Eine der letzten ihrer Art – Waldrapp namens Dieks illegal abgeschossen
Rom / Lesedauer: 4 min

Das junge Waldrapp-Weibchen Dieks, das im Rahmen eines europäischen Wiederansiedlungsprojektes aufgezogen wurde, ist bei seinem ersten Flug ins Wintergebiet in Italien illegal abgeschossen worden. „Für die Population des vom Aussterben bedrohten Waldrapps ist das ein schmerzlicher Rückschlag“, sagt Prof. Dr. Klaus Hackländer, Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung.
Mehr lesen: Schussverletzungen: Peta belohnt Hinweise zu getöteten Wölfen
Das Waldrapp-Weibchen ist vor einem Jahr in Kärnten im Süden Österreichs aufgewachsen und jetzt seinen Artgenossen ins Überwinterungsgebiet in der Toskana in Italien gefolgt. „Dieks sollte zur Gründerinnen einer neuen Brutkolonie werden“, sagt Projektleiter Johannes Fritz. „Mit dem Abschuss werden so viele Hoffnungen zunichte gemacht.“
Lesen Sie auch: Angriff: Wie konnte ein Jäger Wolf und Wildschwein verwechseln?
Seit vielen Jahren machen Artenschützer gemeinsam mit ihren italienischen Partnern die Behörden und Jagdverbände auf die hohen Verluste in Italien – insbesondere in der Toskana – aufmerksam. „2020 sind die illegalen Abschüsse wieder beträchtlich gestiegen. In diesem Jahr haben wir bereits zu Beginn der Herbstmigration den ersten Verlust“, sagt Johannes Fritz. „Wir fordern endlich effiziente Maßnahmen gegen dieses sinnlose und illegale Töten.“
Sie starb an einem späten Oktobernachmittag
Weil Dieks einen Peilsender trug, können die Naturschützer rekonstruieren, was dem Vogel zugestoßen ist. Demnach starb der Vogel an einem späten Oktobernachmittag im Arno Tal nahe Figline Valdarno. Projektmitarbeiterin Daniela Trobe wertet täglich die Daten der GPS-Sender aus. Sie wurde auf ungewöhnliche Daten des Waldrapps aufmerksam, denn der Bewegungssensor zeigte nur noch geringe Aktivität.
Das könnte Sie auch interessieren: Nach Schnee-Katastrophe zu Ostern: Ausgebüxte Vögel zurück im Vogelpark Marlow
Die Mitarbeiterin wartete auf die nächste Datenübertragung. Dann bestätigten sich ihre Befürchtungen. Das Tier wurde erschossen. Mittlerweile liegt den Naturschützern ein Röntgenbild der toten Dieks vor.
„Darauf sieht man zwei Schrot-Pellets, eines steckt im Flügel, das andere in der Körpermitte. Die Vögel werden immer von Forensikern untersucht, die uns die Todesursache bestätigen, in dem Fall eindeutig Abschuss”, erklärt Johannes Fritz.
Ihr Körper blieb einfach liegen
Die Vogeljagd habe eine lange Tradition in Italien. Es war das Recht des „kleinen Mannes” Wildvögel zu jagen, ursprünglich als Nahrung. Heute sei Vogeljagd in Italien vorrangig eine Freizeitbeschäftigung. „Die Vogelkörper bleiben wie im Falle von Dieks oft einfach liegen. Wir haben keine Hinweise, dass Waldrappe gegessen werden. Wir haben aber auch keine Hinweise, dass Waldrappe selektiv abgeschossen werden. Es wird geschossen was drüber fliegt, zumindest von jenem Teil der Jäger, die sich nicht an die Vorschriften halten – und das ist wohl ein signifikanter Anteil.” Dieser Sachverhalt lasse den Schluss zu, dass die erschreckend hohe Ausschussrate der Waldrappe auch für andere Zugvogelarten gilt.
Illegale Jagd sei die häufigste Todesursache der Waldrappe in Italien. Allein im vergangenen Jahr verloren fünf Vögel nachweislich durch illegale Abschüsse ihr Leben. In weiteren drei Fällen konnte die Todesursache nicht direkt festgestellt werden, da die toten Tiere nicht gefunden wurden. Illegale Jagd sei eine substanzielle Bedrohung für die Artenvielfalt – und das nicht nur in Italien. Auf dem Flug in ihre afrikanischen Überwinterungsgebiete werden zum Beispiel die extrem bedrohten Schreiadler beim Überqueren des Bosporus sowie über der Sinai-Halbinsel gewildert. Sie werden geschossen oder mit Netzen gefangen. Auch dadurch seien Artenschutzbemühungen der Deutschen Wildtier Stiftung in Deutschland zum Scheitern verurteilt.
Gehören zu den seltensten Vögeln der Welt
Waldrappe zählen zu den Ibisvögeln und gehören zu den seltensten Vogelarten der Welt. Sie waren einst in Mitteleuropa weit verbreitet. Doch bereits im 17. Jahrhundert wurden sie ausgerottet. Danach geriet ihre Existenz in Vergessenheit. Man hielt die überlieferten Zeichnungen für Darstellungen von Fabelwesen. Kennzeichnend für Waldrappe ist ihr metallisch glänzendes schwarzes Federkleid, ihr unbefiedertes Gesicht und der sichelförmige Schnabel. Die in Europa lebenden Waldrappe waren Zugvögel, die ihre Brutgebiete im Herbst verließen, um im Mittelmeerraum zu überwintern. In Europa gibt es seit einigen hundert Jahren keine natürliche Populationen mehr, und die Weitergabe von Zuginformationen ist dadurch erloschen. Bedeutet: Die Zugvögel kennen ihre Flugrouten nicht mehr.
Gemeinsam mit dem Tiergarten Schönbrunn in Wien und mit der gemeinnützigen Organisation Waldrappteam hilft die Deutsche Wildtier Stiftung bei der Wiederansiedlung der seltenen Vögel in Deutschland und bei der Erforschung ihrer Zugrouten. Derzeit laufen zwei Wiederansiedlungsprojekte zum Waldrapp in Europa. Es ist der weltweit erste Versuch, eine kontinental ausgestorbene Zugvogelart wieder anzusiedeln und gleichzeitig ihre Zugtradition wieder zu erwecken. Die Erfahrungen daraus können dazu beitragen, auch weitere Zugvogelarten vor dem Aussterben zu bewahren.