Konflikt mit Regierung

Alibaba-Gründer Jack Ma spurlos verschwunden

Hangzhou / Lesedauer: 4 min

Der reichste Mann Chinas, Jack Ma, ist seit Monaten spurlos verschwunden. Ist der exzentrische Unternehmer aus Angst vor der chinesischen Regierung untergetaucht? Oder sollte er gar verschwinden?
Veröffentlicht:06.01.2021, 20:10

Von:
  • Carsten Korfmacher
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Alles begann im Oktober 2020. Der einflussreiche Unternehmer Jack Ma, Gründer des chinesischen Online-Händlers Alibaba und reichster Mann des Landes, hielt eine Rede bei einem Finanzforum in der Millionen-Metropole Shanghai. In gewohnt energischer Manier addressierte Ma die chinesischen Regierungsbehörden, warf ihnen vor, die Innovation im Land zu bremsen, indem sie sich auf ein veraltetes Finanzsystem stützten.

Er rief zu einer Reform auf, die innovative Technologien und die Nutzung von Big Data vorantreiben und es auch Individuen und kleineren Firmen ermöglichen soll, leichter an Investitionskapital zu kommen. Unter seinen Zuhörern waren nicht nur zahlreiche Unternehmer, sondern auch chinesische Regierungsangestellte – und die nahmen Mas Äußerungen mit Missmut auf.

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Alibaba verzeichnet immenses Wachstum

Mit einem Vermögen von weit über 60 Milliarden US-Dollar gehört Ma zu den 20 reichsten Menschen der Welt. Erfolgreich wurde er aufgrund des phänomenalen Wachstums seiner Firma Alibaba, die sich in den vergangenen Jahren gemessen am Marktwert zum mittlerweile siebtgrößten Unternehmen der Welt entwickelte.

Ähnlich wie der große Konkurrent Amazon stellt Alibaba eine Plattform zum Online-Handel bereit, drängt aber auch in viele andere Geschäftsbereiche, darunter Cloud-Computing, Suchmaschinen-Entwicklung oder elektronische Bezahldienstleistungen. Besonders dieser letzte Bereich wurde im vergangenen Jahr von Bedeutung. Denn um das von Alibaba entwickelte Bezahlsystem Alipay zu verwalten, gründete das Unternehmen 2010 einen Ableger, der später den Namen „Ant Financial Services” erhielt.

Ant wäre ein mächtiger Baustein des Systems geworden

Ant wuchs in den darauffolgenden Jahren stark an und ist heute mit einer Milliarde Nutzern der größte mobile Bezahldienstleister der Welt. Ähnlich wie ihre Muttergesellschaft Alibaba beackert die Ant Group immer neue Geschäftsfelder: Mit in der westlichen Welt aus Datenschutzgründen kaum verbreiteten Methoden entwickelte die Firma Bezahldienste per Gesichtserkennung, innovative Bonitätsbewertungs- und Kreditvergabe-Systeme, Plattformen zur Vermögensverwaltung und weitere Dienstleistungen, die auf künstlicher Intelligenz basieren.

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Kurz gesagt: Ant entwickelt genau die Dienste, die Jack Ma durch eine Reform des chinesischen Finanzsystems an jenem verhängnisvollen Tag im Oktober forderte. Die Ant Group schickte sich also an, zu einer systemtragenden Organisation zu werden. Nur ein paar Tage später sollte das Unternehmen im weltweit größten Börsengang der Geschichte ihre ersten Aktien emittieren, womit ihr Hauptanteilseigner Alibaba und dessen Gründer Jack Ma noch reicher und noch mächtiger geworden wären.

Jack Ma wurde zu Verhör vorgeladen

Doch daraus wurde nichts. Chinas Präsident Xi Jinping soll außer sich gewesen sein vor Wut über Mas Äußerungen. Eigenhändig stoppte er Ants Börsengang, berichtet das Wall Street Journal, die Kartellbehörden nahmen umgehend die Ermittlungen auf. Der Alibaba-Tochter droht nun die Zerschlagung, die chinesische Zentralbank wies Ant bereits an, ihr Geschäftsmodell zu „bereinigen” und sich nur noch auf ihre Kernkompetenz, nämlich Bezahldienstleistungen im engeren Sinne, zu konzentrieren. Unmittelbar nach seiner Rede wurde Jack Ma gemeinsam mit zwei führenden Managern der Ant Group zu einer Anhörung vorgeladen – es war das letzte Mal, dass man etwas von dem 56-Jährigen hörte. Zu einem geplanten Fernsehauftritt im November erschien er nicht.

Nun werden Erinnerungen an den Immobilien-Mogul Ren Zhiqiang oder den Vermögensverwalter Xiao Jianhua wach, die beide nach Kritik am Regime spurlos verschwanden. Zhiqiang kritisierte den Umgang der Regierung mit der Corona-Pandemie und wurde im September 2020 in Abwesenheit wegen Korruption zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt. Seit März gilt er als vermisst. Jianhua wurde 2017 aus einem Hotel in Hongkong entführt, es wird vermutet, dass er noch heute von den chinesischen Behörden festgehalten wird.

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Alibaba-Gründer spielte Hauptrolle in Kung-Fu-Film

Bereits im November und Dezember vermuteten die ersten internationalen Medien bereits, dass Jack Ma ein ähnliches Schicksal drohen könnte. In der ersten Januar-Woche dann erreichten die Spekulationen um Mas Verschwinden ihren Höhepunkt. Zuletzt vermeldete der amerikanische Nachrichtensender CNBC, dass Ma nicht verschwunden sei, sondern sich derzeit im Hintergrund halten möchte, zitiert als Quelle aber lediglich „eine Person, die mit der Sache vertraut ist”.

Es könnte durchaus sein, dass Jack Ma die chinesischen Behörden durch öffentliche Auftritte nicht weiter provozieren will. Allerdings ist die nunmehr drei Monate andauernde Sendepause untypisch für den umtriebigen Unternehmer, der neben seinen Geschäften immer wieder Fernsehauftritte hat und gar die Hauptrolle in einem Kung-Fu-Film spielte.

Sicherlich war Alibabas Marktmacht den chinesischen Behörden ein Dorn im Auge. Ungewöhnlich wäre das nicht, auch in den USA, der Heimat der fünf größten Technologie-Unternehmen der Welt, wird aus dem Lager der Demokraten um President-elect Joe Biden bereits lautstark die Zerschlagung von Microsoft, Amazon oder Alphabet gefordert. Was das alles für Jack Mas Schicksal bedeutet, ist derzeit ungewiss.