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Interview

Solarzellen auf den Dächern sollen Neubrandenburg grüner machen

Neubrandenburg / Lesedauer: 7 min

Neubrandenburgs erster Klimaschutzmanager Dr. Christian Wolff erklärt im Interview die Klima-Ziele der Vier-Tore-Stadt und wie diese erreicht werden können.
Veröffentlicht:07.05.2022, 14:20

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Sie sind der erste Klimaschutzmanager der Stadt Neubrandenburg. Was sind Ihre konkreten Aufgaben in dieser Position?

Meine Aufgabe ist es, Themen des Klimaschutzes in Neubrandenburg zu koordinieren und zu bündeln sowie alles zusammenzufassen und eine öffentliche Wirksamkeit daraus zu gestalten. Die Bürger aus Neubrandenburg sollen mitbekommen, dass hier etwas passiert. Man sagt immer, dass wir in Neubrandenburg dem nationalen Trend ein paar Jahre hinterher hängen. Und ich sehe das jetzt als Chance, klimatische und wirtschaftliche Interessen in den nächsten Jahren so zu gestalten, dass Neubrandenburg auch mal als Spitzenreiter vorangeht.

Neubrandenburg soll bis 2050 klimaneutral werden. Wie nah ist die Stadt diesem Ziel?

Die Stadt hat 2019 ein Klimaschutzkonzept beschlossen, das dieses Ziel vorgibt. „Klimaneutral“ heißt, wir müssen bis 2050 mindestens 95 Prozent im Vergleich zu 1990 an CO2 einsparen. 1990 hatten wir 1,1 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß in der Stadt und wir müssen auf 55 000 Tonnen kommen. Oder, das ist das andere klimaneutrale Szenario, bis 2050 sollen maximal 2,5 Tonnen CO2-Verbrauch pro Kopf erreicht werden. 1990 hatte die Stadt einen Wert von etwa zwölf Tonnen pro Kopf und aktuell sind wir bei ungefähr vier. Wir haben da schon eine Menge getan. Das liegt einerseits daran, dass die Einwohnerzahl gesunken ist, aber auch an der Umstellung der Energieträger sowie an einem effektiveren Wirkungsgrad der Turbinen bei den Stadtwerken.

Kann man eine wachsende Stadt, wie sie Neubrandenburg werden will, mit Klimaschutz verbinden? Denn es werden weiterhin neue Wohngebiete erschlossen, Böden versiegelt und Bäume gefällt. Wie passt das zusammen?

Das passt absolut zusammen. Die größte CO2-Quelle sind die fossilen Brennstoffe. Es gibt Konzepte dafür, dass es später richtig grüne Wohngebiete gibt. Oben und an der Seite der Gebäude könnte es zum Beispiel Solar und Fassadenbegrünung geben. Das ist aktuell aber ein Kostenfaktor, der so für die öffentliche Hand noch nicht infrage kommt. Da müssen noch Finanzierungslösungen her und es muss geklärt werden, wie das gebäudetechnisch klappen soll. Klimaneutrales Bauen ist ohne Kompensationsmaßnahmen nicht möglich. Aber klimaneutrales Wohnen ist möglich.

Wo wird nun angesetzt, damit die Stadt klimaneutral wird?

Hier gibt es viele Ansätze. Zum Beispiel Solarenergie. Innerhalb des Stadtgebietes haben wir nicht viele Flächen, auf denen wir große Solaranlagen bauen können, dafür ist der Boden auch viel zu wertvoll. Das heißt, wir müssen diese auf die Dächer bringen. Ein anderer Punkt wäre die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf LED. Aktuell verbrauchen wir durch unsere Straßenbeleuchtung etwa 2,5 Millionen Kilowattstunden im Jahr. Durch die LED-Beleuchtung bekommen wir diesen Wert um einen Faktor von 2,5 herunter bis 2030. Das bedeutet, wir verbrauchen dann nur noch eine Million Kilowattstunden. Ein anderer Punkt ist Wasserstoff. Der Strom, der durch die Windkraft- oder Solaranlagen entsteht, kann für die Herstellung von Wasserstoff genutzt werden, der dann bei den Stadtwerken für die Turbine eingesetzt werden kann, um so wieder grünen Strom zu produzieren.

Wie weit ist die Stadt bei dem Vorhaben mit den Solarzellen auf den Dächern?

Die Stadt macht gerade eine Solarpotenzialanalyse. Auf die Ergebnisse bekommen auch die Bürger Zugriff. Denn mithilfe des Geoportals auf der Internetseite der Stadt können Bürger auf das Dach ihres Wohnhauses klicken, das in Grün, Gelb oder Rot markiert wird. So kann man einsehen, ob das eigene Wohnhaus für Solar geeignet ist oder nicht.

Und wenn wir über Wasserstoff reden, reden wir dann auch über den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV)?

Die Stadt hat sich gemeinsam mit dem Landkreis MSE im vergangenen Jahr auf das „HyStarter Projekt“ beworben, das vom Bund initiiert wurde, und auch einen Zuschlag bekommen. Das Projekt zielt darauf ab, wie Wasserstoff in der Region angewendet werden kann. Berlin zum Beispiel hat mit Wasserstoff etwas ganz anderes vor als der Landkreis. Die zielen eher auf die Umrüstung der städtischen Flotte auf Wasserstoff. Also Fahrzeuge der städtischen Stadtreinigung und Busse. In unserer Region ist viel Platz. Da ist vielleicht eher die Wasserstoffgewinnung eine Chance. Das wäre eine Wertschöpfung für die Region. Es könnte sein, dass Mecklenburg-Vorpommern mal ein großer Energielieferant wird. Das soll aber das „HyStarter Projekt“ zeigen, vielleicht dann auch mit komplett anderen Möglichkeiten.

Sind die Stadt und der Landkreis damit nicht ein wenig spät dran?

Es gibt bundesweit Städte, die weiter voraus sind. Wir bewegen uns im Mittelfeld.

Müssen die umliegenden Gemeinden die Last der erneuerbaren Energien tragen?

Das ist ein Manko. Klimawandel klappt nur gemeinsam und muss sozial gerecht sein. Die Attraktivität der Stadt geht einher mit der Umgestaltung des Umlandes. Dort müssen Kompromisse geschlossen werden, sodass auch das Umland davon profitiert. Immer größere Windräder sind hier wahrscheinlich nicht die Lösung. Wir brauchen also keine großen, massiven Lösungen. Sondern eher kleinere Insellösungen, die auf den kleineren Rahmen angepasst sind. Vielleicht kommt aber auch in zehn Jahren noch ein Energieträger, den wir so noch nicht auf dem Zettel haben.

Warum braucht es überhaupt lokale Klimaschutzkonzepte?

Es braucht lokale, regionale, nationale und internationale Klimaschutzkonzepte. Die Thematik und Problemstellung ist immer eine andere. Verzahnt sind diese jedoch immer. Landprobleme sind andere als Stadtprobleme. Schon die Bilanzierung des CO2-Ausstoßes wird realistischer, wenn man im kleinen Maßstab arbeitet. Städte lassen sich nicht ohne Weiteres mit einem Konzept über einen Kamm scheren. Es braucht hier zugeschnittene Einzellösungen, die auch die gesetzlichen Hoheitsansprüche berücksichtigen. Es geht auch darum, die Leute mitzunehmen, und das klappt mit lokalen Ansprechpartnern und Themen besser.

Wie bewerten Sie die bisherige Umsetzung des Klimaschutzkonzepts der Stadt?

Die Stadt hat schon einiges getan, jedoch hat das Kind noch keinen Namen gehabt. In allen Bereichen sind Fortschritte zu sehen. Ob nun Energie und Wärme, Mobilität, Öffentlichkeitsarbeit oder Stadtentwicklung. Das sind viele kleine Puzzleteile, die schon seit mehr als zehn Jahren laufen, nur eben nicht unter dem Titel „Klimaschutz“. Neubrandenburg ist grüner als man denkt, es muss nur kommuniziert werden. Und darauf lässt sich aufbauen. Das ist vielleicht auch ein Alleinstellungsmerkmal für die Stadt – grün und gute Luft. Zum Beispiel gibt es auf dem Stadtgebiet 70 000 Bäume. Das heißt, auf jeden Einwohner der Stadt kommt mindestens ein Baum.

Denken Sie, es ist möglich, dass Neubrandenburg bis 2050 klimaneutral wird?

Absolut. Soweit sind wir gar nicht mehr entfernt davon. Allerdings sind die letzten Meter immer am schwersten. Der klimaneutrale Korridor ist aktuell noch nicht greifbar, aber bis 2050 möglich. Unter den derzeitigen geopolitischen Verwerfungen bin ich fest davon überzeugt, dass wir unsere Klima- und Energieziele schon eher erreichen werden.

Wie frustrierend ist die Arbeit als Klimaschutzmanager?

Noch macht es richtig Spaß. Es sind auch viele kleine Freuden dabei. Man glaubt es nicht, aber ich bekomme mindestens einmal die Woche Post von engagierten Bürgern mit Tipps und Anregungen. Die Leute machen sich Gedanken und das ist ein hohes Gut. In Neubrandenburg stehen die Einwohner den Klimabemühungen positiv gegenüber. Das erleichtert meine Arbeit. Und ordentlich geführte Diskussionen um die Klimabemühungen der Stadt haben bisher immer dazu geführt, Neubrandenburg als Produkt zu verbessern.