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Unterlassene Hilfeleistung

Passanten ignorieren blutenden Mann am Boden

Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Wollen oder können die Neubrandenburger nicht mehr helfen, wenn ein Mitbürger neben ihnen zusammenbricht? Eine junge Frau hat gerade böse Erfahrungen gemacht und ein erfahrener Leiter von Erste-Hilfe-Kursen muss ihr zustimmen.
Veröffentlicht:01.02.2018, 06:00

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Die 27-jährige Neubrandenburgerin hat an dem Erlebten immer noch zu knabbern. Erst vor wenigen Tagen rutschte die junge Frau zufällig in eine Situation, die niemand herbeisehnt, die aber jedem widerfahren kann: Sie musste während der Autofahrt in der Sponholzer Straße auf der Höhe des dortigen Supermarkts einen am Boden liegenden Mann entdecken, um den sich offensichtlich niemand kümmerte.

Bei der nächsten Gelegenheit wendete die erschrockene Frau ihr Auto und fuhr zur Unglücksstelle zurück. „In der Zwischenzeit sind aber etliche Autos und sogar einige Fußgänger und Radfahrer dort vorbei gekommen – aber niemand hat gestoppt, um zu helfen“, zeigt sich die Neubrandenburgerin immer noch fassungslos.

Ausbilder: Jeder ist sich offenbar selbst der Nächste

Betroffen, aber nicht überrascht, so die Reaktion von Peter Lundershausen. Für den Neubrandenburger, der in seinem Leben schon Tausenden die Grundlagen für die medizinische Erste Hilfe vermittelt hat und der immer noch Ausbildungskurse anführt, stellt sich so ein Fall als gar nichts Besonderes dar. „Das geschieht tatsächlich nicht selten“, sagt Lundershausen, „dass Leute an offensichtlich hilfebedürftigen Menschen vorbei gehen und sich nicht kümmern“.

Können die nicht oder wollen die nicht? Auch darauf weiß der erfahrene Sanitätsausbilder eine schnelle Antwort: „Das hat in den allermeisten Fällen nichts damit zu tun, dass sich Leute nicht trauen. Viele wollen einfach nicht, sondern demonstrieren ganz offensichtlich Gleichgültigkeit“.

Verbittert meint der Neubrandenburger den Grund dafür zu kennen: „Die sagen sich, was interessiert mich dieser Mensch?“ Jeder sei sich offenbar selbst der Nächste, verallgemeinert Lundershausen. „Denn bei den zahlreichen Erste-Hilfe-Kursen, die wir für Fahranfänger und andere anbieten, kann bei vielen keine Rede davon sein, keine Ahnung zu haben.“ Denn falsch machen könne man bei einem Einsatz kaum etwas, so der Ausbilder.

Und wenn man nur mit dem Verletzten oder akut Erkrankten spricht, seine Hilfe anbietet und schnell nach einem Notarzt ruft – „das reicht in den meisten Fällen schon und verleiht dem Opfer ein Stück Sicherheit“, sagt Lundershausen. Der nicht müde wird zu mahnen: „Unterlassene Hilfeleistung, und das stellt auch schon achtloses Vorbeigehen dar, ist und bleibt eine Straftat“.

Unterlassene Hilfeleistung ist schwer nachweisbar

Die allerdings kaum angezeigt wird, heißt es auf Nachfrage bei einer Sprecherin der Neubrandenburger Polizei. „Die Beweislage ist natürlich schwierig und engagierte Ersthelfer oder gar die hilfebedürftige Person selbst haben bestimmt anderes zu tun, als auf solche Leute zu achten“.

Stellt dagegen die Polizei fest, dass sich Menschen der unterlassenen Hilfeleistung verdächtig gemacht haben, ermitteln die Beamten. Noch gar nicht so lange her, dass drei junge Leute vom Amtsgericht in Neubrandenburg wegen unterlassener Hilfeleistung zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt wurden. Die haben das blutende und schwer verletzte Opfer eines Kumpans einfach liegen gelassen und sind weiter gezogen.

In der Sponholzer Straße blieb die 27-Jährige Neubrandenburgerin dann aber doch nicht bei der Ersten Hilfe allein. „Eine Frau stoppte ihr Auto und sprang heraus. Ich hatte schon den Notdienst alarmiert und sie fühlte nach dem Puls. Hinterher war an ihrer Kleidung überall Blut, weil der ältere Herr am Boden stark aus der Nase blutete“.

Die Unterstützung durch die zweite Frau habe sie mit großer Dankbarkeit erfüllt, so die junge Frau. Aber das schale Gefühl bleibt bestehen: Warum haben andere nicht schon schneller geholfen?