Neue Studie
Das nicht so geheime Sexleben der Amateurpornografen
Würzburg / Lesedauer: 3 min

Christine Gerhard
390.000 Euro war der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Bewilligung des Projekts „Die Praxen der Amateurpornografie” wert. Mit diesem Forschungsvorhaben ist der Soziologe Dr. Sven Lewandoswki, derzeit noch an der Universität Würzburg angestellt, ein Pionier auf dem Gebiet.
„Ein Problem der Sexualforschung ist ja, dass man den Leuten nicht dabei zugucken kann”, so der Forscher. Man könne Sexualverhalten natürlich in Swingerclubs beobachten, nur stelle sich dort eben kaum die Alltagssexualität dar. Beschreibungen dagegen, auf denen die meisten bisherigen Studien basierten, seien generell keine verlässliche Quellen, wenn es um Praktiken gehe: „Versuchen Sie nur mal zu erklären, was Sie genau tun, wenn Sie Auto fahren.”
Amateurpornografie biete jetzt die Chance, die Alltagssexualität von „Ottonormalverbrauchern und Ottonormalverbraucherinnen” in ihrem privaten Umfeld zu untersuchen. Bislang sei diese besondere Möglichkeit der Videoanalyse in der Sexualforschung noch nicht systematisch genutzt worden, weiß Lewandowski: „Wir betreten damit Neuland.”
Mischung zwischen Sexualität und medialem Handeln macht für Forscher den Reiz aus
Jung sei auch der Ansatz: „Früher haben wir gefragt: Was macht Pornografie mit den Menschen? Heute fragen wir: Was machen Menschen mit Pornografie? Und in diesem Projekt: Wie machen Menschen Pornografie?” Er verspricht sich durch die neue bahnbrechende Methode zur Untersuchung sexueller Praktiken und sexueller, medialer Selbstdarstellung Erkenntnisse, „die die Sexualwissenschaft bisher noch nicht gesehen hat.”
Analysiert werden die Videos vor dem Hintergrund der zunehmenden Kommerzialisierung und Medialisierung des Sexuellen, der Inszenierung einer an sich sehr privaten Handlung vor großem Publikum. „Die Mischung zwischen Sexualität und medialem Handeln ist hoch spannend”, so Lewandowski, der in der Amateurpornografie einen Versuch sieht, mit medialisierter Sexualität umzugehen. Er überlegt, ob die Akteure ihre Filme überhaupt als „pornografisch” wahrnehmen oder ganz anders einordnen.
Und auch zu der Frage, was sie antreibt, ihre Videos ins Internet hochzuladen, werde das Forschungsprojekt wohl bald Erkenntnisse liefern. Vermutungen hat Lewandowski schon jetzt, sie reichen von Selbstinszenierung bis zu sexuellen Motivationen: „Sie finden es womöglich erregend, dass andere ihnen dabei zusehen. Generell machen Amateurpornografen und –pornografinnen aber nichts anderes als jene, die ihr Leben auf Facebook oder Youtube veröffentlichen. Sie sind also Teil einer Welle, sich selbst darzustellen.”"
Nur die Kombination von Videoanalyse und Interview kann Erkenntnisse liefern
Zusätzlich zur Analyse unzähliger Amateurpornos müssten zwischen 20 und 40 ausführliche Interviews mit ihren Urhebern und Urheberinnen durchgeführt und ausgewertet werden, schätzt der Soziologe. Nur durch die Kombination von Videoanalyse und Interview sei dem Phänomen der Amateurpornographie auf die Spur zu kommen.
Schwierigkeiten, Befragte zu finden, sieht der Forscher nicht voraus. „Das Medienhandeln dieser Menschen lässt vermuten, dass sie auch bereit sind, mit uns zu sprechen.”
Das Projekt beginnt im Februar an der Universität Bielefeld und hat eine Laufzeit von drei Jahren. Sie werden laut Lewandowski einen „entscheidenden methodischen Fortschritt” für die Sexualforschung bringen.