Jedes Fahrzeug, das für den Straßenverkehr zugelassen ist, muss in regelmäßigen Abständen zum Tüv und wird dann auf Herz und Nieren überprüft. Eine ähnliche Regelung existiert auch für viele Industrieanlagen. Gemäß Betriebssicherheitsverordnung benötigen überwachungsbedürftige Anlagen wie Aufzüge, Lagerhallen und Druckgeräte eine regelmäßige Tüv-Prüfung. Das Kriterium: Wenn die Anlage eine Gefahr für Dritte darstellen könnte, unterliegt sie der Prüfpflicht.
Dieser Grundsatz gilt aktuell allerdings nicht für Windräder. Diese werden nur nach dem deutschen Baurecht geprüft, so Joachim Bühler, Geschäftsführer des Verbandes der Tüv. In der Praxis ergeben sich deshalb zum Teil kuriose Szenen. Weil viele Windräder mit Aufzügen und Druckbehältern ausgestattet sind, werden auch die Sachverständige des Tüv (VdTÜV) regelmäßig zu den Anlagen bestellt. Beim Kontrollbesuch würden dann aber nur die entsprechenden Geräte unter die Lupe genommen, nicht aber die übrigen Bauteile der Anlage, beklagte Bühler.
Ministerium verweist auf grundsätzlich anderen Ablauf
Doch: „Das Gefahrenpotenzial von Windrädern ist vergleichbar mit anderen überwachungsbedürftigen Anlagen“. Der VdTÜV empfiehlt deshalb, die Betriebssicherheitsverordnung auch für Windräder anzuwenden, sie also alle zwei Jahre von Unabhängigen prüfen zu lassen. Ebenso fordert der Verband Maßstäbe festzulegen, unter denen ein Windrad auch nach dem Ablauf der vorgesehenen Lebensdauer weiter betrieben werden könne.
„Der Vergleich mit dem Auto-TÜV trägt bei Windenergieanlagen nicht“, hält dem das Energieministerium von Mecklenburg-Vorpommern entgegen. Die Behörde von Verkehrsminister Christian Pegel (SPD) verweist auf die grundsätzlich anderen Abläufe bei Windrad-Kontrollen: „Werden Wartungsintervalle nicht eingehalten, verliert die Windenergieanlage ihre Zertifizierung und der Betreiber seine Versicherung und wird somit seine Anlage selbst still legen“, erklärte das Ministerium.
Bundesverband Windenergie hält Tüv-Vorstoß für Lobbyismus
Der Bundesverband Windenergie, in dem sich die Windrad-Betreiber zusammengeschlossen haben, meldete sich in der Debatte kürzlich ebenfalls zu Wort und erklärte: „Dass der Bundesverband der deutschen TÜV im Bereich der Instandhaltung von Windenergieanlagen Wachstumspotenziale und Geschäftsmodelle erkennt, ist legitim. Die dabei angeschlagenen schrillen Töne sind dagegen unangebracht.“ Der Verband hält an den aktuellen Prüfverfahren fest: „Die bestehenden Wartungszyklen sind etabliert und zuverlässig. Die regelmäßigen Prüfungen werden von anerkannten, unabhängigen Sachverständigen vorgenommen.“
Aktuell finden zwei mal pro Jahr Sichtprüfungen statt, sagte ein Sprecher auf Nordkurier-Nachfrage. Bei diesen Prüfungen seien Wartungsfirmen vor Ort, die Schäden an den Anlagen dokumentieren und umgehend an die Betreiber weiterleiten würden, so der Verband. Alle zwei bis vier Jahre kämen dazu dann auch noch Prüfungen der Landesbaubehörde. Dort würden die Ergebnisse der einzelnen Sichtungen zusammengetragen und nach Lücken untersucht: „Turnusmäßig werden zudem Steuerelemente, Rotorblätter, Triebstrang und alle weiteren sicherheitsrelevanten Verschleißteile geprüft.“
Bei den rund 30 000 Windrädern, die hierzulande in Betrieb sind, seien Störfälle nur marginale Erscheinungen, betonte der Verband. „Mit einer technischen Verfügbarkeit von 98 Prozent gehören Windenergieanlagen zu den sichersten Bauwerken in der vom Menschen geprägten Landschaft.“
Bundesregierung lehnt Tüv-Pflicht weiter ab
Die Bundesregierung lehnt eine Einführung der Tüv-Pflicht für Windkraftanlagen ab, ergab eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion, über die am Wochenende zuerst die Welt am Sonntag berichtet hatte. Der Bund sieht die Länder in der Verantwortung. Auf die Frage, wie viele Windräder in den vergangen drei Jahren aufgrund technischer Mangel stillgelegt wurden, konnte die Bundesregierung keine konkreten Zahlen nennen. Das liege daran, dass in Berlin nur die Gesamtzahl der Stilllegungen bekannt ist, aber nicht die Gründe dafür. Dennoch: „In den Jahren 2015 bis 2017 wurden nach Meldungen im Anlagenregister der Bundesnetzagentur Anlagen mit einer Gesamtleistung von
937 Megawatt zurückgebaut“.
+++ Lesen Sie hier einen Kommentar unseres stv. Chefredakteurs Jürgen Mladek zu diesem Thema +++