Studie kritisiert
So haben Corona-Sendungen von ARD und ZDF die Welt erklärt
Berlin / Lesedauer: 3 min

Jörg Spreemann
Mit dieser Aufmerksamkeit hat Dennis Gräf nicht gerechnet. Der Kulturwissenschaftler der Universität Passau schiebt wenige Tage nach der Veröffentlichung seiner Studie in einem Forschernetzwerk eine Erklärung nach: „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss unabhängig bleiben. Aber wir können das, was er macht, analysieren und interpretieren.“
Laut Universität hat im öffentlich wenig bekannten Netzwerk Researchgate eine Studie bereits rund 15.000 Zugriffe eingesammelt, in der Gräf mit seinem Kollegen Martin Hennig die Sondersendungen von ARD und ZDF während der Corona-Krise untersucht hat.
Kommentar: Hoffentlich war das Demoverbot in Berlin nur Dummheit.
Erhöhung der Rundfunkgebühr
Das Echo auf die Studie dürfte vor allem einen Grund haben: Noch in diesem Herbst müssen die Landesparlamente entscheiden, ob die TV-Gebühr ab dem kommenden Jahr tatsächlich steigt. Noch ist nicht alles in trockenen Tüchern. Während in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg eine Mehrheit dafür erwartet wird, ist Sachsen-Anhalt zum Zünglein an der Waage geworden. Sagt das Bundesland Nein, fällt der Anstieg auf 18,36 Euro im Monat komplett flach. Gegner und Befürworter der neuen Gebührenrunde schauen jetzt genauer hin, was ARD und ZDF dem ungefragt zahlenden Publikum anbieten.
Exakt 93 Sondersendungen der beiden öffentlich-rechtlichen Kanäle haben sich Gräf und Hennig angeschaut – jeweils zur besten Sendezeit direkt nach der ARD-Tagesschau oder nach ZDF-Heute. Ihre Schlussfolgerung haben sie zum Titel ihrer Studie gemacht: „Die Verengung der Welt“. Untersucht wurden Aufbau und Konzeption der Sendungen, Informationsgehalt, Auswahl der Themen und Personen, verwendete Rhetorik und audiovisuelle Inszenierung.
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Tägliche Sondersendung als Normalfall
Auffällig sei bereits gewesen, dass ab der zweiten Märzwoche bis in den Juni nahezu täglich eine Sondersendung zum Coronavirus ausgestrahlt worden sei, wegen der andere Sendungen verschoben wurden oder ausfielen. Dadurch könne nicht mehr von einer Ausnahme die Rede sein, sondern von einem neuen Standard. Der vollständige Zusammenbruch des öffentlichen Lebens werde unterstrichen und als Normalzustand gesetzt, so die Autoren.
Die Krise sei zum einen Thema der Sendungen, zum anderen auch das erzählerische Muster, das durch eine sich wiederholende krisenhafte Bildsprache verstärkt werde. Die gewählte Sprache diene der Krisenerhaltung und als Legitimation für weitere Sondersendungen. „Vollständig negative Weltsicht“, fassen sie ihre inhaltliche Analyse zusammen.
Insgesamt stellen Gräf und Hennig eine Tendenz zur Zustimmung staatlicher Maßnahmen fest, eine tiefergehende Kritik daran bleibe aus. „Wir sagen damit nicht, dass diese Sendungen staatshörig sind, es werden ja durchaus kritische Fragen gestellt“, so Hennig. Die grundsätzliche Annahme, dass die Maßnahmen verhältnismäßig, angemessen und zielführend seien, werde jedoch nur selten hinterfragt.
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Nach dem Vorbild einer Vorabend-Soap
Manche Sondersendungen würden einen Erzählstil nach dem Vorbild einer Vorabend-Soap pflegen: Es werde eine Reihe überschaubarer Handlungsstränge mit einem überschaubaren Angebot an Figuren aus Politik, Wirtschaft und Virologie gezeigt. Dabei könnten die Problemlösungsstrategien zwar die jeweils aktuelle Krise lösen.
In der Dramaturgie der Sendungen entstünden daraus neue Krisen: Maßnahmen gegen Corona erzeugten Wirtschaftsprobleme, die wiederum in die Staatsverschuldung führten. Eine Verengung der Welt finde zusätzlich statt, wenn auf weitere Sendungen zum Thema auf dem eigenen Kanal hingewiesen werde. „Andere Sichtweisen als die eigene werden nicht zugelassen.“
In einigen Sendungen, manchmal länger als 30 Minuten, fühlten sich die Wissenschaftler in einen Thriller versetzt. So seien gezeigte Bilder mit einem Hintergrundton untersetzt worden, der an ein Alarmsignal erinnert habe. Bei einer Krankenhausszene seien durch Kommentar und Kameraführung der Eindruck eines Katastrophenfilms erweckt worden. Gezeigte Bilder von verwaisten Orte und Geschäften hätten Endzeitstimmung verbreitet: Hollywood lässt grüßen – zur besten Sendezeit.
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