StartseiteRegionalNeubrandenburgDas Martyrium der kleinen Leonie

Mordprozess in Neubrandenburg

Das Martyrium der kleinen Leonie

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Was für ein Mensch ist David H., der seine Stieftochter Leonie getötet haben soll? Darüber sollten am Montag Zeugen aus seinem Umfeld Aufklärung geben. Doch sie stifteten vor allem Verwirrung.
Veröffentlicht:04.11.2019, 21:40

Artikel teilen:

Viele Worte sind inzwischen gefallen im Prozess gegen David H. um den Tod der sechsjährigen Leonie in Torgelow. Doch je mehr über die Tragödie und ihre Vorgeschichte gesagt wird, desto unklarer wird das Bild, das vor Gericht entsteht.

+++ Alle Nordkurier-Artikel zum Mordfall Leonie finden Sie hier. +++

Das zumindest ist das Fazit eines weiteren Prozesstags, der mit Aussagen des Vaters und einer weiteren Schwester von David H. eigentlich eine Runde neuer aussagekräftiger Zeugen verhieß. Doch alle widersprachen sich in ihren Aussagen. Erst recht, wenn die Aussagen anderer Zeugen aus früheren Verhandlungstagen hinzugenommen werden.

Eine Szene aus dem Herbst 2018 spricht Bände

Der Cousin des Angeklagten, Marko K., und die Ex-Freundin und Mutter des ersten Sohns von David H., Corinna  T., berichteten von einem aufbrausenden, sehr eifersüchtigen Mann, der anderen drohe, gewalttätig sei und sich selbst wichtiger nehme als sein Umfeld. Dem gegenüber standen Vater und Schwester des Angeklagten, die ihren Verwandten als ruhigen, zurückhaltenden Jungen auf Abwegen beschrieben. Laut beim Reden sei er, aber „immer für jeden da“ und verlässlich, sagte Cornelia  S. über ihren Bruder. Stattdessen belastete sie Leonies Mutter, Janine Z., schwer: Diese habe Leonie mit dem Tod bedroht. Einmal habe Leonie ihr, Cornelia S., anvertraut, dass ihre Mutter zu dem kleinen Mädchen gesagt habe: „Wenn Leonie böse ist, kriegt sie eine Spritze und geht in den Himmel.“

Sie konnte zwar nicht bestätigen, dass sie Leonie jemals mit Verletzungen gesehen habe, erinnerte sich aber an Wunden, die ihr Bruder an Augen und Lippe gehabt habe.

Schlug David   H. in der Küche auf Leonie ein?

Das war jedoch noch lange nicht der eindrücklichste Bericht, der an diesem Prozesstag vorgetragen wurde: Das Hauptaugenmerk lag auf der Küche der Todeswohnung – die David H. in weiten Teilen selbst aus Holz gebaut hatte, wie er im Herbst 2018 stolz im Netzwerk Facebook präsentierte. Dorthin lud er seinen Cousin Marko K. ein – und der will dort mitbekommen haben, wie David H. auf Leonie losging.

Es waren Szenen roher Gewalt, die Marko K. schilderte: Als der Angeklagte und sein Cousin gerade einen Kaffee in der Küche getrunken hätten, sei Leonie zu ihnen gekommen. Sie habe eine benutzte Windel ihres kleinen Bruders Jonathan in den Müll werfen wollen. Doch die damals Sechsjährige habe sich für den falschen Müllbeutel entschieden, den gelben Sack statt den Hausmüll. Daraufhin sei David H. „ausgeflippt“. „Er hat sie mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, ziemlich doll“, erinnerte sich K. an jenen Tag im September 2018.

Als das Mädchen bereits heulend in der Küche gestanden habe, sei David H. noch weiter gegangen: „Er hat die Lütte mit dem Kopf in den schwarzen Sack mit den Pampers gestopft“, beschuldigte Marko seinen Cousin. Und Leonies Mutter? Die habe sich vom Angeklagten mit einem simplen Zuruf ruhigstellen lassen: „Hier ist nichts passiert!“

Gutachter beruhigt Leonies leiblicher Vater

Während Marko K. seine Aussagen machte, schlug Oliver E., Leonies leiblicher Vater, die Hände vor sein Gesicht und wischte sich über die Augen. Ein Gutachter fuhr ihm beruhigend über den Arm. Ihm direkt gegenüber saß David H., blickte starr auf den Boden, schüttelte ab und zu den Kopf und zuckte nervös mit den Beinen. Während K. mit seinen Anschuldigungen fortfuhr, fixierte Leonies leiblicher Vater sein Gegenüber immer wieder mit hasserfülltem Blick.

Und doch war der Nachmittag im Herbst 2018, den Marko K. schilderte, offenbar alles andere als ein klarer Fall: K. verstrickte sich unablässig in Widersprüche, hatte Mühe, den Fragen des Gerichts zu folgen. Er wirkte verängstigt, mit der Situation überfordert und von der Szenerie eingeschüchtert. Als Analphabet war er auch nicht in der Lage, in seiner Aussage bei der Polizei zu lesen. Auf die Frage, warum er sich erst im August, Monate nach der Tat, bei der Polizei gemeldet habe, verhaspelte er sich: Die Mutter von Janine Z. habe „Druck gemacht“. Er korrigierte sich sofort – aber die Frage nach seiner Glaubwürdigkeit stand unausgesprochen im Raum.

+++ Mehr lesen: Die Rolle der Mutter im Mordfall Leonie +++

Ähnlich wirr blieb die Aussage von David H.s Vater Rene. Der 47-Jährige konnte zwar berichten, wie sein Sohn nach seiner Flucht aus dem Pasewalker Polizeirevier bei ihm anrief, von einer Tankstelle aus. Er sei dann widerwillig hingefahren, schilderte der Vater. Aber als sein Sohn damit rausgerückt habe, dass er vor der Polizei fliehe, die „ihn einsperren wollte“, ihm „einen Mord anhängen wollte“, habe er den Sohn wieder aus dem Auto geworfen: „Damit wollte ich nichts zu tun haben.“

Wuchs David H. schon mit Gewalt im Elternhaus auf?

Auf die übrigen Fragen des Gerichts, etwa nach Gewalt im Elternhaus, vermochte der Vater keine Antworten zu geben. Dafür legten andere Zeugen nach. Bei der Frage nach Gewalt in der Kindheit, verweigerte H.s Schwester die Aussage, kämpfte aber mit den Tränen. Seine Ex-Freundin Corinna T. hingegen wollte genau wissen, dass es im Elternhaus von David Schläge gab – gegen fast alle Kinder.

Und in diesem Moment brach sogar David H. sein Schweigen, wenn auch nur ganz sachte. „Das stimmt nicht“, flüsterte der Angeklagte aufgebracht. Ihm war die Befragung seines Vaters spürbar unangenehm. Als dieser gefragt wurde, wie das Verhältnis zum Sohn gewesen sei, antwortete er entlarvend kurz und nichtssagend: „Was soll ich da jetzt sagen?“ David H. habe irgendwann eben seinen eigenen Weg gehen wollen. Der Vater weiter: „Und nun sehen wir ja, wo uns das hingeführt hat.“
+++ Mehr lesen: Vater warf David H. aus dem Auto +++