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Windenergie

„Infraschall schwächt die Herzkraft“

Mainz / Lesedauer: 4 min

Können Windräder in der Nachbarschaft krank machen? Ja, dafür gibt es Anzeichen, sagt der Kardiologie-Professor Christian-Friedrich Vahl. Im Interview erklärt er seinen Standpunkt.
Veröffentlicht:24.05.2022, 10:13
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Herr Professor Vahl, was macht Infraschall mit unserem Körper?

Anders als Hörschall wird der Infraschall nicht über das Gehör wahrgenommen. Wohl aber nimmt der Körper ihn niederschwellig auf. Etwa über bestimmte Rezeptoren auf der Haut. Organe können in Schwingung geraten. Auch bestimmte Hirnregionen nehmen Infraschall auf.

Wie stark sind wir Infraschall ausgesetzt?

Infraschall ist allgegenwärtig. Meereswellen können Infraschall verursachen, der Wind, Gewitter, Autofahren, Trampolinspringen und sogar das Schnurren einer Katze. Aber das ist ein unstrukturierter Schall, so etwas wie ein Rauschen. Das stört den Menschen nicht. In unserer Forschung befassen wir uns im Gegensatz dazu mit dem sogenannten gepulsten Infraschall. Das sind strikt geordnete Wellen.

Und dieser gepulste Infraschall wird von Windrädern erzeugt?

Unter anderem, ja. Er kommt dadurch zustande, dass das Rotorblatt am Mast entlangläuft, dadurch die Luft komprimiert wird und kurze, steile Impulse entstehen. Die merkt man auch körperlich. Wie wenn Sie bei einem Rockkonzert vor den Bassboxen stehen. Da merken Sie den Schall auch mit dem Bauch. Die Pulse, die ein Windrad macht, sind aber stärker.

Ihr Fachgebiet ist das Herz. Was genau haben Sie erforscht?

Wir haben aus dem Vorhof des menschlichen Herzens Stücke entnommen und kleine Präparate daraus gemacht. Diese haben wir dann entweder mit Infraschall beschallt oder eben nicht. Wichtig ist: Beide Präparate kamen vom selben Patienten.

Die Ausgangslage war also gleich. Im beschallten Gewebe haben wir binnen einer Stunde eine Reduktion der Herzkraft festgestellt, das ist die Kraft, die das Herz bei jedem Herzschlag entwickelt. Wir haben die Beschallung bei 100 Dezibel begonnen und sind dann über 110 auf 120 Dezibel gegangen. Am Ende war die Herzkraft um zwanzig Prozent schwächer.

Inwieweit ist eine Laboruntersuchung auf die reale Lebenswelt übertragbar?

Da bin ich grundsätzlich sehr vorsichtig. In den Präparaten sind die Muskelfasern anders angeordnet als im wirklichen Herzen, und sie wurden im Labor gleichmäßig beschallt. In der Praxis könnte die Wirkung also geringer sein. Entscheidend ist aber, dass es diesen Effekt gibt: Infraschall schwächt die Herzkraft.

Bayern hat gerade die bislang sehr strengen Abstandsregeln für Windräder gelockert. Über welche Distanz kann eine Infraschallquelle das Herz beeinträchtigen?

Noch in zehn Kilometern Entfernung können Druckpulse von Windrädern nachgewiesen werden. Das geht aus einer Untersuchung der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hervor...

...die allerdings fehlerhaft war. Die Wissenschaftler hatten sich um 36 Dezibel verrechnet, wofür sich der damalige CDU-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier als Dienstherr der Bundesanstalt offiziell entschuldigt hat.

Die Reichweite der Infraschallemissionen von Windparks wird auch nach Korrektur von der BGR mit größer als zehn Kilometer angegeben. Das hängt aber von der Landschaft ab. Ist es bergig, kann man die Abstandsregeln lockern.

Im flachen Gelände muss man sich die vorherrschenden Windrichtungen anschauen. Es reicht nicht, bei der Frage nach dem Abstand einfach mit dem Zirkel einen Kreis um ein Windrad zu ziehen.

Manche Menschen, die sich als Betroffene von Infraschall sehen, berichten von Schlafstörungen. Andere von Angststörungen oder Niedergeschlagenheit, wieder andere fühlen sich seekrank. Das wirkt alles ziemlich diffus.

Leider wissen wir noch zu wenig, welche biophysikalischen Effekte Infraschall auslöst. Aber es scheint so zu sein, dass Infraschall die Durchlässigkeit von Zellmembranen verändert. So können Wassereinlagerungen entstehen und daraus Ödeme im Gewebe. Und je nachdem, wo diese vorherrschen, sind auch die Symptome unterschiedlich.

Skeptiker vermuten einen Nocebo-Effekt, also das negative Gegenteil eines Placebo-Effekts. Sie unterstellen, dass nicht die Windräder krank machen, sondern eine negative Erwartungshaltung betroffener Anwohner.

Den Nocebo-Effekt gibt es selbstverständlich, jeder kennt das. Wenn Sie einen Nachbarn mögen, dann verzeihen sie ihm alles. Wenn Sie ihn aber nicht mögen, dann verzeihen Sie ihm schon nicht, dass sein Rasen zu hoch gewachsen ist. Dass die Haltung zur Windkraft bei möglichen Symptomen eine Rolle spielen wird, verstehe ich absolut.

Aber es gibt eben auch Anhaltspunkte für tatsächliche Wirkungen. Deswegen wäre es wichtig, systematisch weiter zu forschen. Im Übrigen kann auch der gegenteilige Nocebo-Effekt greifen: Man hält etwas fälschlicherweise für harmlos, einfach deswegen, weil man es richtig und gut findet.

Nimmt denn die Politik beim Ausbau der Windkraft auf gesundheitliche Aspekte genug Rücksicht?

Selbstverständlich nicht. Das zeigt schon die Schwerpunktsetzung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Auswirkungen von Infraschall kommen da nicht vor. Anders als beispielsweise bei der Erforschung von Fluglärm werden dafür keine Mittel bereitgestellt. Das liegt meiner Meinung auch daran, weil das Thema falsch instrumentalisiert wird.

Als ob derjenige, der sich damit befasst, etwas gegen Windräder hätte. Vor vielen Jahren gehörten wir zur Generation der Brokdorf- und Anti-Atomkraft-Demonstranten. Es geht nicht darum, gegen erneuerbare Energien zu Felde zu ziehen. Sondern es geht darum, dass wir ein bestimmtes physikalisches Prinzip einsetzen. Und dann sollten wir über dieses physikalische Prinzip so viel wissen wie möglich.