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Kommentar

Weiter so und keiner nimmt vergewaltigte Frauen mehr ernst

Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Die Missbrauchs–Vorwürfe gegen Rammstein–Sänger Till Lindemann beschäftigen derweil ganz Europa. Doch eines sollte klar sein: Betroffenen Frauen nicht zu glauben, ist keine Lösung.
Veröffentlicht:07.06.2023, 19:11

Von:
  • Lisa Gutzat
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Eine „Reihe Null“, Drogen im Überfluss, literweise Alkohol sowie eine Managerin, die junge hübsche Frauen rekrutiert haben soll, um die Gelüste eines Rammstein-Sängers während und nach eines Konzerts zu stillen: Die Schilderungen, die derzeit im Raum stehen, wiegen schwer. 

Rammstein–Unterstützer nehmen missbrauchte Frauen nicht ernst

Mehrere Frauen haben Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann erhoben. Sie alle schildern Situationen auf Aftershow-Partys nach Konzerten, die sie teils als beängstigend empfunden hätten. Dabei geht es unter anderem um sexuelle Gewalt und den - möglicherweise ungewollten - Einfluss von Drogen in diesem Zusammenhang. 

Obwohl sich die Schilderungen der Frauen ähneln und obwohl ein klares Dementi der Band bislang ausgeblieben ist, gibt es viele, für die jetzt schon feststeht, dass die ganze Sache aufgebauscht und übertrieben ist. Was manche eingefleischte Rammstein-Fans und einige Möchtegern-Juristen im Netz kommentieren, ist fast schon genauso traurig wie der Umstand, dass Frauen überhaupt Opfer von Missbrauch werden — und dass der Lifestyle hinter „Sex,Drugs and Rock'n Roll“ einfach hingenommen wird.

Da heißt es dann: „Was haben die Mädels denn erwartet, wenn sie zu einer Aftershow–Party von Till Lindemann gehen?“ oder „Selbst Schuld, wenn sie sich halbnackt anziehen und auftakeln, sie legen es doch drauf an“. 

Nur Menschen, die ein „Nein“ nicht dulden, sind schuldig

Da wird einem doch schon beim Lesen schlecht! Keine dieser Frauen ist schuld an dem, was ihnen passiert ist. Basta.

Die Krönung sind all jene, die sich jetzt über eine „Hexenjagd auf Till Lindemann“ beschweren — als ob die Hexenjagd nicht längst wieder auf die Frauen stattfände, die den Mut hatten, sich zu Wort zu melden! 

Fest steht: Wenn wirklich jemand unwissentlich unter Drogen gesetzt und danach sexuell ausgenutzt worden sein sollte, ist das absolut inakzeptabel und zudem auch juristisch mehr als bloß heikel. Und wenn es wirklich grundsätzlich bei jedem Fall sexueller Gewalt um unwiderrufliche Beweise ginge, könnte wohl kaum jemals wieder jemand deswegen vor Gericht gestellt und verurteilt werden. Zum Glück ist es nicht so.  

Shelby Lynn, die nach eigenen Angaben selbst Opfer von Lindemann wurde, teilt auf Instagram Chatverläufe mit Opfern, die sich bei ihr gemeldet haben, und lässt sie anonym bleiben, damit sie sie veröffentlichen kann. Und auch, wenn man solche Chatverläufe natürlich fälschen kann: Erst einmal sollte man diesen Frauen und ihren Geschichten glauben, sollte den Mut von Shelby Lynn herausstreichen, dieses Thema öffentlich zu machen.

Vergewaltigte Frauen haben es vor Gericht und Gesellschaft schwer

All die Frauen, die sich bei Shelby Lynn gemeldet haben, sind weder direkt an die Öffentlichkeit noch zur Polizei gegangen. Welcher dieser vielen Frauen kann man denn nun die Absicht eines Rufmordes vorwerfen? Richtig: Keiner! Denn als sie Shelby Lynn schrieben, wollten sie sichtlich erst einmal nur einen Austausch von Opfer zu Opfer. 

Fakt ist: Wenn Frauen, die offenbar Opfer von sexueller Gewalt geworden sind, weiterhin nicht geglaubt wird oder ihre Geschichten von vornherein stark angezweifelt und bagatellisiert werden, wird es der Gesamtheit aller Frauen in Fällen sexueller Gewalt wieder einmal schwer gemacht - vor Gericht und in der Gesellschaft. Das darf nicht sein.