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Interview mit einem Experten

Warum der Streit um Kinder oft eskaliert

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Udo Michaelis, Richter am Amtsgericht Demmin, spricht seit über 20 Jahren Recht in familiären Angelegenheiten. Mit uns spricht er über schwierige Entscheidungen, Spielzeugautos und sein Bauchgefühl.
Veröffentlicht:13.04.2015, 14:00

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Warum gibt es in ihrem Büro so viele Spielzeugautos?

Ich unterhalte mich mit jedem Kind, dessen Eltern in meinem Gericht um Sorge-, Umgangs- und Aufenthaltsbestimmungsrecht streiten, alleine. Naja, und gerade bei jüngeren Kindern kann ich schlecht mit der Tür ins Haus fallen. Meist spielen wir erst eine Weile, fassen Vertrauen und ganz zum Schluss reden wir darüber, wie das Kind den Rosenkrieg der Eltern wahrnimmt. Bei wem es am liebsten leben möchte.

Will die Mehrheit lieber zur Mutter oder zum Vater?

Die Masse der Kinder, auch die Älteren, sagen, dass sie Mama und Papa lieb haben. Sie wollen nur, dass die Eltern aufhören sich zu streiten.

Wie viele Fälle verhandeln Sie pro Woche?

Es ist unterschiedlich. In manchen Wochen kümmere ich mich nur um Verwaltungssachen. In anderen verhandle ich fünf, sechs Fälle. Tendenziell hat die Zahl der Sorgerechtsstreitigkeiten zugenommen. Es ist egal, ob die Eltern Akademiker sind oder aus bildungsfernen Schichten stammen, vor Gericht wird dann vehement gestritten.

Warum eskalieren die Streitereien um das Kind so oft?

Nun, meistens geht es nicht direkt um das Kind. Das Kind ist nur der Spielball. Man muss sich vor Augen führen, dass Menschen, die ein gemeinsames Kind haben, sich in den meisten Fällen auch einmal sehr geliebt haben. Und dann scheitert diese Liebe. Da geht es um innere Verletzungen, offene Wunden, hochkochende Emotionen.

Wie gehen Sie als Familienrichter damit um?

So hart es klingt: Die Gefühle der Eltern haben mich wenig zu interessieren. Mir geht es einzig und allein um das Kindeswohl. Menschen, die zusammen ein Kind in die Welt setzen, haben das Recht und die Pflicht, alles zum Wohle des Kindes zu tun. Sie sollten sich zusammensetzen und gemeinsam vernünftige Lösungen finden. Aber das ist Vernunftssache. Wie gesagt, Trennungen sind häufig sehr emotional. Viele Elternteile sind innerlich blockiert. Sie können nicht normal miteinander reden.

Was für Modelle bei Sorgerechtsstreitigkeiten bevorzugen Sie?

Es gibt eine unglaubliche Bandbreite an Sorgerechtsmodellen. Abenteuerlichste Kombinationen aus rechtlichen und leiblichen Vätern, Stiefmüttern und Wechselmodellen – das Kind lebt eine Woche bei der Mutter, die andere beim Vater. Ich mag alles, was funktioniert.

Jeder vernünftigen Lösung, vor allem, wenn die Eltern sie sich selbst ausgedacht haben, stehe ich wohlwollend gegenüber.

Ihr einziges Kriterium ist das Kindeswohl. Wann sehen Sie es als gegeben an?

Es geht nicht um das Materielle, sondern darum, zu wem das Kind das größte Vertrauensverhältnis hat, also eine eher emotionale Ebene. Wo es sich wohl fühlt. Im Zweifelsfall kann das zum Beispiel auch bei dem Elternteil sein, der in schwierigen hygienischen Verhältnissen lebt. Dann ordne ich zusätzlich noch an, dass der Elternteil Familienhilfe beantragen muss und in regelmäßigem Kontakt mit dem Jugendamt stehen muss.

Viele Frauen bezichtigen ihren Ex vor Gericht als Säufer, Gewalttäter oder gar Pädophilen. Wie können Sie in solchen Fällen die Wahrheit erkennen?

Das Problem beim Familienrecht ist, dass es sich um einen intimen, sehr persönlichen Bereich handelt. Es gibt fast nie Zeugen, die irgendetwas bestätigen können. Manche Elternteile führen akribisch Buch darüber, welche Kratzer und blaue Flecken das Kind hat, wenn es vom anderen Partner zurückkommt. Fotografieren die Stellen. Und später stellt sich zum Beispiel heraus, dass das Kind sich beim Toben den Ellenbogen angeschlagen hat. Ich meine, dass ich durch meine jahrelange Erfahrung ein gewisses Bauchgefühl dafür entwickelt habe, wer lügt. Dieses Gefühl kann ich in der Regel auch rational begründen. Bei zwischenmenschlichen Beziehungen gibt es aber nie schwarz-weiß. Es gibt nur eine Vielzahl von Grauschattierungen. Wie schon gesagt, meine oberste Aufgabe ist der Schutz des Kindes.

Welchen Rat geben Sie Eltern, die sich trennen?

Eltern sind die wichtigsten Menschen im Leben ihres Kindes. Sie sind es ihrem Kind schuldig, eine friedliche Lösung zu finden. Sie sollten sich dieser Verantwortung bewusst sein und Vernunft walten lassen. Andere Wege finden als vor Gericht zu gehen. Juristische Auseinandersetzungen können jede zwischenmenschliche Beziehung erschweren oder ganz zum Scheitern bringen.