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Darum trainieren Neubrandenburger Amateurfunker für den Ernstfall

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Wenn Telefon und Handy versagen, sind sie zur Stelle: Amateurfunker. Bei einer großen Übung waren auch Neubrandenburger aktiv. Die haben allerdings Sorgen.
Veröffentlicht:10.01.2023, 18:56

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Es knistert, es rauscht, es knackt, aber man hört keinen Ton. Mario Kricheldorf sitzt auf der vordersten Kante der Pritsche in dem Fahrzeug des Katastrophenschutzes und friemelt vornübergebeugt an dem Apparat vor sich. Dreht an Knöpfen, überprüft die Einstellung. „Wir haben ja noch ein bisschen Zeit. Wer hetzt, macht nur Fehler“, bleibt Kricheldorf gelassen.

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Es ist ein Donnerstag im Dezember, 10.30  Uhr. In einer halben Stunde sollen Mario Kricheldorf und seine beiden Kollegen Jörg und Rüdiger an einer nationalen Übung zum bundesweiten Warntag teilnehmen. Draußen in der Kreisstadt der Mecklenburgischen Seenplatte türmt sich der Schnee, innen ist es wohlig warm, sodass die drei Männer in ihren blauen, kurzärmeligen Vereinshemden werkeln. Sie sind Relikte einer fast ausgestorbenen Gattung: Amateurfunker.

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Technikbegeisterte Jugendliche sind sehr willkommen

Noch gibt es einige von ihnen im Ortsverband der Neubrandenburger Amateurfunker. 54 Mitglieder weist die Internetseite der Funker aus, doch der Altersdurchschnitt steigt und längst nicht alle sind noch aktiv, weiß der Vorsitzende Mario Kricheldorf. Es fehlt an Nachwuchs. „Wir würden uns freuen über technikbegeisterte Jugendliche, das ist ein tolles Hobby“, schwärmt Mario Kricheldorf und legt los. Nicht umsonst gehöre der Funkverkehr zum immateriellen Weltkulturerbe. Die Faszination dieser Art von Kommunikation lasse einen nicht mehr los. Er selbst und seine Kollegen waren schon als junge Männer bei der Marine Funker.

Durchs Funken Kontakte in die ganze Welt

„Früher konnte man in der DDR ja nicht unbeschwert reisen. Doch mit dem Funken hatte ich Kontakte überall auf der Welt“, erzählt Rüdiger Hagemann. Er habe schon in die Antarktis nach Afrika und Amerika gefunkt, berichtet er stolz. Sogar eigene Postkarten verschickt er, wenn er in Neubrandenburg angefunkt werde. So funktioniert die Gemeinschaft, die Postkarten sammelt man wie Fußballbilder oder Briefmarken. Dabei gilt: je exotischer ein Ort, desto begehrter.

Mario Kricheldorf erinnert sich an einen Urlaub in Südamerika mit der Familie. An einem Tag besuchte er eine Funkstation mitten im tropischen Regenwald und er konnte sich vor Anrufen kaum retten. „Funken trägt auf jeden Fall zur Völkerverständigung bei“, meint er, „denn wer redet, der schießt nicht.“

Zur Übung an die Leitstelle funken

Doch an diesem Warntag will es noch nicht so mit der Völkerverständigung klappen. Bei der groß angelegten Übung soll ein Kommunikationsausfall simuliert werden. Denn wenn das Telefonnetz und das Mobilfunknetz zusammenbrechen, dann schlägt die Stunde der Amateurfunker. In Güstrow sitzt die Leitstelle für Mecklenburg-Vorpommern. Ab 11  Uhr funkt jede Station im Land nacheinander Güstrow an. Für die Übung hat der Katastrophenschutz den Amateurfunkern extra einen Einsatzwagen zur Verfügung gestellt.

„Moin, moin, hier ist der Peter vom Datzeberg“

Und dann verwandelt sich das Knacken und Piepen in Worte, Mario Kricheldorf hat es geschafft. „Probleme gibt es nicht, nur interessante Dinge zu lösen“, grinst er. Aus dem Funkgerät kann man nun deutlich Stimmen durch das Rauschen erkennen.

„Hier ist Delta Lima Oscar Mike Sierra Echo, wie hört ihr mich?“ Knacken. Dann: „Moin, moin, hier ist der Peter vom Datzeberg. Verstehe euch gut.“ Auch so eine Sache. Funker fragen sich nicht gegenseitig, wie es ihnen geht, sondern wie sie sich verstehen.

Es trudeln noch mehr Funker ein. Nacheinander melden sie sich, jeder Funker mit Lizenz hat ein eigenes einzigartiges Kennzeichen. Dann, kurz vor 11  Uhr ruft Mario Kricheldorf zur Funkdisziplin auf. Schluss mit Smalltalk, die Übung wird ernst.

Empfang gut, senden klappt nicht

Der Kanal wird gewechselt, der Empfang ist über einige Umsetzer auf Güstrow ausgerichtet und dann geht es los. Der Distrikt Viktor, so nennen Funker MV, meldet sich jetzt nacheinander mit all seinen 30 Unterdistrikten bei der Leitstelle. Der Empfang in dem Wagen des Katastrophenschutzes ist gut, die Leitstelle ist klar und deutlich zu hören. Geduldig warten Mario, Jörg und Rüdiger, bis sie an der Reihe sind. Neubrandenburg steht an 22.  Stelle. Zwischendurch hören sie mit anderen Funkgeräten die anderen Kanäle durch. Immer wieder geben andere Amateurfunker ihre Position durch. Insgesamt melden sich zwei Dutzend an diesem Tag. Ein Erfolg, wie Mario Kricheldorf findet.

Dann ruft Güstrow Neubrandenburg. Neubrandenburg antwortet: „Hier ist Delta Lima Oscar Mike Sierra Echo, könnt ihr mich hören?“ Güstrow hört nicht. Noch mal. Wieder hört Güstrow nichts und geht über zum nächsten Stützpunkt. Nun sind die drei Funker in heller Aufregung. Der Empfang ist doch gut, warum senden wir nicht? Es wird gefriemelt, überlegt, an Rädchen gedreht und die Frequenz überprüft. Vielleicht liegt es am Subton? Liegt es.

Bei der Ahrtal-Katastrophe wurde auch gefunkt

Neuer Versuch und dann klappt es. Die Funkverbindung zwischen der Leitstelle in Güstrow und Neubrandenburg steht. Im Ernstfall wäre das enorm wichtig, so könnte schnelle Hilfe organisiert werden. „Zuletzt hat man das im Ahrtal gesehen, da wurde auch über Funk kommuniziert“, erklärt Mario Kricheldorf, dass das nicht nur ein abstrakter Gedanke ist, sondern ein sehr reales Szenario werden kann.

Für die Neubrandenburger Amateurfunker war das ihre erste Übung in dieser Größenordnung. Doch es soll nicht die Letzte gewesen sein.

Für die Zukunft wünschen sich die Amateurfunker vor allem Nachwuchs. Nicht nur Jugendliche, sondern jeder, der Spaß an Technik hat, sei willkommen. Die Funker bieten ein aktives Vereinsleben und Austausch unter Gleichgesinnten. Sie helfen einander bei Fragen, treffen sich regelmäßig und unternehmen Ausflüge. Wer Interesse hat, bei den Funkern vorbei zu schauen, kann sich bei Mario Kricheldorf per E-Mail an [email protected] melden – oder natürlich per Funk.