Klimaprotest
„Aus der Letzten Generation können sich Terrorgruppen abspalten“
Berlin / Lesedauer: 7 min

Carsten Korfmacher
Sie haben einen exklusiven Blick hinter die Kulissen der Letzten Generation erhalten. Wie kam es dazu und wie sind Sie vorgegangen?
Ich forsche seit Jahren an der Frage, wie Non-Profit-Organisationen Einfluss auf die Gesellschaft nehmen. Das wollte ich natürlich auch für die Letzte Generation untersuchen. Allerdings konnte ich die traditionellen Rechercheansätze und Analyseinstrumente nicht anwenden, da die Gruppe ihre internen Strukturen völlig verdeckt hält.
Also habe ich mich Ende 2022 unter falschem Namen in die Info-Kanäle der Letzten Generationen begeben, an Protesttrainings teilgenommen und so die ersten Mitglieder kennengelernt. Verdeckte Beobachtung im Feld nennt man das in der Psychologie.
Im Laufe der Zeit wurden die Kontakte intensiver, einige Mitglieder wussten dann auch, wer ich bin. So habe ich Zugang zu internen Kanälen und Dokumenten bekommen, die mir einen Einblick in die Struktur und Psychologie der Gruppe gegeben haben.
Was sind das für Leute, die ihnen dort begegnet sind? Ist bei der Letzten Generation die Breite der Gesellschaft vertreten, zum Beispiel bei Einkommen, Bildungsgrad oder Migrationsgeschichte?
Nein, überhaupt nicht. Es gibt keine Diversität, fast gar keine Menschen mit Migrationshintergrund. Formal sind die Mitglieder höher gebildet. Die Organisation wäre gerne bürgerlich und in der politischen Breite verankert, ist es aber nicht, sondern zieht in erster Linie eher linke Personen an. Zudem sind überdurchschnittlich viele Männer vertreten.
Die Gruppe versucht seit langer Zeit, aktiv dagegen zusteuern, indem sie überproportional junge Frauen rekrutieren will. Das ist bisher aber immer gescheitert. Und auch die Altersstruktur ist ziemlich überraschend.
Man würde meinen, dass es sich eher um junge Menschen handelt.
Genau, das würde man meinen. Tut es aber nicht. Es gibt keinen signifikanten Unterschied zum gesamtgesellschaftlichen Altersdurchschnitt ‐ und der liegt bei knapp 45 Jahren.
Was haben Sie über den Aufbau und die Struktur der Gruppe herausgefunden?
Die Letzte Generation ist streng hierarchisch strukturiert. Die Führungsriege besteht in Deutschland aus sechs Personen, die die zentrale Strategie der Gruppe ausarbeiten und vorgeben. Diese Strategie wird von oben nur mitgeteilt und darf nicht in Frage gestellt werden. Das ist auch gewünscht so, weil es angeblich effektiver ist.
Erinnert an eine Armee oder Diktatur.
Das stimmt, es gibt keinerlei Debatten oder basisdemokratische Veränderungen. Deswegen gelang es mir auch relativ leicht, an interne Dokumente zu kommen. Viele Mitglieder in den operativen Einheiten, also die, die ihren Kopf hinhalten, stört es nämlich, dass sie überhaupt kein Mitspracherecht haben. Und diese antidemokratischen Strukturen drücken sich auch in ihrem Verhältnis zu Staat und Gesellschaft aus.
Heißt das, dass die Letzte Generation aus Demokratiefeinden besteht? Dabei fordert die Gruppe doch einen Klima-Bürgerrat, was sich nach mehr direkter Demokratie anhört.
Das liegt daran, dass die Gruppe die gesellschaftlichen Realitäten völlig falsch einschätzt. Sie glaubt tatsächlich, dass eine Mehrheit der Bürger aktiv radikale Klimaschutzmaßnahmen umsetzen würde, wenn sie die Chance dazu bekäme.
Erstens ist das zweifelhaft. Und zweitens ist Demokratie für diese Leute nur ein Mittel zum Zweck: Sie sind nur an Demokratie interessiert, wenn diese zu härteren Klimaschutzmaßnahmen führt, sonst nicht. Oder etwas härter formuliert: Die Gruppe interessiert schlicht und ergreifend nicht, was die Bürger denken, weil sie eh glaubt, es besser zu wissen.
Was unterscheidet die Letzte Generation dann noch von Rechtsextremisten oder Salafisten?
Nur die Inhalte. Strukturell und psychologisch sind die Gemeinsamkeiten viel größer als die Unterschiede. Das Verbindende ist der Autoritarismus und der Glaube an die eigene Überlegenheit. Die Letzte Generation denkt, dass sie die Wahrheit kennt und dass sie deshalb mehr Einfluss haben muss als andere Menschen.
Aus dieser Überhöhung der eigenen Haltung folgern sie für sich sowohl eine moralische Überlegenheit als auch das Recht der sozialen Dominanz über alle, die noch nicht gefolgt sind. Dahinter steckt also eine klare antidemokratische Haltung, die mit der Bedrohung durch den Klimawandel gerechtfertigt wird ‐ sowie andere Extremisten sich durch den Willen Gottes oder eine Bedrohung durch Einwanderung rechtfertigen.
Aus politisch oder religiös motivierten, extremistischen Gruppen entsteht immer wieder Terrorgefahr. Ist damit auch bei radikalen Klimaschützern zu rechnen?
Ja, das halte ich für sehr wahrscheinlich. Die Organisation ist aber zu hierarchisch organisiert, als dass sie selbst zu einer terroristischen Vereinigung werden würde. Aber aus der Letzten Generation können sich Terrorgruppen abspalten, auch wenn die Führungsriege das nicht goutiert. Dafür reichen ja schon eine Handvoll Mitglieder, die glauben, dass die Letzte Generation ihre Ziele nicht mehr erreichen kann und zu härteren Maßnahmen greifen muss. Die ideologische Basis dafür ist jedenfalls vorhanden.
Wie sieht es mit der Finanzierung der Letzten Generation aus?
Bis ins Frühjahr 2023 waren etwa 80 Aktivisten bei einem gemeinnützigen Verein in Berlin fest angestellt, der wiederum durch den Climate Emergency Fund in den USA finanziert wurde. Von dieser Organisation kam auch ein Großteil der Anschubfinanzierung in Deutschland, wobei alle Geldflüsse über den Berliner Verein gelaufen sind, der offiziell nichts mit der Letzten Generation zu tun hat.
Hier geht es aber nur um die Verschleierung von Finanzströmen, so dass bei möglichen Schadensersatzklagen die rechtliche Haftung der Organisation erschwert wird. Mittlerweile sind die Geldflüsse aus den USA deutlich zurückgegangen und die Letzte Generation finanziert sich in erster Linie über Spenden.
Sie sagten, dass es fest angestellte Aktivisten gab oder gibt?
Ja, nach eigenen Aussagen werden die aber nicht für Protestaktionen, sondern für Bildungsarbeit im Klimaschutz bezahlt. Zudem wird sehr penibel darauf geachtet, dass sich die Gehälter unter der Pfändungsgrenze befinden, für den Fall, dass es zu Schadensersatzklagen kommt.
So werden übrigens auch die Personen ausgewählt, die sich an Straftaten beteiligen, die sogenannten Wildbienen. Es werden nur Leute rekrutiert, die bereit sind, auf Dauer in Armut zu leben, ein Pfändungsschutzkonto haben und so weiter. Oft sind das jüngere Leute, die ihr Studium oder eine Berufstätigkeit für die Aktionsform unterbrochen haben. Die Organisation setzt für ihre Mitglieder eigentlich das Ziel der Aufgabe des bürgerlichen Lebens ‐ mit Verzicht auf alles.
Wieder so eine Gemeinsamkeit mit anderen Formen von Extremismus: eine Rückkehr ins bürgerliche Leben ist meist sehr schwer.
Ja, zumal gerade die jungen Leute die langfristigen Folgen nicht abschätzen können. Ein 20-Jähriger mag glauben, dass er dauerhaft von 1200 Euro im Monat leben kann. Doch welche Folgen das für ihn hat, zum Beispiel für die Familienplanung, wird von den Führungskräften nicht erwähnt oder heruntergespielt.
Je größer der Preis, den Aktivisten zahlen muss, desto mehr werden sie als Helden gefeiert. Diesen Vorbildern solle man nacheifern und akzeptieren, dass man zwar arm an Geld, aber reich an Erfahrung und gesellschaftlichem Einfluss sei.
Über die kurzfristigen juristischen Folgen wie Festnahmen wird gesprochen, aber die langfristigen individuellen Folgen ‐ Strafregister, Führungszeugnis, Schuldtitel, die über 30 Jahre vollstreckt werden können ‐ werden nicht erwähnt. Für junge Menschen ist das ein großes Risiko.
Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Welche Erfahrungen haben Sie gemacht, nachdem Sie mit ihren Untersuchungsergebnissen an die Öffentlichkeit gegangen sind?
Die Reaktionen waren gemischt. Ich habe einige positive Rückmeldungen bekommen, einiges war sehr differenziert, also weder zustimmend oder ablehnend. Allerdings muss ich sagen, dass die Mehrheit der Reaktionen persönlich angreifend war.
Heute bin ich einer ständigen Beobachtung vor allem in den sozialen Medien ausgesetzt und viele Leute wollen mich als Klimaleugnerin abstempeln. Doch das stimmt nicht. Ich unterscheide nur zwischen den Methoden der Letzten Generation und den Zielen, für die sich die Gruppe einsetzt.
Maria-Christina Nimmerfroh
Die Psychologin Maria-Christina Nimmerfroh (50) arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg, wo sie im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften forscht und unterrichtet.
Nimmerfroh ist Mitglied der FDP und war bis 2021 Fraktionsvorsitzende des FDP-Ortsbeirats in den Frankfurter Stadtteilen Bockenheim und Westend.
2022 kandidierte sie für den Bürgermeisterposten in der rund 27.000 Einwohner zählenden hessischen Stadt Griesheim.