StartseiteRegionalNeubrandenburgHelfer aus der Region im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben

Einsatz im Katastrophengebiet

Helfer aus der Region im Einsatz in Haiti nach dem Erdbeben

Neubrandenburg / Lesedauer: 6 min

Das Kleether Ehepaar Fibinger war kürzlich in Haiti, um dort Hunderten Erdbeben-Opfern zu helfen. Dem Nordkurier berichteten sie auch, wie ein kleines Baby das Team in Atem hielt.
Veröffentlicht:22.09.2021, 09:04

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Bretterhütten, die kaputt sind. Müll, der sich türmt. Straßen, die verschlammt sind. Die Auswirkungen eines Erdbeben halten den Inselstaat Haiti seit Mitte August in Atem. Das Beben war mit 7,2 sogar etwas stärker als das von 2010, bei dem mehr als 200 000 Menschen ihr Leben verloren. Damals war vorwiegend die Hauptstadt Port-au-Prince betroffen. Nun sind ländlichere Gebiete in Mitleidenschaft gezogen worden. Die Zahl der Toten wird mit etwa 2200 angegeben, die der Verletzten mit mehr als 12 000. Und inmitten dieses Chaos und dieser Verzweiflung drängte ein kleines Baby zu schnell auf die Welt.

Dies zarte Mädchen gilt Gabriel und Beate Fibinger wohl als eine Art Hoffnungsträger in einer Welt der Hoffnungslosigkeit. Das Ehepaar, das in Kleeth zu Hause ist, war kürzlich mit einem 35-köpfigen Team der I.S.A.R. Germany (International Search And Rescue) im Katastrophengebiet am Ende der Welt. Beate Fibinger war als Krankenschwester gefragt, ihr Mann als Bautechniker und Logistiker. Als Mitglieder der Rettungshundestaffel „Vier Tore“ kennen sie Einsätze, die an den Kräften zehren und die bis Mark gehen. Haiti 2021 habe ihnen aber so Einiges mehr abverlangt, sagen sie.

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IsaRbell – aus Dankbarkeit für die Arbeit von I.S.A.R Germany haben Mutter und Oma diesen Namen gegeben, und auch so geschrieben – jedenfalls wollte viel zu früh auf die Welt, wog nur 1800 Gramm. „Ihre Mutter konnte sie nicht versorgen“, denkt die 54-Jähriger zurück.

Als Erstes sei dem Mädchen eine Infusion gelegt worden, was gar nicht so einfach gewesen sei angesichts der Zerbrechlichkeit dieses kleinen Lebens. Abwechselnd habe sich das Team rund um die Uhr um den Säugling gekümmert. Mit einer neuen Hundetrinkflasche und einem Katheder haben die Helfer eine Mini-Trinkflasche für IsaRbell gebastelt. „Not macht erfinderisch“, sagt Gabriel Fibinger. Nichts könnte in diesem Moment wohl zutreffender sein.

Dank sozialer Medien seien die Amerikaner auf IsaRbells Schicksal aufmerksam geworden und hätten einen Helikopter geschickt, der IsaRbell und vier Schwerverletzte ausflog.

Zum ISAR-Team gehören Hebamme und Ärzte

Das Paar aus Kleeth lächelt. Seit rund zwei Wochen ist es zurück. Es sitzt auf dem Hundeübungsplatz der Rettungshundestaffel „Vier Tore“ in der Bassower Straßen in Neubrandenburg. Die Sonne blinkert durch die Baumkronen. Gabriel Fibinger blickt um sich und spricht von einem Paradies, in dem die Leute hier lebten, „auf der goldenen Seite“. Was aus IsaRbell geworden ist, wüssten beide leider noch nicht. Aber ihre Chancen seien in den USA wohl größer als je zuvor gewesen. Während ihres Aufenthaltes in der Region sind laut Beate Fibinger zwei weitere Babys zur Welt gekommen. Eine Hebamme gehöre auch zum ISAR-Team sowie vier Ärzte, die vor Ort auch operierten.

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Die Fibingers waren ohne Hunde in Haiti. Einen Rettungseinsatz mit Hunden im Ausland sei schwierig, sagen sie. Das Zeitfenster für eine Suche mit Erfolgschancen sei knapp bemessen. Spätestens 48 Stunden nach einem Unglück müssten die Hunde suchen können.

Außerdem waren die Voraussetzungen in Haiti mehr als nur eine Herausforderung gewesen. Vor allem die dortige Sicherheitslage habe den Helfern Sorgen bereitet. Der Präsident war erst wenige Wochen zuvor ermordet worden. Bandenkriminalität und Korruption stünden an der Tagesordnung. „Wir durften nicht allein unterwegs sein“, so der 55-jährige Gabriel Fibinger. Ärzte und andere Europäer seien kurz vor ihrer Ankunft entführt worden. Mit „den Weißen“ wollen Haitianer viel Geld erpressen. In Convois waren die Helfer unterwegs, Ex-KSK-Mitglieder sorgten unter anderem für ihre Sicherheit. „Das Land liegt quasi am Boden“, sagt Beate Fibinger. Kein Tourismus, kaum Wirtschaft, keine Industrie. Leben bedeute für die große Mehrheit Armut. Die Strände im Paradies sind vermüllt. „Wenn man 70 Cent am Tag verdient, für Lebensmittel, die so viel kosten wie bei uns, spielt der Traumstrand keine Rolle“, erklärt ihr Ehemann die dramatische Lage der Einheimischen.

Jeder kann sich auf jeden im Team verlassen

Er und seine Frau sind glücklich und erfüllt, wenn sie helfen können. Seit 2011 sind sie bei der ISAR Germany dabei. In Haiti konnten sie über 800 Patienten helfen, darunter 200 zum Teil schwerst verletze Kinder. Die medizinische Versorgung existiere dort eigentlich nicht. In dem Gebiet, wo die Helfer waren, gibt es zum Beispiel nur eine Krankenschwester, die alle Behandlungen fotografierte und dokumentierte, um die Patienten auch nach Abzug der Helfer weiter betreuen zu können.

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Gabriel und Beate Fibinger schätzen bei solchen Einsätzen in der Fremde und Ferne vor allem den Zusammenhalt im Team. Jeder könne sich auf jeden verlassen. Das Übernachten im Zelt dürfte das geringste Problem dabei sein und ein dickes Fell bei einem Schlafnachbarn, der schnarcht, gehöre ebenfalls dazu, meint Beate Fibinger mit einem Lächeln.

Gemeinsam an einem Strang zu ziehen, sei immens wichtig. Immerhin mussten für und in Haiti zwölf Tonnen an Material und Lebensmittel per Hand bewegt werden, darunter 1,25 Tonnen Reis. Vom Flugzeug auf den Lkw, vom Lkw aufs Boot, vom Boot an den Strand, vom Strand ins Camp. Auch eine Trinkwasseraufbereitungsanlage gehörte dazu. „Wir haben es in der Zeit geschafft, 8000 Liter Trinkwasser aus Regenwasser zu generieren“, freut sich Gabriel Fibinger, der sich an ganz andere Einsätze erinnert, bei denen Trinkwasser Goldstaub war. „Auf den Philippinen nach dem Taifun 2013 hatte jeder fünf Liter pro Tag. Da überlegt man sich, ob man sich die Zähne putzt oder lieber ein Kaugummi nimmt“, sagt er.

Rückflug gelang nur durch viel Geld

Dass diese Einsätze in den oftmals entlegensten Winkeln der Welt überhaupt möglich sind, hat das Paar im Übrigen auch ihren Arbeitgebern zu verdanken. Beate Fibinger arbeitet im städtischen Pflegeheim in der Neubrandenburger Oststadt und Gabriel Fibinger ist bei NAW Neustrelitz angestellt.

Die beiden Arbeitgeber haben wohl auch etwas länger auf die Rückkehr der beiden warten müssen. Denn die Rückreise habe sich als äußerst schwierig erwiesen, sagen sie. Aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse in Afghanistan durch die Machtübernahme der Taliban und mit eilends gestarteten Evakuierungsaktionen samt -flügen blieb für die Helfer in Haiti keine Chartermaschine mehr übrig. Alle Welt habe auf allein auf Afghanistan geschaut. Haiti und sein Volk war im Spiegel der Zeit – in den Augen der Fibingers – vergessen und verloren.

Letztlich gelang der Rückflug für einen Haufen Geld. Trotz aller Hindernisse wollen die Freiwilligen diesen Hilfseinsatz keinesfalls missen, sondern stehen für neue Aufgaben bereit. „Jeder Mensch sollte mit seinem Leben die Welt ein klein wenig besser machen“, zitiert Beate Fibinger aus „Der kleine Lord“, der als fester Bestandteil im Weihnachts-TV-Programm gilt. Eine zu Herzen gehende Geschichte und die Fibingers stecken ihr Herz in solche Einsätze wie Haiti – für Menschen, denen nicht mehr viel als ihr Leben geblieben ist.