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Jubiläum in Stargard

Alt wie ein Baum - Diese beiden verbindet ein ganzes Leben

Burg Stargard / Lesedauer: 5 min

Die Grundschule in Burg Stargard feiert ihr 80-jähriges Bestehen mit einer Festwoche. Einer, der zu den ersten Schülern gehörte, erinnert sich an die damalige Zeit. Heinz Wessel über Jungen-Streiche, den Krieg, wie er ein Auge verlor und warum Wasser ihn bis heute begleitet.
Veröffentlicht:15.09.2018, 07:20

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Was macht Heinz Wessel heute mit seinen 88 Jahren am liebsten? „Bäume pflanzen“, sagt er. Zünftig für einen Flora- und Faunaliebhaber trägt er dunkelgrün, nur die Turnschuhe passen nicht recht ins Naturbild. Aber in denen hat er den besten Halt auf der Fahrrad-Pedale. „Ich bin noch nicht einmal abgerutscht“, meint er. Er muss es wissen. Er fährt jeden Tag Fahrrad. Auch um seinen gepflanzten Bäumen Wasser zu geben.

Als Wasser-Wessel ist der 88-Jährige eh in der Kleinstadt bekannt. Hatte er doch bis zu seiner Rente 1990 fürs Wasserwerk gearbeitet. Und nun ist er Wasserträger für seine Bäume, zum Beispiel in Sabel. Da geht es dann mit einem seiner vier Fahrräder hin. Alle 14 Tage wechselt er den Drahtesel.

„Seine“ Eiche auf dem Gelände der Grundschule Kletterrose besucht er im Übrigen ebenfalls gern. Vor allem, weil er damals dabei war, als sein Vater die Eiche gepflanzt hatte, Anfang 1940. „Ich sollte den ersten Eimer Wasser aus dem Fluss holen, zum Angießen“, erinnert sich der Mann. Er war also der Erste, der die Eiche wässerte. Fast 80 Jahre ist das her, vorher stand schon die Grundschule, die in der kommenden Woche mit einer großen Festwoche ihr 80-jähriges Bestehen feiert. 1936/37 ist sie gebaut, 1938 sind die ersten Schüler eingeschult worden. Heinz Wessel kam ab 1939 dazu. Denn die erste Klasse absolvierte er noch in Teschendorf, ehe dann seine Familie nach Burg Stargard zog und er dort dann die zweite Klasse besuchte.

„Keine schöne Kindheit“, sagt der Mann heute und schlägt die Augen nieder. Es war eben Krieg. Aber damals wie heute hatten Jungs Schabernack im Sinn. „Wenn Jungs keine Dummheiten machen, sind es keine Jungs, so denke ich darüber“, so Heinz Wessel. So hätten er und seine Kumpel einmal einen Fußball aus der Schule geklaut, haben extra nicht gleich damit gespielt, damit es nicht auffällt. Doch als sie doch damit bolzten, wurden sie erwischt. Die Erklärung, dass sie den Ball gefunden hätten, habe ihnen keiner geglaubt. Es setzte Stockschläge durch den Direktor.

Kinder mussten für Hitler Spalier stehen

In der Schule mochte der junge Heinz gern Erdkunde. Natürlich sei das bei Weitem nicht mit dem heutigen Geografie-Unterricht vergleichbar. Damals wurden die Länder anhand von Hitlers Einmarsch „behandelt“. Apropos: „Dreimal war Hitler hier, das erste Mal in Teschendorf. Wir Kinder mussten Spalier stehen“, so Heinz Wessel, der Hitlergruß war Gang und Gäbe. Der Lehrer musste auf offener Straße immer so gegrüßt werden, wehe wenn nicht. „Ich musste dann nachsitzen und 50 Mal schreiben, dass ich den Lehrer grüßen muss. Ich hatte es nur 42 Mal geschrieben, doch der Lehrer hat nachgezählt. Dann musste ich es noch mal 50 Mal schreiben“, erinnert sich der heute 88-Jährige, der 1945 aus der Schule kam. Ein Jahr hat er wiederholen müssen, weil er vier Monate in der Augenklinik in Rostock gelegen hatte. Eine Übungsgranate war hoch gegangen. Er verlor ein Auge.

Nach der Schule habe er für die Russen arbeiten müssen, zum Beispiel totes Vieh wegräumen oder Soldaten begraben. Einmal habe er abhauen wollen nach Neubrandenburg. Bis kurz vor die Oststadt kam er, lief weiter nach Fünfeichen, wo man aber Nazis eingesperrt habe. Nach stundenlangem Marsch kam er wieder in Burg Stargard an, ein Ort, den er bis zu seinem 14. Lebensjahr gar nicht verlassen hatte. Es folgte die dreijährige Ausbildung zum Schuster, gar noch mit zusätzlicher Lehrzeit für den orthopädischen Schuhmacher. Doch in dem Beruf hat er nie gearbeitet. „Immer nur drin sitzen, das war nichts für mich“, sagt er. Er wollte an der frischen Luft sein. Er ging zum Gleisbau nach Sachsen, baute gar das zweite Gleis per Hand zwischen Elsterwerda und Hoyerswerda. Dann ereilte ihn ein Telegramm von seiner Mutter: Seine Freundin, die Nachbarstochter, war mit Zwillingen schwanger. Schnell ging es für den baldigen Vater Heinz nach Haus. Nach der Geburt wurde geheiratet. Es folgten noch zwei weitere Kinder, eine Tochter lebt heute noch in Burg Stargard. Mit seiner Frau war er 52 Jahre verheiratet.

Jetzt ist der 88-Jährige von morgens bis abends draußen und gern im Wald unterwegs. „Ich habe über 100 Nistkästen gebaut und beobachte durchs Fernglas die Vögel“, sagt er. Radfahren, Wald und Natur: Wie schafft man es eigentlich mit 88 Jahren noch so fit zu sein? „Knoblauch“, sagt Heinz Wessel fast spitzbübisch, denn er weiß auch um die gerüchlichen Auswirkungen. Manchmal habe er beim Arzt schon um einen neuen Termin gebeten, weil er den Geruch niemandem antun wollte. Morgens esse er nur Honigbrote, aber abends gern auch mal ein Wurstbrot. Pro Stulle eine Knoblauchzehe, pur und im Ganzen – und dazu keinen Tee, sondern Hühnerbrühe.