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Pflegereform

Patienten leiden unter den höheren Löhnen der Pfleger

Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Seit September bekommen Pflegekräfte mehr Geld. Doch die Pflegereform wird auf dem Rücken der Patienten errichtet. Denn nur die zahlen bislang drauf – und geraten in Not.
Veröffentlicht:18.11.2022, 19:56

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Das Taschengeld der Enkel ist vorm Sozialamt nicht sicher. Wenn Oma und Opa den Pflegedienst nicht bezahlen können, wird geschaut, wo noch etwas zu holen ist. Maik Wolff weiß das. Er ist Leiter des Neubrandenburger Pflegedienstes Wilma und erlebt die Schicksale seiner Patienten aus nächster Nähe. „Eine schwerst pflegebedürftige Dame wurde vom Sozialamt aufgefordert, die 50 Euro, die sie ihrem Enkel monatlich zahlt, zurückzufordern. Und das für die letzten zehn Jahre“, sagt Maik Wolff. Ihren Anteil zur Finanzierung der Pflege könne sie nicht leisten.

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Dass sich die Zahl seiner Patienten, die beim Sozialamt anklopfen müssen, von September zu Oktober verdoppelt hat, liegt an einer Entscheidung des Bundeskabinetts. Das hat im vergangenen Jahr eine Pflegereform beschlossen: Alle Pflegedienste müssen ihre Mitarbeiter seit dem 1.  September nach Tarif bezahlen, die Höhe der Löhne legen die Krankenkassen fest. Der Beruf werde dadurch attraktiver, schreibt das Bundesministerium für Gesundheit auf seiner Website.

Patienten zahlen mehr, Pflegekassen nicht

Doch für die Patienten bedeutet die Reform laut Maik Wolff vor allem eines: „Sie müssen exorbitante Preiserhöhungen hinnehmen.“ Denn die Kosten, die für das Unternehmen durch die Lohnerhöhungen entstehen, würden an die Kunden weitergereicht. Bei einem Patienten mit Pflegegrad sei der monatliche Eigenanteil von 371 auf 624,80 Euro gestiegen, rechnet er vor. Gleich geblieben sei hingegen der Anteil, den die Pflegekassen den Pflegediensten für die Leistungen zahlen.

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Hinzu kommen Maik Wolff zufolge gestiegene Kosten für Energie und Benzin, die ebenfalls an die Kunden weitergereicht werden. Das führe bei vielen zu einem „riesigen Dilemma“. Denn ist kein Geld da, um den Eigenanteil zu stemmen, bleibe nur Sozialhilfe.

Problematisch sei dabei, dass viele Leute keinen Antrag auf Sozialhilfe einreichten. Aus Scham oder der Sorge, dass die Angehörigen sich beteiligen müssen – indem sie etwa das Taschengeld der vergangenen zehn Jahre zurückzahlen müssen. Wird das Sozialamt aber nicht kontaktiert, muss der Umfang der Pflege zurückgefahren werden. Mit zum Teil erniedrigenden Folgen. „Pflegebedürftigkeit geht oft mit Inkontinenz einher. Kann sich ein betroffener Patient keine regelmäßige Dusche mehr leisten, würde ich das nicht mehr als menschenwürdig bezeichnen“, sagt Maik Wolff.

Viele Anträge – Sozialamt kommt kaum hinterher

Er findet, dass der Staat die volle Finanzierung der Pflege übernehmen sollte. Die Bürger müssten mehr Geld für die Pflege alter und kranker Menschen abgeben. „Die Pflegeversicherungsbeiträge müssen erhöht werden“, sagt Maik Wolff. Die Landkreise mit ihren Sozialämtern würde er aus der Finanzierung raus nehmen, denn auch die stünden finanziell unter Druck. „Der Haushalt eines Landkreises darf nicht über die Würde eines Menschen entscheiden“, sagt Maik Wolff.

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Michael Löffler, Sozialdezernent des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte, hat die steigende Zahl derer, die sich ans Sozialamt wenden, längst bemerkt. Die Behörden stelle dies vor große Herausforderungen. „Mit der derzeitigen Zahl unserer Mitarbeiter können wir nicht jeden Antrag zeitnah bearbeiten“, sagt Michael Löffler.

Dass die Beiträge, die Pflegebedürftige vom Sozialamt bekommen, von dessen Haushalt abhängen, verneint er. Das Sozialamt sei gesetzlich dazu verpflichtet, bedürftige Menschen zu unterstützen. Er finde jedoch, wie Maik Wolff, dass die Pflegedienste von den Pflegekassen zu wenig Geld bekommen. „Das reicht bei Weitem nicht aus“, sagt Michael Löffler. Der Bund müsse handeln. Wie, lässt er offen: „Ob die Pflege durch Steuern oder höhere Pflegeversicherungsbeiträge gedeckt wird, muss Berlin entscheiden.“