Ende der Pandemie?

Ein Leben nach Corona wird es nicht geben

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Das Ansteigen der Inzidenzzahlen in Großbritannien hat auch in Deutschland die Angst vor einer vierten Welle geschürt. Virusmutationen werden vermutlich dazu führen, dass wir uns an Corona gewöhnen müssen.
Veröffentlicht:15.06.2021, 17:31

Von:
  • Carsten Korfmacher
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Lange war Großbritannien in Bezug auf Corona ein Vorbild für Deutschland. Nachdem das Virus die Insel zunächst sehr hart traf, vollzog das Land einen knallharten Lockdown und impfte früh und schnell. So blieb Großbritannien von der dritten Corona-Welle, die in Deutschland im März begann und im Mai abflaute, vollständig verschont. Doch mittlerweile geht im Vereinigten Königreich die Angst um. Die Ansteckungszahlen steigen wieder, die Aufhebung der letzten Lockerungsmaßnahmen wurde zunächst um einen Monat verschoben.

Derzeit liegt der Inzidenzwert bei über 75 und die Infektionszahlen steigen um 64 Prozent pro Woche. Die ursprünglich aus Indien stammende Delta-Variante des Virus macht dabei inzwischen mehr als 90 Prozent aller Neuinfektionen aus. Das Gefährliche dabei: Die Mutation ist etwa 60 Prozent ansteckender als die in Europa vorherrschende britische Variante. Wissenschaftler gingen zuletzt davon aus, dass sich die Delta-Variante über kurz oder lang auch in Deutschland ausbreiten und die dominierende Variante werden wird.

„Wir befinden uns in einem Wettlauf mit der Zeit”

Schätzungen zufolge soll Großbritannien der Bundesrepublik in Bezug auf Delta rund zwei Wochen voraus sein. Bedeutet das, dass wir auch hierzulande, und selbst im Nordosten mit Inzidenzwerten von deutlich unter 10, bald eine vierte Corona-Welle erleben werden? „Ich glaube nicht, dass wir die Delta-Variante dauerhaft aus MV heraushalten können”, sagte der Bioinformatiker Lars Kaderali von der Universität Greifswald dem Nordkurier. Bei einer vierten Welle stelle sich nicht die Frage des Ob, sondern des Wann. „Wenn man jetzt an den sich öffnenden Tourismus denkt, mit viel Mobilität und Bewegung, ist es schlicht illusorisch zu glauben, dass die Variante hier nicht eingetragen wird.”

Wichtiger sei deshalb die Frage des Impffortschritts. Denn obwohl noch nicht abschließend beurteilt werden kann, wie gut einzelne Impfstoffe gegen die Delta-Variante wirken, lassen Zahlen aus Großbritannien vermuten, dass eine Impfung zumindest vor schweren Krankheitsverläufen schützt. Nach Angaben des britischen Gesundheitsministers Matt Hancock sei die überwiegende Mehrheit der im Krankenhaus behandelten Delta-Patienten nicht geimpft gewesen. „Deshalb befinden wir uns auch hierzulande in einem Wettlauf mit der Zeit”, so Kaderalis Urteil.

Coronavirus wird sich nicht ausrotten lassen

Bleibt die Frage, was nach Delta kommt – Epsilon? Dann Zeta? Und was kommt nach der Omega-Variante? Im Coronajahr 2020 bestand zumindest noch die Hoffnung, dass eine Herdenimmunität das Virus ausrotten würde. Es müssten also nur genug Menschen bereits infiziert oder geimpft sein, damit die Bevölkerung insgesamt dem Virus nicht mehr genug Wirte bietet, um sich verbreiten zu können. Mittlerweile aber gehen Wissenschaftler davon aus, dass das nicht zutreffen wird. Das liegt vor allem an dem Wissen, das wir in den vergangenen Monaten über die Mutationen des Coronavirus sammeln konnten, auch durch die Delta-Variante.

Delta entstand, weil das Virus die Fähigkeit hat, eine sogenannte Immunflucht zu vollziehen: Bei vorhandener Immunität sucht das Virus nach Möglichkeiten, um das Immunsystem zu täuschen und damit die körpereigenen Abwehrreaktionen außer Kraft zu setzen. Wenn das gelingt und sich der entstehende Virustyp weiter verbreitet, entsteht eine Variante, also eine Mutation. Diese sind nicht zwingend gefährlicher für den Menschen – aber sie sorgen dafür, dass das Virus am Leben bleibt und immer neue Menschen ansteckt, bis es wieder mutieren muss, und so weiter.

Ist die Welt für einen langen Kampf gegen Corona gerüstet?

Da eine solche Mutation Zeit dauert, bestünde prinzipiell die Möglichkeit, das Virus durch eine schnell erreichte globale Herdenimmunität auszurotten. Doch dafür müsste zeitgleich weltweit Impfstoff zur Verfügung stehen und es müssten genug Menschen gewillt sein und erreicht werden, um dem Virus keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Da mutierte Viren häufig milder, aber gleichzeitig ansteckender sind, würde nicht einmal die ursprünglich geschätzte Immunitätsrate von rund zwei Dritteln reichen. Wir befänden uns hier in Größenordnungen von extrem unwahrscheinlichen 80, 90 Prozent.

Wissenschaftler weltweit bereiten sich deshalb auf das Szenario vor, dass Corona bleibt. Das würde eine globale Überwachung des Infektionsgeschehens notwendig machen, wie es sie bereits durch die WHO für die Grippe gibt. Infektionen müssten auch bei niedrigen Inzidenzwerten kontrolliert werden, um bei einem Anstieg Maßnahmen einleiten zu können. Gleichzeitig könnte es notwendig sein, Impfstoffe bei Virusmutationen anzupassen und in regelmäßigen Intervallen nachzuimpfen.

Global könnte das immer wieder zu Disruptionen führen, zweifelhaft ist auch, ob die meisten Länder dafür bereits institutionell und finanziell aufgestellt sind. Noch sind viele Fragen offen. Sicher ist nur: Corona ist noch lange nicht vorbei.

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