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Scharfe Töne vor Innenministertreffen zur Asylpolitik

Berlin/Brüssel / Lesedauer: 4 min

In Deutschland und Europa kommen wieder mehr Flüchtlinge und irreguläre Migranten an. Vor diesem Hintergrund soll das mehr schlecht als recht funktionierende europäische Asylsystem reformiert werden.
Veröffentlicht:07.06.2023, 11:59

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Vor einer möglichen Einigung der EU–Staaten zur gemeinsamen europäischen Asylpolitik haben sowohl Befürworter als auch Gegner der Reformpläne noch einmal vehement versucht, auf die Bundesregierung einzuwirken.

Die FDP–Migrationspolitikerin Ann–Veruschka Jurisch warb am Tag vor der entscheidenden Sitzung für die Reform. „So sehr es ein Recht auf Asyl und rechtsstaatliche Verfahren gibt und geschützt werden muss, so wenig gibt es ein uneingeschränktes Recht auf Einreise und Aufnahme in der EU und in Deutschland“, sagte die Bundestagsabgeordnete am Mittwoch. „Die Bundesregierung trägt die Vorschläge zur massiven Verschärfung des EU–Asylrechts mit, obwohl sie diametral dem Koalitionsvertrag widersprechen“, kritisierte die Abgeordnete Clara Bünger (Linke).

Die EU–Innenminister beraten an diesem Donnerstag in Luxemburg über die seit Jahren strittige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Es geht unter anderem darum, ob es Vorprüfungen von Asylanträgen schon an den EU–Außengrenzen geben soll. Die Bundesregierung will durchsetzen, dass Minderjährige unter 18 und Familien mit Kindern von diesen Verfahren ausgenommen werden.

Die meisten Schutzsuchenden aus drei Ländern

Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) mitteilte, wurde in den ersten fünf Monaten dieses Jahres für 125 556 Menschen erstmals ein Asylantrag gestellt. Das waren fast 77 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die meisten Schutzsuchenden kamen aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), forderte: „Die Bundesregierung darf keiner Reform zustimmen, bei der Deutschland am Ende noch mehr leisten muss, als es jetzt schon tut.“ So seien in Deutschland beispielsweise im vergangenen Jahr deutlich mehr Asylanträge gestellt worden als in Italien.

Aktivisten von SOS Humanity protestierten unterdessen vor dem Bundesinnenministerium in Berlin. Die Vertreter der Organisation, die Bootsmigranten im Mittelmeer aus Seenot rettet, gaben eine Petition ab, mit der die Bundesregierung aufgefordert wird, ein koordiniertes europäisches Rettungsprogramm anzustoßen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) solle sich „dem Trend der Entwertung europäischer Grund– und Menschenrechte und der Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze“ entgegenstellen und die geplante Reform nicht mittragen.

Für die geplanten Änderungen sprach sich der Deutsche Landkreistag aus. Der Präsident des kommunalen Spitzenverbandes, Reinhard Sager (CDU), sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Wir stärken der Bundesinnenministerin den Rücken mit dem Ziel, innerhalb der EU zu einer faireren Lastentragung zwischen den Mitgliedstaaten zu gelangen und die irreguläre Migration zu begrenzen.“

Nicht mit menschenrechtlichen Verpflichtungen vereinbar?

Der Geschäftsführer des UN–Kinderhilfswerks Unicef in Deutschland, Christian Schneider, sagte, es sei „ein wichtiger Schritt, dass sich die Bundesregierung auf EU–Ebene dafür stark machen will, alle schutzsuchenden Kinder im Sinne der UN–Kinderrechtskonvention, ob im Familienverbund oder unbegleitet, aus den geplanten Grenzverfahren auszunehmen“. Das Deutsche Institut für Menschenrechte mahnte: „Ein System, das vorrangig auf Abschreckung und die Auslagerung von Asylprüfungen an die Außengrenzen oder in vermeintlich sichere Drittstaaten außerhalb der EU setzt, ist mit Deutschlands flüchtlings– und menschenrechtlichen Verpflichtungen nicht vereinbar.“

Die Juso–Vorsitzende Jessica Rosenthal sagte zu den Plänen für diese Verfahren, die binnen weniger Wochen abgeschlossen werden sollen: „Also ich halte davon nichts, weil ich ganz sicher bin, dass es zu haftähnlichen Zuständen kommt, dass es zu Menschenrechtsverletzungen kommt“, sagte sie im Deutschlandfunk.

Zu der Forderung der Grünen und der SPD, Minderjährige zwischen 12 und 17 Jahren von den geplanten Grenzverfahren auszunehmen, erklärte der EVP–Chef Manfred Weber: „So werden Schleuser ermutigt, Familien und jüngere Menschen ins Visier zu nehmen, weil sie de facto eine Garantie haben, in Europa bleiben zu können.“ Damit würden Jugendliche „nicht geschützt, sondern verstärkt gefährdet“, warnte der CSU–Politiker in der „Rheinischen Post“.

Migrationsforscher in Deutschland kritisierten die Reformpläne. „Die große Reform wird die migrationspolitische Krise noch vertiefen und Europa spalten“, sagte Bernd Kasparek vom Berliner Institut für empirische Integrations– und Migrationsforschung (BIM). Deshalb wäre es aus Sicht der Wissenschaftler besser, die Verhandlungen darüber jetzt scheitern zu lassen. Sie schlugen eine Art europäische Asylagentur vor. Diese könnte mit einem Matching–System Geflüchtete und Aufnahmestaaten zusammenbringen. Die Mitgliedstaaten könnten dabei Interessen und Anforderungen formulieren, die Asylsuchenden könnten Wünsche und bereits bestehende sozialen Verbindungen in europäische Länder angeben.