StartseiteRegionalNeubrandenburg„Unser Traum ist verbrannt, die Täter haben uns alles genommen“

Abgebrannte Bootsschuppen

„Unser Traum ist verbrannt, die Täter haben uns alles genommen“

Neubrandenburg / Lesedauer: 6 min

Die Neubrandenburger Bootsschuppen wurden von einem Feuerteufel abgefackelt. Die Besitzer sind verzweifelt, schwanken zwischen Nostalgie und Trauer.
Veröffentlicht:15.10.2022, 07:00

Von:
Artikel teilen:

von Jens Schwarck & Henning Stallmeyer

Die Brandanschläge auf die Bootsschuppen am Oberbach haben die ganze Stadt bewegt. Im April und Mai sind bei mehreren Bränden insgesamt 70 Neubrandenburger Bootsschuppen abgebrannt. Der Schaden wird auf rund anderthalb Millionen Euro geschätzt. Seit Juli läuft die Beräumung, deren Kosten auf mindestens 400.000 Euro geschätzt werden. Bei den Arbeiten wurden bereits Hunderte Tonnen an Abfall geborgen.

Am meisten unter den Bränden haben jedoch die Schuppenbesitzer gelitten. Hier erzählen Betroffene ihre Geschichte. Unter Ihnen sind auch Heiko Flock und seine Frau Heike. Heiko ist 59 Jahre alt, ehemaliger Schweißer, jetzt erwerbsunfähiger Rentner, und arbeitet als Schulbusfahrer auf 450-Euro-Basis. Seine Frau arbeitet im Supermarkt 25 Stunden in der Woche.

Lesen Sie auch: Abgebrannte Bootsschuppen – Neubrandenburg informiert Betroffene

2019 zogen sie in ihr Bootshaus, nachdem sie zuerst an einer anderen Stelle am See ihr Boot gelagert hatten. Heike und Heiko sanierten liebevoll von Grund auf ihren neuen Stellplatz, bestellten in Polen ein neues Boot – eine Aqua 550 Cruiser für knapp 25.000 Euro. „Das sollten unsere Altersvorsorge und ein Rückzugsort für den Lebensabend sein“, sagt Heike Flock den Tränen nah. „Seit wir Kinder sind, sind wir auf dem Wasser, sind im Segelsport groß geworden“, fügt Heiko Flock leise hinzu.

„Unser Traum ist verbrannt, die Täter haben uns alles genommen“

Am 5. Mai um 5.45 Uhr klingelte sein Handy. Am Apparat war sein Schwiegersohn, der gerade zur Arbeit gefahren war, er sagte nur „Papa, komm mal runter, so schnell du kannst.“ Zu diesem Zeitpunkt standen die Bootshausreihen 13 und 14 schon im Vollbrand. Kurz nach 6 war Heiko Flock vor Ort. Es brannte lichterloh, er erinnert sich noch an die Explosionen von den Tanks.

„Ich hab doll geweint, lag mir mit anderen Besitzern in den Armen. Ich hatte Angst, meine Frau anzurufen, weil man sieht, da geht die Existenz unter“, gesteht er. Knapp 50.000 Euro müssen die beiden noch bei der Bank bezahlen, monatlich 399 Euro. Hinzu kommen die Entsorgungskosten von womöglich 10.000 Euro.

Lesen Sie auch: Wer zahlt für die Beräumung der abgefackelten Bootsschuppen?

„Unser Traum ist verbrannt, die Täter haben uns alles genommen“, sagt Heike Flock. „Eine Versicherung haben wir nicht. Ich hatte mich um eine bemüht, aber unsere Versicherung wollte das Reihenbootshaus nicht versichern“, fügt ihr Mann hinzu.

„Wir wissen nicht, wie es weiter geht”

Jeden Tag waren die beiden nach der Arbeit auf dem Wasser, wenn es ging. „Das haben wir uns vom Mund abgespart viele Jahre“, sagt Heike Flock. „Wir wissen nicht, wie es weiter geht, wir schlafen schlecht, wir haben Angst. Ich werde meinen Chef bitten, mehr arbeiten zu können. Unser Lebenstraum ist für uns begraben, aber wir müssen wohl lernen, damit umzugehen.“ Und trotzdem: „Wir würden gerne wieder aufbauen, wenn es möglich ist“, sagt Heiko Flock.

An Wiederaufbau ist für den 84-jährigen Harry Kays nicht zu denken. „Ich bin zu alt.“ Der Rentner nimmt einen Schluck Kaffee und fängt an zu erzählen. „Ich bin einer der wenigen, die noch hier sind von denen, die das hier mit aufgebaut haben“, sagt er und erinnert sich.

Lesen Sie auch: Bei den Neubrandenburger Bootsschuppen muss jetzt ein Schwimmbagger ran

Damals haben sie noch selbst im Wald Bäume geschlagen, große Kiefern im Tannen Krug. Das war 1968. Die Stämme seien um die sechs bis acht Meter lang gewesen. „1973 wurde ich dann offiziell Besitzer meines ersten Bootsschuppens und bekam einen Vertrag. 50 Jahre hatte ich hier meinen Lebensmittelpunkt“, schwelgt Harry Kays in Erinnerungen.

Der Lehrmeister und Maschinenbau-Ingenieur ist immer nur auf dem Tollensesee unterwegs gewesen. Viele Urlaube hat er auch auf dem Wasser mit Frau und Kind unternommen. „Mit den Enkelkindern war es immer eine große Freude. Kaum waren sie hier, hieß es ‚Opa, los!‘ Die sind sofort ins Boot.“ Wieder nimmt er einen Schluck aus seinem Kaffee. Alles ist verbrannt, alle Erinnerungen an der Wand, viele alte Fotos. Sein Bootshaus sei wie ein kleines Museum gewesen.

Hitze lässt die Scheiben im Restaurant bersten

Aber nicht nur die Erinnerungen sind ein Haufen Asche. Auch das Kajütboot, eine Wiking 6,35 namens „Old Harry“, welches im Bootshaus festgemacht war, ist verbrannt. „Am Anfang hatte ich ein DDR-Motorboot, ein kleines Ibis. Immer wenn’s Gehaltserhöhung oder Prämien gab, hab ich was zur Seite gelegt. Nach der Wende Anfang der 90er-Jahre habe ich die Wiking dann aus Ratzeburg geholt.“

Lesen Sie auch: Wozu braucht es noch Bäckereien, Herr Gesche?

Jeden Tag war Harry hier am Bootshaus, hielt einen kurzen Schnack mit anderen, trank seinen geliebten Kaffee. Dann war die Anlage plötzlich polizeilich gesperrt und Harry muss seinen Kaffee nun in einem kleinen Apothekerzelt am Rande der Bootshäuser trinken. Traurig schaut er auf die Brandruine und sagt leise. „Nur zwei Besitzer haben eine Versicherung in der Bootshaus-Reihe 13. Alles weg von einem Moment auf den anderen – es ist ein Drama.“

Etwas mehr Glück hatte Tom Wichmann, Pächter des Restaurants und Cafés „Wichmanns“. Bereits am 17. April brannte es am anderen Ende der Bootshausanlagen. Fünf Bootshäuser fielen den Flammen zum Opfer, eine Woche später brannten zwölf weitere in unmittelbarer Nähe. An Zufälle glaubt hier niemand mehr. Der gelernte Restaurantfachmann betreibt sein Restaurant erst seit März 2021.

In der Nacht des Brandes bekam er einen Anruf von seinem Vater: Das Restaurant brennt! „Ich bin sofort hergefahren“, schildert der 29-Jährige. Die Hitzeentwicklung der brennenden Bootshäuser war so groß, dass alle Scheiben im Restaurant barsten, die Außenbeleuchtung und Schilder schmolzen. Die Feuerwehr kühlte das Restaurant von außen mit Unmengen an Wasser.

Lesen Sie auch: So lief der Neubrandenburger Autokorso ab

„Die Menschen tun mir leid, ich konnte wieder öffnen, nachdem die Gläser der Fenster und Türen getauscht wurden und wir den Ruß entfernt haben. Aber die Besitzer haben alles verloren. Viele von ihnen sind Gäste bei mir“, zeigt Wichmann Mitgefühl und Anteilnahme am Schicksal seiner Nachbarn.

Den neuen Motor nur ein einziges Mal getestet

Die Liste der Leidtragenden ist lang. Da ist zum Beispiel Dieter Heiden, der seinen Bootsschuppen 50 Jahre lang hatte. Sein erstes Boot baute er gemeinsam mit seinem Vater. Stolze 46 Kilometer pro Stunde schaffte der Flitzer. Im Februar erst kaufte er einen neuen Motor für sein aktuelles Boot. Einmal konnte er ihn testen, dann verbrannte alles. „8000 Euro sind futsch, einfach verbrannt. Der Schaden ist schlecht abzuschätzen, aber mindestens wohl 30 000 Euro plus die Entsorgung“, schätzt er. Mindestens genauso groß sei der emotionale Schaden. Die Angst, dass es noch mal brennt, teilt er mit vielen anderen Schuppenbesitzern.