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Kriegszerstörung

Als eine Trümmerbahn durch Neubrandenburg fuhr

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Um die Trümmer nach der Zerstörung des Zweiten Weltkriegs beseitigen zu können, wurde in Neubrandenburg eigens eine Trümmerbahn eingerichtet. Zeitzeugen erinnern sich an die schweren Jahre Anfang der 1950er-Jahre.
Veröffentlicht:10.07.2019, 07:00

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Wenn Adelheid Krämer über den Neubrandenburger Marktplatz läuft, gehen ihr oft besondere Erinnerungen durch den Kopf. Erinnerungen an eine Zeit, als die Innenstadt nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern lag. Jüngere Generationen können sich kaum vorstellen, dass seinerzeit kaum noch ein Stein auf dem anderen lag. Erst wurde die schöne Altstadt durch die militärischen Handlungen bei der Einnahme durch die sowjetische Armee in Mitleidenschaft gezogen. Viel schlimmer aber noch wüteten die Brände danach. Soldaten der Roten Armee steckten ganze Straßenzüge an.

Adelheid Krämer war damals sieben Jahre alt. Sie lebte mit ihrer Mutter im Haus der Großeltern in der Greifswalder Straße, wo sie mit ihrem Mann Egon bis heute wohnt. Vom Dachfenster aus musste sie mit ansehen, wie ihre Heimatstadt Opfer der Flammen wurde. Acht Jahre später half sie als Schülerin mit bei der Enttrümmerung der Stadt.

Luftbilder von 1953 zeigen die Zerstörung nach dem Krieg. Hier gibt es Aufnahmen, auch von Neubrandenburg, im Vergleich.

Drei erhalten gebliebene Fotos dokumentieren den Einsatz der Schülerinnen aus der Oberschule in der Lessingstraße. „Wir waren damals in der 8. Klasse, ich war 15 Jahre alt.” Sogar das Datum hat Adelheid Krämer sorgfältig dokumentiert: Am 7. Juli 1953 absolvierten die Mädchen die schwere Arbeit. Während wir heute von Trümmerfrauen sprechen, wurde die Aktion damals „Aufbauschicht” genannt, weiß Adelheid Krämer. Sie haben dort Steine geklopft, wo seit einigen Jahren das Marktplatz-Center steht. Es habe mehrere Einsätze zur Enttrümmerung gegeben. „Unsere Aufgabe war es, den Putz von den Steinen zu klopfen.”

Trümmerbahn fuhr erst mit Muskelkraft

Der Schutt wurde dann mit Loren über Schienen durch das Stargarder Tor gefahren und jenseits der Stadtmauer abgekippt. Er bildet heute den Untergrund von Teilen des Kulturparks.

Seinerzeit wurde extra eine Trümmerbahn eingerichtet, um den ganzen Schutt abtransportieren zu können. In Neubrandenburg fuhr diese Bahn durch die Große Wollweberstraße und die Stargarder Straße. Zuerst waren es tatsächlich Loren, die von Menschenhand geschoben wurden. Später kamen dann kleine Dampfloks, die die Loren beförderten, zum Einsatz.

Enttrümmerung dauerte viele Jahre

Die Fotos und Erinnerungen von Adelheid Krämer widerlegen die Annahme, dass die deutschen Innenstädte schon zum Ende der 40er-Jahre beräumt waren. Nicht nur in Neubrandenburg zog sich die Enttrümmerung bis weit in die 50er-Jahre hinein, wie kürzlich auch der Teterower Siegfried Eckert berichtet hatte. Er hatte als Schüler in Demmin, als Student in Magdeburg und als junger Lehrer in Prenzlau mitgeholfen, die Kriegsschäden zu beseitigen.

Parallel zur Enttrümmerung begann 1952 der Wiederaufbau der Innenstadt, geht aus einem Beitrag des verstorbenen Neubrandenburger Stadthistorikers Horst Beyermann hervor. Das erste Haus wurde am 15. Juni 1953 in der Herbordstraße bezogen. Es folgten die Bebauung des Karrees zwischen Badstüber-, Ernst-Thälmann- (heute Stargarder Straße), Friedländer und Herbordstraße. Adelheid Krämer und ihre Mitschülerinnen haben damals freiwillig bei den Aufbauschichten mitgemacht. „Es war die Einsicht in die Notwendigkeit”, sagt sie heute. Ihr selbst hat der Einsatz nicht viel genutzt. Trotz eines Zensurendurchschnitts von 1,7 beim Abitur, das sie mit 19 Jahren absolviert hatte, durfte sie nicht studieren, weil sie kein „Arbeiterkind” war. Die Mutter hatte den Status einer „Angestellten”, der Vater fiel im Weltkrieg.

Es gab nicht nur „Trümmerfrauen”

Einige Jahre später bekam sie die Chance, ein Fernstudium zu absolvieren. 1959 heiratete Adelheid ihren Egon. Auch er hatte beim Enttrümmern geholfen. Als Lehrling bei der Energieversorgung klopfte er Steine im Bereich der heutigen Löwenvilla der Sparkasse am Engelsring.

Am Blick zurück stört Adelheid Krämer, dass die „Trümmerfrauen” heute zu Ikonen erhoben würden, besonders in Ostdeutschland und Berlin. „Das erweckt den Eindruck, dass nur die Männer im Osten lange nicht aus dem Krieg zurückgekommen sind. Das stimmt aber nicht.” Zudem zeigen ihr und das Beispiel ihres Mannes, dass viele Schüler und Lehrlinge mitgeholfen haben.

Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen nicht nur deutsche Großstädte in Schutt und Asche. Auch viele Städte im Nordosten glichen einer Ruinenlandschaft: Neubrandenburg, Pasewalk, Demmin, Prenzlau und Anklam, um nur einige zu nennen. Die „Trümmerfrauen“ hatten viel zu tun, aber nicht nur die Frauen, sondern auch Schüler, Lehrlinge und Senioren sorgten für den Wiederaufbau.

An den Geschichten vom schweren Wiederanfang, wie die von Adelheid und Egon Krämer, sind wir interessiert. Senden Sie uns ihre Gedanken und Bilder an: f.wilhelm[at]nordkurier.de oder Frank Wilhelm, Friedrich-Engels-Ring 29, 17033 Neubrandenburg.

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