StartseiteRegionalNeubrandenburgDie Verwaltung zwingt jeden Schuldner in die Knie

Schulden-Eintreiber

Die Verwaltung zwingt jeden Schuldner in die Knie

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Der Landkreis Mecklenburgische Seenplatte jagt jährlich 1,5 Millionen Euro Schulden hinterher. Auch für die Stadtverwaltung Neubrandenburg sind die Außendienstmitarbeiter unterwegs. Dem Bürger bleibt die Wahl: Knöllchen zahlen oder Knast.
Veröffentlicht:30.01.2019, 06:34

Artikel teilen:

Nun reicht es ihm aber wirklich! Der 72-jährige Karl Wehrengrund* hat seinen silbernen Benz in der Badstüberstraße abgestellt, um nur schnell zum Schneider zu hetzen. Als der Neubrandenburger Rentner zum Auto zurückkommt, ziert ein Knöllchen seine Windschutzscheibe. „Ein Knöllchen“, grummelt er. Das hat er nun davon, dass er in die Innenstadt kommt, dass er hier die Wirtschaft unterstützen will. Herr Wehrengrund wird dieses Knöllchen nicht bezahlen! Aus Prinzip und sowieso.

Der Rentner zieht sein Vorhaben durch, die erste Mahnung und die zweite lassen das 15-Euro-Papierchen schnell gedeihen. Er ignoriert weiter, aus Prinzip und wird so ein Fall für die Vollstrecker. Wenn die Außendienstmitarbeiter der Verwaltung klingeln, ist schon viel schief gegangen, prinzipiell und im Fall des renitenten Rentners steht alsbald Jennifer Hoeckberg vom kreislichen Amt für Finanzen vorm Türspion des höchst gepflegten Brodaer Häuschens.

Landkreis und Stadt arbeiten zusammen

Die Abteilung des Landkreises geht jährlich Forderungen in Höhe von 1,5 Millionen Euro nach. Davon kann sie knapp eine Million Euro in die öffentliche Kasse einfahren. „Natürlich sieht die Zahl in jedem Jahr anders aus, bleibt aber auf lange Sicht gesehen ungefähr gleich“, erläutert Axel Chudy als Kämmerer des Kreises.

Seit einem guten Jahr hat die Kreisverwaltung per Amtshilfe die Außendienstvollstreckung für die Stadt Neubrandenburg übernommen. Der Innendienst wird noch im Rathaus erledigt. Was bedeutet bei diesem Thema das Wort „Innendienst“? Gemeint sind Konto-, Gehaltspfändungen, Brief- und Mahnschreiben, all jene Schritte eben, mit denen man vom Schreibtisch aus Forderungen eintreiben kann. „Die Öffentliche Hand arbeitet beim Thema Forderungen grundsätzlich viel zusammen“, erläutert Axel Chudy. Im Fall von Neubrandenburg habe eine personelle Situation im Rathaus vor knapp zwei Jahren den Anstoß zu einer Zusammenarbeit freigemacht.

13.000 Forderungen auf dem Tisch

Es gibt bei den Forderungen keine Mindest- oder Bagatellsumme. Deshalb hat die Verwaltung im letzten Jahr 13.000 Forderungen auf dem Tisch gehabt. 2017 waren es 10.000 und 2016 gar 14.000. Selbst Fünf-Euro-Beträge werden als Forderung durchgesetzt. „Da leuchtet es jedem ein, dass dies nicht aus betriebswirtschaftlichem Interesse gemacht wird, zumindest nicht hauptsächlich“, erläutert Chudy.

Die Intention, die hinter der Vollstreckungsmaschine steckt, sei Motivation. „Bei öffentlich-rechtlichen Forderungen muss es einen hohen Verfolgungsdruck geben, sonst würde kein Mensch mehr ein Bußgeld bezahlen“, erklärt der Amtsleiter. Dass Abschreckung wichtig ist, veranschaulicht er mit einem Beispiel aus dem Altkreis Mecklenburg-Strelitz. Dort habe der Kreis über Jahre seine Forderungen nicht eingeholt, da es dort Personalknappheit gab. „Das führte dazu, das sich die Höhe der Forderungen spürbar erhöht hat, denn so etwas spricht sich schnell rum“, sagt Axel Chudy.

Die starken Arme der Verwaltung lassen sich in Innendienst- und Außendienst-Vollstreckung enteilen. Innendienst macht den Großteil der Arbeit aus. Das bedeutet, dass die Stadt Neubrandenburg beispielsweise die Rundfunkgebühren-Nichtzahler vom Schreibtisch aus zur Kasse bittet. Es werden zuerst Bescheide geschickt. Es wird telefoniert und dann folgen Kontopfändungen sowie Arbeitgeberpfändungen. Denn öffentliche Forderungen sind sofort vollstreckbar.

Renitent bis die Polizei klingelt

Das heißt, wenn Herr Wehrengrund einmal der Stadt Geld überwiesen hat, wofür auch immer, haben die Beamten der Stadt die Kontoinformation und können umgehend das Geld abbuchen – ohne das Rathaus verlassen zu müssen. „Erst wenn wirklich gar nichts mehr geht, wenn der Innendienst alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, dann ist der Außendienstmitarbeiter gefragt“, sagt Axel Chudy. Dabei gehe die Verwaltung heute durchaus mit dem Lauf der Zeit und nutzt bei der Recherche Soziale Medien und das Internet.

Zurück zum renitenten Wehrengrund, welcher der Vollstreckerin weder Tür noch Tor öffnet. In seinem Fall klingelt einige Wochen später die Polizei mit einem Haftbefehl. Die Gefängnisdrohung zieht und der Neubrandenburger zahlt sein mehr als 200 Euro teures Knöllchen, um ein freier Mann zu bleiben. Er schimpft, aber er zahlt. Seine Prinzipien bleiben frei.

*Name von der Redaktion geändert