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Wie ein Vertriebener (91) mit Briefen an seiner alten Heimat festhält

Burg Stargard / Lesedauer: 4 min

Viele Jahre fuhren Gerhard Oppelt und seine Frau die 500 Kilometer ins ehemalige Sudetenland mit dem Auto. Heute sind sie dafür zu alt. Die einzige Verbindung sind heute Briefe.
Veröffentlicht:22.01.2023, 10:42

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Eine der letzten Verbindungen in Gerhard Oppelts alte Heimat wurde an Weihnachten gekappt. Noch bis vor drei Jahren fuhr der 91-Jährige mit seiner Frau Christel 500 Kilometer weit zu „Heimattreffen” nach Tschechien. In dem Dorf Polevsko – das früher noch Blottendorf hieß und im ehemaligen Sudetenland liegt – trafen sie sich mit anderen Vertriebenen und tschechischen Freunden, die im Dorf geblieben waren. Heute ist Gerhard Oppelt zu alt, um Auto zu fahren. Nur noch die Briefe verbinden ihn mit dem Ort, in den er wohl nie mehr zurückkehren wird.

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Verschollene Briefe in die alte Heimat

Umso trauriger und ärgerlicher war es für das Paar, als vier Weihnachtsbriefe nicht bei ihren Freunden ankamen. „Als wir das gehört haben, dachten wir gleich, sie denken, dass wir nichts mehr von ihnen wissen wollen”, sagt Christel Oppelt. Mit ihrem Mann sitzt sie auf einem braunen Sofa im Wohnzimmer ihrer Wohnung. An den Wänden hängen selbst gestickte Bilder, in der massiven Schrankwand stehen gerahmte Fotos ihrer Kinder und Enkel.

„Wir sind die letzten, die übrig geblieben sind”

Nur zufällig hätten sie mitbekommen, dass die Briefe verschollen gingen. „Die, die wir nach Berlin und Rostock geschickt haben, sind auch nicht angekommen. Meine Schwägerin hat es mir am Telefon gesagt”, sagt Christel Oppelt, während sie den Kopf schüttelt. Sie hätten dann bei allen angerufen, um sich zu entschuldigen. Viele Bekannte in Burg Stargard haben sie nicht mehr. „Wir sind die letzten, die übrig geblieben sind”, sagt Christel Oppelt.

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Derzeit bekommen viele Haushalte in Mecklenburg-Vorpommern keine Briefe, weil Zusteller der Deutschen Post streiken. Auch Neubrandenburg ist betroffen. Christel und Gerhard Oppelt glauben jedoch nicht, dass das der Grund ist. „Es waren ja Briefe, die wir in ganz unterschiedliche Richtungen geschickt haben, das kann nicht an einzelnen Zustellern liegen”, sagt Gerhard Oppelt.

Gute Erinnerungen an die alte Heimat

Allzu lange regen sich die beiden jedoch nicht auf. Der Ärger verfliegt ab dem Punkt, an dem sich Gerhard Oppelt von seinem Sofa erhebt, durch die Tür verschwindet und kurz darauf mit einem Kalender in der Hand wieder auftaucht. Post aus der alten Heimat. „Den hat uns die Bürgermeisterin von Polevsko zugeschickt. Sie hat auch nach meiner Biografie gefragt”, sagt Gerhard Oppelt, während er durch den Kalender blättert. Im Monat August bleibt er stehen. „Das hier ist mein Vater, er war Bäcker”, sagt er und zeigt auf einen jungen Mann, der eine Trompete in der Hand hält. Um ihn herum sitzen etwa zwanzig Musiker einer Kapelle.

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Gewalt und Leichen auf dem Marktplatz

Gute Erinnerungen habe er an die Zeit im Dorf, das inmitten eines Wintersportgebiets liegt. „Wir hatten ein einwandfreies Verhältnis zu den Tschechen.” Die anderen Dorfbewohner seien es nicht gewesen, die sie vertreiben wollten. Doch die Gewalt, die in der Zeit des zweiten Weltkrieges um sich griff, hat auch er erlebt. „Ich habe die Leichen auf dem Marktplatz gesehen”, erinnert sich der 91-Jährige, während sein Kopf langsam auf und ab nickt. Slovakische Partisanen seien es gewesen, die acht Deutsche aus Rache öffentlich hinrichteten.

Wenig später wurde seiner Familie der Besitz genommen. Für ein Jahr mussten sie Zwangsarbeit bei einem tschechischen Bauern verrichten, bevor sie den Weg nach Deutschland antraten und die Geschichte sie schließlich nach Burg Stargard spülte. „Das war eine schlimme Zeit”, sagt Gerhard Oppelt.

Es braucht Abstand, um Nähe zu finden

Doch das Leben barg auch für ihn noch Freude. Freude in Form einer jungen Frau, die eines Abends über das Parkett eines Burg Stargarder Tanzsaals tippelte. „Wir haben uns kennengelernt, da war ich 19 und er 22”, sagt Christel Oppelt. Genau wie ihr späterer Mann, war sie mit ihrer Familie geflohen. „Aus Pommern. Ich hatte aber nie mehr eine Verbindung dorthin.”

Vielleicht auch aus diesem Grund, begleitete sie ihren Mann fast 30 Jahre lang bei den Nachhause Fahrten. Die beiden erlebten, wie aus den 1600 Einwohnern im Dorf 200 wurden, wie die Systeme wechselten und sich die Kinder nicht mehr für die Geschichte der Eltern interessierten. Doch manchmal braucht es etwas Zeit und Abstand, damit wieder Nähe entstehen kann. So war es ihr Enkel, der sie zuletzt auf den Fahrten begleitete. „Er betreibt Ahnenforschung”, sagt Gerhard Oppelt. Bis ins Jahr 1600 sei er bereits gekommen.