StartseiteRegionalNeubrandenburgBeinahe zufällig das Leben einer Seniorin gerettet

Drei Tage hilflos

Beinahe zufällig das Leben einer Seniorin gerettet

Trostfelde / Lesedauer: 5 min

Eine alte Dame ist bei Altentreptow so schwer gestürzt, dass sie mehrere Tage hilflos in ihrer Wohnung lag. Retter mussten sich gewaltsam Zutritt verschaffen. Solche Situationen sind leider nicht selten in der Region.
Veröffentlicht:24.07.2020, 07:55

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Das ist gerade noch mal gut gegangen. Und weil Jörg Heibel achtgab und nicht locker ließ, wurde er zum Lebensretter. Dabei hätte es ganz leicht auch anders ausgehen können. Der Inhaber von „Heibels Ätstuw“ hat am Dienstag eine Trostfelderin quasi „in letzter Minute“ vor dem Tod bewahrt. Das gehört nun wahrlich nicht zu seinem Alltag.

Essen auf Rädern

Der Mann bereitet täglich 40 bis 50 Portionen Mittagessen zu. Abnehmer sind ältere und alleinstehende Leute, die die Lieferung direkt nach Hause bekommen. Das heißt, auf der Herdplatte der Ätstuw wird von Montag bis Sonntag gekocht, gebrutzelt und gerührt. Heibel liefert in Altentreptow und rundherum aus. Die Frau aus Trostfelde gehört schon seit geraumer Zeit zum Kundenstamm. Seit Mittwoch ist die Versorgung bei ihr erst einmal unterbrochen. Wenn sie wieder aus dem Krankenhaus daheim ist, erhält Heibel eine Nachricht.

Am Montag klingelte er nun wie gewohnt zur Mittagszeit bei der 80-Jährigen, die er als geistig fit und körperlich recht rüstig bezeichnet, um ihr die Mahlzeit zu bringen. Da niemand öffnete, ging er davon aus, dass der Sohn da sei und mit der Mutter zum Einkauf unterwegs war.

Ähnliche Situation vor einigen Wochen

Das war vor gut drei Monaten schon mal der Fall. „Da hab ich geklingelt und geklingelt und niemand öffnete. Da ich Angst hatte, dass was passiert sein könnte, weil ich noch nie vor verschlossener Tür stand, hab ich nach Polizei und Feuerwehr gerufen. Beide waren binnen kürzester Zeit da, brachen die Tür auf und suchten das Haus ab. Von der Frau keine Spur“, berichtet Heibel. Sie traf eine halbe Stunde nach dem Einsatz der Rettungskräfte ein und war mit ihrem Sohn, der nicht vor Ort wohnt, nur einkaufen. Vielleicht, so dachte Heibel, sei es am Montag ja wieder der Fall gewesen.

Wohnung aufgebrochen

Als aber am Dienstag das Essen immer noch vor der Tür stand und erneut nicht geöffnet wurde, rief er im Rathaus an und bat die Ordnungsamtsleiterin Claudia Ellgoth um Unterstützung. Sie wählte sofort die 110 und Polizei und Feuerwehr fanden die Frau in ihrem Bett hilflos liegend. Sie wurde umgehend ins Bonhoeffer-Klinikum eingewiesen. Inzwischen, so hat Jörg Heibel vom Sohn erfahren, gehe es ihr wieder besser. Sie musste an der Wirbelsäule operiert werden.

Die 80-Jährige lebt allein in ihrer Wohnung, die Kinder wohnen nicht in der Region. Ob die Nachbarn regelmäßig bei ihr reinschauen, das konnte Jörg Heibel nicht sagen. Dass Rettungskräfte sich gewaltsam Zugang zu Wohnungen alleinstehender und meistens älterer Bürger verschaffen müssen, kommt im Amtsbereich nicht so häufig vor, ist aber auch nicht so selten, sagt Altentreptows erste Stadträtin Claudia Ellgoth auf Nachfrage. Ihr Rat: Wenn schon kein Angehöriger in der Nähe lebt, sollten Nachbarn lieber einmal öfter rein schauen. „Oder sobald jemand, der sonst täglich im Garten oder draußen ist, nicht mehr dort gesehen wird, sofort nachschauen, warum das so ist oder Hilfe holen.“

Pflegedienste bieten eine gewisse Sicherheit

Dass jemand aus unterschiedlichen Gründen heraus hilflos in der eigenen Wohnung liegt, wird auch künftig nicht zu vermeiden sein. Da sind sich Pflegedienste einig. Denn nicht jeder möchte sich von ihnen betreuen oder Fremde ins Haus lassen. Manche überschätzen sich auch und meinen trotz Gebrechlichkeit noch allein zurechtzukommen.

Das Risiko, hilflos in den eigenen vier Wänden zu liegen und dabei lange unentdeckt zu bleiben, ist aber in jenen Bereichen, in denen Pflegedienste im Einsatz sind, weit geringer als bei Alleinlebenden. „Dass jemand drei Tage verletzt in seiner Häuslichkeit ist und niemand reagiert, das geht bei uns nicht“, sagt Kerstin Völz, stellvertretende Leiterin der Diakonie Sozialstation in Burow. Jeder Klient sei mit einem Hausnotruf ausgestattet und die Pflegekräfte erschienen mehrmals am Tag in den Wohnungen.

Notrufsender als Hilfe

Die Vernetzung zwischen Klient, Notrufzentrale, Angehörigen und dem Pflegedienst sei sehr engmaschig. „Wenn da jemand per Telefon nicht erreichbar ist, wird sofort recherchiert, was da passiert ist.“ Es komme auch vor, dass Dienstleister, wie jüngst ein Hermes-Bote, bei der Diakonie anriefe und mitteilte, dass jemand im Dorf nicht öffne. Solche Anteilnahme erfreue die Mitarbeiter der Sozialstation. Derjenige war übrigens im Dorf unterwegs und hatte seinen Notrufsender abgelegt.

Einen solches Gerät könne sich jeder zulegen, der allein lebt. Er kann am Handgelenk oder an einer Kette um den Hals getragen werden. „Da braucht es keinen Pflegegrad“, sagt Petra Stolpe, Mitinhaberin des Hauses Maria in Altentreptow. Er biete Sicherheit. „Es kommt vor, dass Klienten vergessen, sich abzumelden, weil sie die Wohnung verlassen wollen. Wenn sie dann nicht zum vereinbarten Termin die Haustür öffnen, dann wird über den Notruf eine Hilfskette ausgelöst.“ Daneben setzt auch sie auf Nachbarschaftshilfe, wenn keine Angehörigen oder Pflegedienst vor Ort sein können.