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Hate Speech

So sehr belastet der Hass im Netz unsere Kommunalpolitiker

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

An der Seenplatte müssen sich Politiker immer größerer Feindseligkeiten erwehren – besonders im Internet. Betroffene berichten von zunehmender Verrohung.
Veröffentlicht:10.05.2021, 16:13

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Es muss ja nicht immer so enden wie in Grabowhöfe, der kleinen Gemeinde bei Waren. Hier holte sich Bürgermeister Enrico Malow bereits vor ein paar Jahren eine blutige Nase ab. Alles hatte der CDU-Bürgermeister in seiner ersten Amtszeit erwartet – aber nicht, dass ihn ein Mann aus dem Dorf körperlich angreifen würde.

„Die Schläge kamen wie aus heiterem Himmel“, erinnert sich Malow, „als ich am Abend im Dorf unterwegs war.“ Der Angreifer habe sich nach vielen Streitereien mit Nachbarn vom Bürgermeister im Stich gelassen gefühlt. Malow musste sich einige Tage krank schreiben lassen. Mittlerweile lebt der Mann mit den lockeren Fäusten nicht mehr dort.

Vorwürfe sogar gegen die eigene Familie

Viel mehr als körperliche Angriffe machen den ehrenamtlichen und hauptamtlichen Kommunalpolitikern in der Mecklenburgischen Seenplatte aber Beleidigungen und Bedrohungen zu schaffen – die hauptsächlich als anonyme Schreibereien in sozialen Netzwerken auftauchen. Der Präsident des Seenplatten-Kreistages, Thomas Diener, kann ein trauriges Lied davon singen. „Die Achtung vor anderen sinkt und die verbale Verrohung nimmt zu“, resümiert der 57-Jährige Landwirt, der seit einigen Jahren auch als Bürgermeister die Geschicke in Möllenhagen leitet. „Da muss man schon über einige Nehmerqualität verfügen.“

Viele Vorwürfe würden unter der Gürtellinie landen, und selbst die Familie werde davon nicht ausgenommen, so Diener. Spätestens dann höre für ihn der Spaß auf. Der Kreistagspräsident hat deswegen noch niemanden angezeigt. Die Zahl der anonymen Bedrohungen und Beleidigungen nehme aber seit Beginn der pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens zu, resümiert der ehrenamtliche Kommunalpolitiker.

Beschimpfungen nach vermeintlicher Vergewaltigung

In Neubrandenburg indes nimmt man nicht mehr alles demütig hin. Auch hier gebe es „Einzelfälle, die sich per Post, per Mail oder über die sozialen Medien an den Oberbürgermeister wenden und sich dabei im Ton vergreifen“, so eine Sprecherin der Stadtverwaltung. Auch wenn Rathaus-Chef Silvio Witt schon vor geraumer Zeit zugeben musste, sich ein „dickeres Fell“ zugelegt zu haben – zwei Mal hat er nach heftigen Drohungen schon die Polizei eingeschaltet und Anzeige erstattet.

So zum Beispiel nach einer vermeintlichen Gruppen-Vergewaltigung im Stargarder Bruch der Kreisstadt, die sich sehr schnell als ausgedacht erwies. Witt wurde deshalb massiv beschimpft und bedroht, weil er politische Mitschuld an der „Tat“ trage.

Bürgermeister denken über Rückzug aus Politik nach

Nach Ansicht der Polizei hat Witt richtig gehandelt: Hassreden im Internet müssen nicht hingenommen werden, Betroffenen und Opfern steht eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung, um gegen die Verfasser solcher Kommentare vorzugehen. Eine Reihe von Urteilen bestätigt, dass Hasskommentare auf Facebook und Co. zu teuren Strafen führen.

Zumal es für die Ermittler nicht mehr so schwer ist, im Internet zu ermitteln. Wie eine Polizeisprecherin sagte, brauche man keinen richterlichen Beschlusses mehr, um die Betreiber sozialer Medien zur Herausgabe der Klarnamen von Hass- und Hetzrednern zu zwingen. Ein schriftlicher Antrag der Polizei, in der auf Ermittlungen verwiesen werde, reiche schon aus. Dabei müsse man zwar manchmal noch etwas Geduld aufbringen, die Betreiber kämen aber nicht mehr drumherum, ihre „User“ beim Namen zu nennen, so ein Ermittler der Kripo.

Aus Sorge vor Beleidigung Verhalten geändert

Deutschlandweit ist mehr als die Hälfte der Bürgermeister mindestens einmal beleidigt, bedroht oder tätlich angegriffen worden. Die Mehrheit der Befragten (68 Prozent) hat aus Sorge vor Beleidigungen oder Angriffen ihr Verhalten geändert. Mehr als ein Drittel verzichtet weitgehend auf die Nutzung sozialer Medien.

Besorgniserregend für die Demokratie: Knapp ein Fünftel der Bürgermeister hat aus Sorge um die eigene Sicherheit oder die der Familie schon über einen Rückzug aus der Politik nachgedacht – so das Ergebnis einer repräsentativen Forsa-Umfrage. Anlass der Befragung war die Freischaltung des Portals „Stark im Amt“. Es bietet Kommunalpolitikern einen direkten Zugang zu Informationen und Angeboten, um Übergriffen vorzubeugen, aber auch um die Herausforderungen eines Angriffs zu meistern. Die Hälfte der Befragten, die schon von Hass und Gewalt betroffen waren, fühlen sich stark oder relativ stark belastet.

Bei Grabowhöfes Bürgermeister Malow hat das Attentat seinerzeit nicht zur Aufgabe seines Amtes geführt. Im Gegenteil: Der 40-Jährige hat sich seitdem nicht nur als Gemeindeoberhaupt wiederwählen lassen, sondern ist auch in den Kreistag eingezogen. Und kandidiert nunmehr in seinem heimischen Wahlkreis 20 für die CDU für den Einzug in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern – ohne blutige Nase.