StartseiteRegionalNeubrandenburgEin feuriges Menü für "Sieglinde"

Geschmacksexplosion

Ein feuriges Menü für "Sieglinde"

Schwerin / Lesedauer: 5 min

Drei Töpfe stehen auf dem Herd von Kerstin Haker. Darin köcheln Suppe, Chutney und Dal, ein Bohnengericht, langsam vor sich hin.
Veröffentlicht:20.10.2010, 00:00
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Die 44-Jährige hackt derweil Zwiebeln und schält Ingwer. Der frische Geruch dieser Zutaten steigt unweigerlich auf, kribbelt in der Nase und mischt sich mit unzähligen Düften, die fremd erscheinen. "Das sind sie auch. Jedenfalls die meisten. Ich habe noch nie zuvor so viele Gewürze gesehen, probiert und ihre Wirkung kennengelernt", sagt die Yoga-Lehrerin aus Altentreptow. Kein Wunder: Gewürze und ihre Wirkung sind ein Hauptelement in der ayurvedischen Küche. Und die hat Kerstin Haker von Grund auf kennengelernt. In der Schweriner Baltic Academy, einem Institut der privaten Hochschule Baltic College, ließ sie sich neben Küchenprofis in die Geheimnisse ayurvedischen Kochens mit regionalen Produkten einweihen. Inzwischen, nach 160 Stunden Ausbildung, ist sie eine der wenigen im Land, die sich Ayurveda-Koch nennen dürfen. Seit Herbst vergangenen Jahres wird diese einzigartige professionelle Ausbildung für Spitzenköche und andere Interessenten, die im Gesundheitsbereich auf eine besondere Ernährung setzen, an der Baltic Academy angeboten.

"Wir vermitteln zielgerichtet Wissen, das unsere Teilnehmer in ihrem Tätigkeitsbereich einsetzen können", sagt Gourmetkoch Udo Schneider. Er ist freiberuflicher Dozent, lehrt unter anderem an der Europäischen Akademie für Ayurveda im hessischen Birstein und bringt neue Trends in die Küchen renommierter Sterne-Hotels. Dafür ist der 43-Jährige viel unterwegs. Indien, Türkei, Südafrika, La Gomera - "Ayurveda, die Weisheit des Lebens, ist in der westlichen Welt keine Modeerscheinung mehr. Diese 5000 Jahre alte, allumfassende Philosophie erfährt weltweit immer größere Bedeutung, wenn es um die Gesundheit geht. Medizinische Aspekte, Prävention durch Massagen oder Yoga, aber eben auch die Ernährung sind wichtige Elemente, um das innere Gleichgewicht herzustellen und Erkrankungen vorzubeugen." Auch in Deutschland, vor allem im Tourismusland Mecklenburg-Vorpommern, werben immer mehr Häuser mit Wellness- und Gesundheitsofferten, die der aus Indien stammenden Lehre folgen. Im Ayurveda unterscheidet man drei Arten von Lebensenergien. Diese Doshas (Vata, Pitta und Kapha) sollen bei einem gesunden Menschen möglichst harmonieren.

Dennoch, so Küchenmeister Udo Schneider, bestimmt ein Dosha den Typ. Auf diesen sind Behandlungsansätze ebenso wie die Nahrungszubereitung abgestimmt. Das hat auch Kerstin Haker verinnerlicht. Ihre Prüfungsaufgabe sieht eine Mahlzeit für die 40-jährige Sieglinde vor. Die Mutter und Hausfrau leidet an Verdauungsstörungen und hat Übergewicht. "Ganz klar, ein Kapha- Typ", sagt Kerstin Haker und stellt den Mix aus einheimischen Zutaten und fremdländischen Gewürzen zusammen. "Das Essen für den Kapha-Typ ist eher schärfer gewürzt. Es soll anregend, aber nicht allzu nährend sein. Das heißt, wenig Fett, dafür viel Gemüse, das sättigt, Vitalität spendet und die Zellerneuerung unterstützt", erklärt Udo Schneider und schaut in die Töpfe. Hier köchelt es immer noch langsam vor sich hin. Das behutsame Garen der vor allem vegetarischen Zutaten ermöglicht die gezielte Aufnahme und bessere Verwertbarkeit lebenswichtiger Vitamine. Kerstin Haker schnuppert sich an einem der Nebentische durch die überwältigende Vielfalt der Gewürze. In einem kleinen Schälchen sammelt sie Kreuzkümmel und Chili, Ajwein (ein sehr scharfes, typisch indisches Gewürz) und Koriander. Mehr als 30 Gläser mit den geruchs- und geschmacksintensiven Zutaten von Anis bis Zimt stehen hier bereit.

Auch ganz ungewöhnliche wie beispielsweise die getrockneten Kerne der Papaya-Frucht. "Sie haben eine leicht pfeffrige Note", erläutert Schneider seinen Schülern, die immer wieder probieren und so manches Mal ins Schwitzen kommen. Nicht etwa am Herd, wo die Menüs langsam servierfertig werden. Vielmehr spüren die Eleven die Wirkung der Hitze bringenden Gewürze. Der Stoffwechsel wird tüchtig angekurbelt, das hat wohl jeder schon einmal bei einem scharfen Essen gespürt, meint Schneider. Der Gourmetkoch verrät, dass es sich bei den Gewürzen hier lediglich um eine gängige Auswahl handelt. Seine eigene Küche halte weitere 20 ungewöhnliche Spezialitäten bereit. Hinzu kämen 50 heimische Zugaben wie Rosenblätter oder Lavendelblüten.Blätter und Blüten werden auf dem Teller der fiktiven Sieglinde, die von Kerstin Haker bekocht wird, nicht landen. Sie wird vielmehr die feurige Wärme von Ingwer, Chili und Pfeffer spüren - in einer scharfen Möhren-Apfel-Suppe. Alle sechs Geschmacksrichtungen des Ayurveda bedient Kerstin Haker mit ihrem Chutney aus Backpflaumen, Äpfeln und Tomaten. Natürlich mit reichlich Chili, Pfeffer, Ingwer und Co.

Als Hauptgericht tischt die Inhaberin eines Yoga- undAyurvedazentrums ein Munkbohnen-Gericht auf, welches mit Zwiebeln, Tomaten und Lauch verfeinert wurde. Und natürlich etlichen Gewürzen! Scharf fällt auch der Nachtisch aus: ein Gewürzkaffee, der die Verdauung unterstützen soll. Kerstin Haker, die Chemielaborantin, aber auch Landwirtin, Trainerin und Diplom-Yoga-Lehrerin ist, hat Spaß bei dieser Art des Kochens, das mit indischer Küche, wie man sie in Restaurants kennenlernen kann, kaum etwas gemein hat. "Ich biete in meinem Zentrum ayurvedische Massagen an und möchte diese um den Aspekt der Ernährung ergänzen", sagt die nun zertifizierte Köchin. Sie will künftig Entspannungs- und Bewegungskurse mit gemeinsamen, natürlich ayurvedisch ausgerichteten Kochstunden krönen.

Aus der alten indischen Heilkunst

Ayurveda ist eine Sammlung wichtiger Lehren und Erfahrungen der alten indischen Heilkunst. Der aus dem Sanskrit stammende Begriff bedeutet Lehre vom langen Leben (Lebensweisheit, Wissenschaft vom Leben) und betrachtet den Menschen umfassend in seiner Beziehung zur Umwelt. Ziel ayurvedischer Heilkunst ist es, ernsthafte Erkrankungen zu vermeiden. So wird versucht, den Auslöser einer Erkrankung zu verstehen und ungesunde Gewohnheiten abzulegen. Eine Vielzahl von Behandlungsansätzen (wie Ölgüsse, Massagen, wärmende Packungen) soll dazu beitragen, Selbstheilungskräfte im Körper zu aktivieren. Dazu gehört auch eine spezielle Ernährungslehre, die nach spezifischen Temperamenten oder Lebensenergien typisiert wird. BA"

Ich habe nie zuvor so viele Gewürze gesehen und probiert."