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Mordprozess ohne Öffentlichkeit

Was Leonies Mutter ohne Worte aussagt

Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Es ist ein zähes Ringen um die Wahrheit. Der Prozess um den Tod der kleinen Leonie tritt auf der Stelle. Die Vernehmung der Mutter wird zur Nervenprobe.
Veröffentlicht:29.11.2019, 13:28

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Angespannt, aufgeregt, angeschlagen: Zitternd steht Janine Z. in einer Verhandlungspause im zugigen Innenhof des Landgerichts Neubrandenburg. Fast krampfhaft hält sich die leibliche Mutter Leonies an einer Zigarette fest, saugt kräftig am Glimmstengel. In der anderen Hand knetet die 25-Jährige ein kleines Kuscheltier. Ein wenig Halt für die aufgewühlte Psyche. „Kein Wort zur Presse“, mahnt ihr Anwalt Axel Vogt und holt sich im Nebengebäude einen Automatenkaffee im Pappbecher. Janine Z. deutet ein Nicken an. Unsicher trippelt sie von einem Bein aufs andere. Die roten Haare und das pinkfarbene Kapuzen-Sweatshirt flattern im kalten November-Wind.

Kaum zwei Meter entfernt steht Oliver E., leiblicher Vater der getöteten Leonie und Nebenkläger im seit mehr als zwei Monate andauernden Mordprozess. Das einstige Liebespaar hat sich entzweit, die Eltern Leonies sind sich fremd geworden. Kein Wort, keine Geste. „Das Verhältnis ist angespannt“, flüstert Oliver E. Er möchte nicht mehr sagen – die Zeugenvernehmung von Janine Z. ist nicht öffentlich. Der Richter hat zu Vertraulichkeit aufgefordert. „Mir sind die Hände gebunden“, bittet der sichtlich mitgenommene Oliver E. um Verständnis. Der Zigarettenqualm vernebelt sein von Tränen gerötetes Gesicht.

Drittes Verhör für Leonies Mutter

Nach wenigen Minuten geht es wieder in den Gerichtsaal. Die mittlerweile dritte Vernehmung von Leonies Mutter wird fortgesetzt. Während Janine Z. dem Richter Rede und Antwort steht, sitzt der angeklagte Stiefvater Leonies in einem Nebenzimmer, verfolgt die Vernehmung am Bildschirm. Janine Z. hat sich ausgebeten, dass ihr langjähriger Lebenspartner, mit dem sie den gemeinsamen Sohn Jonathan hat, nicht im Gerichtsaal ist, wenn sie aussagt. Angst? Furcht? Die Atmosphäre ist angespannt.

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Nach zweieinhalb Stunden ist die Vernehmung vorbei. Ein Durchbruch? Endlich Klarheit oder erneut Widersprüche zu den am Ende tödlichen Vorfällen in der Torgelower Wohnung der Patchwork-Familie? Der Informationsfluss ist spärlich – und doch sickert durch, dass nicht ausgeschlossen sei, dass Janine Z. nicht nur am kommenden Mittwoch, 4. Dezember, ein viertes Mal in den Zeugenstand muss, sondern eventuell sogar noch ein weiteres Mal. Es laufe sehr zäh, eine Bewertung der Aussagen sei noch nicht möglich, heißt es von Prozessbeteiligten.

Mordverdächtiger David H. schweigt

Und so ist trotz der mittlerweile 15 Verhandlungstage immer noch unklar, wie die sechsjährige Leonie am 12. Januar zu Tode gekommen ist. Die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg wirft dem Stiefvater Leonies, David H., Mord durch Unterlassen sowie Misshandlungen von Schutzbefohlenen in sieben Fällen vor.

Der Angeklagte schweigt zwar bisher vor Gericht, hatte die Vorwürfe aber in polizeilichen Vernehmungen stets bestritten. Laut seiner Aussage sei Leonie an ihrem Todestag eine Treppe im Hausflur der gemeinsamen Wohnung in Torgelow heruntergestürzt und später an den Folgen verstorben.

Während David H. unter Mordanklage steht, ermittelt die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg gegen die Mutter Janine Z. wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Anklage wurde gegen sie aber noch nicht erhoben. Im aktuellen Prozess ist sie nur Zeugin. Wahrscheinlich sogar die entscheidende Zeugin.

Der Anwalt der Nebenklage hält den angeklagten Stiefvater im Mordprozess um den Tod der sechsjährigen Leonie für «überführt». Der 28-Jährige habe sich immer Partnerinnen gesucht, die er «dominieren kann», sagte Anwalt Falk-Ingo Flöter am Rande des Prozesses in Neubrandenburg. So habe der Angeklagte zwei vorherige Freundinnen und auch Leonies Mutter geschlagen, wie der bisherige Prozessverlauf belege.