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Interview

Santiano heiß auf Eis-Show in Neubrandenburg

Neubrandenburg / Lesedauer: 9 min

Endlich geht es für Santiano wieder auf Tournee. Am 12. Mai kommen die Seemanns-Rocker auch nach Neubrandenburg. Frank Wilhelm sprach mit Bandleader Björn Both.
Veröffentlicht:23.04.2022, 11:58

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„Wenn die Kälte kommt“, so der Titel des Tourneeprogramms. Was erwartet die Konzertbesucher?

Genau das. Wer unser neues Album kennt, weiß, dass wir ins Eis gegangen sind. Natürlich wollen wir das Konzept der CD auch auf die Bühne kriegen. Das heißt aber nicht, dass wir nur im neuen Album verharren. Wir werden natürlich auch die Titel spielen, auf die die Fans außerdem Bock haben. Aber grundsätzlich ist das Thema Eis, natürlich mit all den Schönheiten und Urgewalten der Natur, die man im Nordatlantik und den arktischen Gefilden vorfinden kann. Wir wollen Gottes Schöpfung in ihrer ganzen Palette opulent zeigen, um zugleich eine Sensibilität zu entwickeln für diese Grundquelle unseres Lebens, die uns gerade ein bisschen abhandenkommt.

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Auf der CD sind Sie alle mit dicken Pelzmänteln und Pelzmützen zu sehen. Wird das auch dieBühnenbekleidung sein?

(Both lacht) Nein, natürlich nicht. Zumindest ich würde das nicht durchziehen können mit diesem tonnenschweren Mantel. Die Sachen hatten wir uns vor dem Shooting aus der Requisite geholt.

Auf dem CD-Cover heißt es, dass Santiano einen der „neuen Helden, die mit der Natur kämpfen“, nämlich den Polarforscher Arved Fuchs unterstützen werden. Können Sie das bitte näher erläutern?

Wir haben uns eigentlich immer langgemacht für Themen, die uns am Herzen liegen. Wir haben uns für den Erhalt der Ozeane eingesetzt, für die Meeresschutzorganisation Sea Shepherd, für den Artenschutz und natürlich sind wir auch mittendrin in der Klimaschutzdiskussion. Da wir viele Kontakte beispielsweise zu Biologen haben, gibt es bei uns auch ein großes Interesse.

Und wenn wir jetzt ins Eis gehen, ergibt sich automatisch die Verbindung zum Klimaschutz. Das Engagement bekommen unsere Fans auch mit, ohne dass wir immer mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Gegend laufen wollen, schon gar nicht auf Konzerten.

Also unterstützt jeder Fan, der ein Ticket oder eine CD kauft, auch die Klimaforschung?

Auf jeden Fall. Wir werden auch einen CO₂-Abdruck von unserer ganzen Tour abnehmen. Wir werden auf das Thema aufmerksam machen. Und wir fertigen extra Shirts an, die die Leute kaufen können, wenn sie die Idee gut finden. Wir verzichten auf die Gewinne. Wir sind zu blöd, reich zu werden, hat mir neulich einer gesagt.

Den Auftakt für die Tour gab es am 18. April in Schwerin. Jetzt geht es Schlag auf Schlag bis in denSeptember hinein. Wie ist die Stimmung in der Band?

Wir reiben uns die Hände und freuen uns. Wir haben ja schon drei-, viermal unsere Konzerttouren verschieben müssen. So ganz sicher sind wir uns aber auch noch nicht, wir sind auf alles gefasst. Aber wir haben natürlich Bock. Gleichzeitig hatten wir als Band noch nie so eine Situation. Wir hatten schon ein halbes Jahr vor der Corona-Pause ab März 2020 nicht mehr live gespielt, weil wir unsere Unplugged-Tour vorbereitet hatten. Wie sind also zweieinhalb Jahre aus dieser Belastung raus, in der wir 30 Gigs in anderthalb Monaten spielen. Gerade als Sänger weiß man nicht genau, wo man steht.

Im Fußball sagt man: Das funktioniert nur auf dem Platz. Da ist was dran. Die richtige Blutgrätsche gibt es nicht im Training. Auf der Bühne ist es genauso: Wir müssen uns die Kräfte einteilen, sollten das Morgen im Blick haben. Uns fehlen zurzeit einfach unheimlich viele Routinen, die müssen wieder in den Körper.

Zwei Jahre Pandemie und lange Pausen. Wie haben Sie sich fit gehalten für die anstrengende Tour?

Wir haben alle versucht, uns sportlich fit zu halten. Was aber das eine oder Mal eher nicht gelungen ist. Wir hatten auch zwei Corona-Fälle, einmal unser Manager, der aber wie Adonis durch die Infektion gegangen ist. Axel (Stosberg) hat es ein bisschen härter erwischt, er hatte zwei Wochen richtig zu kämpfen. Ansonsten ist das Ding an uns vorbeigegangen, aber wir gehören auch zu den Leuten, die eher vorsichtig unterwegs sind.

Gab es in der Lockdown-Zeit einen Moment, dass die Band gesagt hat: Schluss! Aus! Wir packen für immer die Instrumente ein?

Man hat schon mal fatalistische Momente, wenn die Tour zum vierten Mal verschoben werden muss, oder wenn du sagst, das wird nie ein Ende haben. Oder es wird vielleicht nie wieder so kommen, dass wir mit 10.000 Besuchern Remmidemmi machen. Dann überlegt man kurz, ob man sich nicht umorientieren oder kleinere Brötchen backen sollte. Jeder versucht natürlich, aus dieser Warteposition rauszukommen. Aber alle Band-Mitglieder haben eben auch andere Eisen im Feuer, sodass wir nicht fingertrommelnd dasitzen mussten, dass es endlich wieder losgeht.

2013 trat Santiano als Vorband von Helene Fischer auf. Gibt es noch Kontakte zu der Sängerin?

Es ist jetzt nicht so, dass wir uns alle drei Wochen anrufen würden. Aber wenn wir uns irgendwo sehen, wissen wir schon, wem wir da gerade begegnen. Ich habe ja schon mehrere Duette mit ihr gesungen, auch in ihrer Show.

Sie schließen also weitere Auftritte nicht aus, etwa, wenn Helene Fischer Santiano zur Weihnachtsshow einladen würde.

Zum Beispiel, wir sind da überhaupt nicht abgeneigt. Wir schätzen sie auch sehr, sowohl als Mensch als auch als Sängerin. Es gibt wahrscheinlich keinen fleißigeren Künstler auf ihrer Ebene als Helene Fischer. Wir waren damals Zeuge, wie diszipliniert und wie intensiv sie während ihrer Tour arbeitet. Ich wäre schon beim Nachmittagsprogramm zusammengebrochen. 2013 hat es auch gepasst, wir waren geschmeichelt. Immerhin waren wir damals gerade frisch am Start. Insgesamt gesehen war das eine schöne Erfahrung für uns.

2014 nahm Santiano am Vorentscheid zum Eurovision Song Contest (ESC) teil, unterlag aber unter anderem „Unheilig“. Hätten Sie noch mal Lust auf ESC?

Nein, das war eine Zeit, in der wir noch über fast jedes hingehaltene Stöckchen gesprungen sind. Wir sind damals schon eher mit gemischten Gefühlen an die Sache herangegangen. Ich glaube nicht, dass wir das noch einmal machen würden. Wir haben längst unsere Position gefunden und müssen eben nicht mehr über jedes Stöckchen springen. Wir machen die Dinge, die uns gefallen. Ich will es aber auch nicht total ausschließen, falls es mal ein geiles Konzept gibt, das zu uns passt und wir gefragt werden, weil wir oft nicht Nein sagen können. Aber wir werden uns nicht bewerben.

2018 haben Sie sich beim Konzert in Neubrandenburg kritisch zum Rechtspopulismus in Europa und zur AfD in Deutschland geäußert. Aktuell gibt es auch viele Themen, die nach Positionen verlangen. Wie sieht es gerade in Ihrer politischen Seele aus?

Ich muss ja trennen zwischen meiner eigenen politischen Seele, die sicher noch einmal einen anderen Ton anschlagen würde, und der politischen Seele der Band, die natürlich etwas gemäßigter ausfallen dürfte. Als wir anfingen mit Santiano haben wir gedacht, wir sind eine Band, die übers Meer erzählt, über Seeleute und Segler. Nie hätte damals jemand gedacht, dass wir uns politisch in irgendeiner Form positionieren müssen. Wir hantieren mit den Begriffen Freiheit und Heimat – mehr als vielleicht andere Bands.

Und dann kommt das Jahr 2015, ein Jahr, in dem nach unserer Auffassung viele Dinge verrutscht sind. Da mussten wir uns zu Wort melden, weil die Dinge über den Jordan gegangen sind, die wir auf dem Schiff eigentlich gut brauchen können, darüber haben wir uns geeinigt, wir und unsere Fans.

Wobei man als Band doch sicher nicht immer einer Meinung mit jedem Konzertbesucher sein kann?

Da sind wir als Band, die ein breit gefächertes, sehr großes Publikum hat, anders unterwegs als eine Band, die weiß, dass sie mit ihren Fans immer einer Meinung ist, wie beispielsweise die „Toten Hosen“. Das ist eine komfortable Situation, die haben sie sich wunderschön erarbeitet, das will ich gar nicht bemängeln. Aber das ist was anderes, dort ein einschlägiges politisches Statement herauszuhauen und dir sicher zu sein, dass das Publikum das nicht nur gut findet, sondern auch erwartet.

Wir haben schon Leute aus dem Konzert rausgeschmissen, weil sie sich mit dem Hitlergruß vor einem Santiano-Foto haben fotografieren lassen. Wir haben den Fehler gemacht, sie nicht anzuzeigen, sondern nur rauszuschmeißen. Da haben wir gemerkt, wir müssen aufpassen. Mit Songs wie „Walhalla“, die uns falsch ausgelegt werden, mit einzelnen Textzeilen, die missbräuchlich auseinandergerissen werden. Mit „Frei wie der Wind“ hat beispielsweise die AfD Wahlkampf gemacht. Wenn man all das erlebt, sagt man sich: Wir müssen mal was klarstellen! Das machen wir dann nicht am Ende des Konzerts, sondern am Anfang. Damit einzelne Besucher noch gehen können, die gerade festgestellt haben, dass sie auf der völlig falschen Party gelandet sind.

Das sehen wir immer noch genauso. Freiheit geht mittlerweile mit jedem mit, der ihr einen Drink ausgibt. Und so ist es. Jeder beansprucht für seine eigene Befindlichkeit die allgemeingültige Freiheit, und das ist nicht richtig. Je nach Tagesform finde ich dafür harte Worte oder auch mal Worte, die man in der Kirche sagen dürfte.

Anfang März 2020 stand Santiano kurz vor dem Start der Unplugged Tour, die leider ausfallen musste. Können die Fans auf eine Wiederauflage hoffen?

Ganz abgeschrieben ist so etwas nie. Die Tour steht als Konzept natürlich weiter in unserem Regal. Aber eine Unplugged Tour ist besonders aufwendig. Wir hatten internationale Musiker dabei, wir haben ein kleines Orchester, wir waren 18 Musiker auf der Bühne, mindestens. Das muss nicht nur geprobt, sondern bis ins Detail geplant werden. Aber wenn wir eine Lücke in unseren Plänen finden, dann machen wir das.