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Klagen gegen Corona-Bußgelder werden verhandelt

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

In Neubrandenburg beginnen in dieser Woche Verhandlungen vor Gericht, weil Menschen gegen die Bestimmungen zur Pandemie-Bekämpfung verstoßen haben sollen. Permanent wachsame Nachbarn spielen dabei eine wichtige Rolle.
Veröffentlicht:25.01.2021, 06:00
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Holger L. lässt es jetzt darauf ankommen. Der Neubrandenburger, ein Mann in den besten Jahren, hat dicht gemacht und sich hartnäckig geweigert, eine 178,50 Euro hohe Geldbuße zu begleichen. „Das“, sagt der Schuldner, „ist ungerecht und deshalb will ich das Geld auch nicht bezahlen“. Am nächsten Freitag muss Holger L. vor Gericht antreten – in einem sogenannten Ordnungswidrigkeitsverfahren. Keine große Sache, selbst wenn er dort unterliegt, zählt der Neubrandenburger nicht als vorbestraft.

Sechs Polizisten standen vor der Tür

Und trotzdem: L. fühlt sich zu unrecht zu der Geldzahlung verdonnert. Der Neubrandenburger hat sich in der Oststadt um einen Pflegebedürftigen gekümmert und als er Ende April in der Wohnung des Mannes eine von der Krankenkasse vorgeschriebene Übergabe an seinen „Stellvertreter“ machen wollte, klingelte auf einmal die Polizei. „Sechs Beamte standen im Treppenhaus, alle ohne Mundschutz“, beschwert sich Holger L. Er mutmaßt, dass die allzu wachsamen Nachbarn die Ordnungshüter gerufen haben.

Tage später bekamen die beiden Männer eine teure Quittung. Weil sie eine „Corona-Party“ gefeiert haben sollen, erhielten sie Bußgeldbescheide vom Ordnungsamt Neubrandenburg über jeweils 178,50 Euro. Neben der Höhe des Bußgeldes wurmt die beiden auch die ihrer Ansicht nach ungerechte Behandlung. „Ich bin ein sozialer Mensch und helfe gerne, will dann aber nicht dafür bestraft werden“, sagt einer der beiden, der sich auch ehrenamtlich beim Technischen Hilfswerk engagiert. Er wohnte in unmittelbarer Nähe der Pflegeperson, die mittlerweile dauerhaft in einer Pflegeeinrichtung untergebracht ist. Holger L. und sein Kollege, die nach eigenen Angaben negativ auf das Covid-19-Virus getestet waren, räumen allerdings ein, dass sich in der Wohnung mit einer gemeinsamen Freundin noch eine vierte Person befand. „Das war ein Fehler.“

Zwei weitere Verhandlungen am gleichen Tag

Die beiden Männer sind aber nicht die einzigen, die ihren Bußgeldbescheid vor Gericht anfechten wollen. Richterin Birgit Hensellek muss noch in zwei anderen Fällen darüber entscheiden, ob die ergangenen Geldbußen rechtens sind. Zunächst gegen eine Gruppe von Leuten, die gemeinsam an einer Tankstelle gestanden und dabei sämtliche Corona-Vorsichtsmaßnahmen missachtet haben sollen. Und bevor Holger L. und sein Leidensgefährte an der Reihe sind, müssen sich Liebhaber von heißem Fleisch und kühlen Getränken verantworten. Weil zu viel Leute gemeinsam gegrillt haben, sollen die dabei ertappten Delinquenten ein Bußgeld berappen – und weigern sich zu zahlen, wie die Betroffenen in den anderen beiden Fällen.

Urteil aus Thüringen lässt aufhorchen

Ganz interessant in diesem Zusammenhang klingt da ein aktuelles Urteil des Amtsgerichts im thüringischen Weimar. Auch dort sollte die Justiz über ein Bußgeldverfahren entscheiden. Hintergrund war, dass Ende April vergangenen Jahres ein Mann zusammen mit sieben weiteren Personen im Hof eines Wohnhauses in Weimar Geburtstag gefeiert hatte. Nach der kurz zuvor beschlossenen Verordnung war der gemeinsame Aufenthalt nur mit höchstens einer haushaltsfremden Person erlaubt. Wie der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) berichtet, verhängte die Stadt sechs Monate später einen Bußgeldbescheid gegen den Mann. Laut Amtsgericht war das aber verfassungswidrig, da in der Verordnung des Landes eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage fehle. Zum anderen verletze das Kontaktverbot die in Artikel 1 des Grundgesetzes garantierte Menschenwürde. Ein solches Kontaktverbot sei nur mit der Menschenwürde vereinbar, wenn es einen Notstand gebe, bei dem das Gesundheitssystem drohe zusammenzubrechen.

Das Urteil des Amtsgerichtes Weimar ist noch nicht rechtskräftig und auch nicht allgemeingültig. Wie das Gericht weiter mitteilte, darf bei Rechtsverordnungen, die nicht vom Bundestag oder von einem Landtag beschlossen wurden, jedes Gericht selbst über die Verfassungsmäßigkeit entscheiden. Konkrete Auswirkungen hat das Urteil des Amtsgerichts nur auf den Kläger und die Stadt Weimar. Der Kläger muss demnach das Bußgeld nicht zahlen.