 krönte er sich zum DDR-Meister über 100 Meter, 1986 zudem auch über 200 Meter.

Zweimal Vierter bei der EM ’86

Mit einem Lachen erzählt Thomas Schröder, dass man nationale Meistertitel eigentlich gar nicht so wahrgenommen habe. Die „harte Währung“ im DDR-Leistungssport waren Medaillen bei EM, WM und den Olympischen Spielen. 1986 bei der Europameisterschaft in Stuttgart feierte der Neubrandenburger mit der 4x100-Meter-Staffel seinen größten Erfolg auf internationaler Bühne. Das DDR-Team mit Thomas Schröder, Steffen Bringmann, Olaf Prenzler und Frank Emmelmann holte Silber hinter der UdSSR. Auf den Einzelstrecken über 100 und 200 Meter verfehlte der Sprinter jeweils als Vierter knapp das EM-Podium. „Das ärgert mich noch immer. Aber das ganze Programm in Stuttgart war wohl zu viel für mich“, sagt er. Zwei Monate vor der EM war Schröder in Jena 10,10 Sekunden gerannt – mit dieser Zeit hätte er in Stuttgart die Goldmedaille gewonnen.

Die Olympischen Spiele 1988 in Seoul verpasste der Sprinter wegen einer Verletzung, ein Jahr später fiel die Mauer. Da hatte Thomas Schröder bereits ein Jurastudium aufgenommen, der Großteil seiner Karriere war Geschichte. „Ich hätte noch zwei, drei Jahre laufen können. Aber ich habe mich dann für die Familie und den Beruf entschieden“, erzählt er. Mit seiner Frau Silka, einer früheren Läuferin beim SCN, ist Thomas Schröder seit 38 Jahren glücklich verheiratet. Seit 1995 arbeitet er als Rechtsanwalt in Neubrandenburg.

Auf sein Sportlerleben blickt er zufrieden zurück: „Ich habe viel von der Welt sehen dürfen.“ Zum Thema Doping in der DDR hat der ehemalige Klassesprinter, der mit seinen 10,10 Sekunden noch immer auf Platz acht der ewigen Bestenliste über 100 Meter in Deutschland steht, seine Meinung. „Wir haben was genommen. Aber dass das unters Doping fiel, wussten wir damals nicht“, sagt er. Was ihn vielmehr ärgert, ist die Ungleichbehandlung beim Thema Doping. Hier die böse DDR, dort die betrogene BRD: „Eine Aufarbeitung ist okay, aber dann auf beiden Seiten.“

Thomas Schröder kritisiert auch seinen ehemaligen Club

Die Leichtathletik in seiner Heimatstadt und beim SCN verfolgt Thomas Schröder heute eher mit Distanz: „Gute Sportler gehen weg, weil hier in Neubrandenburg die berufliche Perspektive fehlt. Es ist eine schwierige Situation.“ Bei einem anderen Punkt verschont er seinen ehemaligen Club aber nicht mit Kritik: „Es gab zwischenzeitlich mal Bemühungen, aber eine Traditionspflege scheint mittlerweile überhaupt nicht mehr gewollt zu sein. Das ist schade.“

Der bis heute auf 100 Meter immer noch schnellste Neubrandenburger bedauert das sehr. Die Erinnerungen an eine wunderbare Phase in seinem Leben kann die fehlende Traditionspflege jedoch nicht zerstören. „Ich glaube, niemand möchte die Zeit als Leistungssportler missen. Diese Zeit hat unser Leben geprägt“, sagt Thomas Schröder und fügt hinzu: „Das System Leistungssport hat mich gelehrt, mich durchzubeißen. Davon profitiere ich noch heute.“