Hohe Umfragewerte
CDU–Bürgermeister fordert Zusammenarbeit mit AfD
Berlin/Schwerin / Lesedauer: 4 min

Andreas Becker
Da bekommt so langsam manch Politiker bei den etablierten Parteien feuchte Hände – vielleicht noch keinen Angstschweiß, aber ein gewisser Stressfaktor lässt die Schweißdrüsen schon einmal verstärkt aktiv werden. Dass derzeit ein Drittel der Bürger im Osten der AfD ihre Stimmen geben würden – wie vom Meinungsforschungsinstitut Forsa aktuell ermittelt –, erhitzt neben den Schweißdrüsen auch die politischen Gemüter.
Offenbar entwickelt sich bei Linken, SPD, Grünen, CDU und FDP ein diffuses Gefühl, dass die große Zustimmung der Bürger für die AfD keine Momentaufnahme in der volatilen Politiklandschaft mehr ist, sondern zunehmend ein fester und nicht unerheblicher Faktor in der Welt der Parteien wird. Auch wenn die anderen Parteien in der Regel reflexhaft Ablehnung und oftmals auch Abscheu vor der AfD signalisieren, so gibt es mittlerweile auch vereinzelte Stimmen, die es offenbar leid sind, die AfD und damit auch deren zahlreiche Anhänger einfach so zu ignorieren.
Beispielsweise Michael Brychcy, seit 17 Jahren Chef des Städte– und Gemeindebundes in Thüringen und Bürgermeister der Gemeinde Waltershausen im Landkreis Gotha. Brychcy hat sich jetzt für eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen. In Sachfragen komme die Politik auf der Kommunal– und Landesebene im Osten sonst überhaupt nicht mehr voran, mahnt der erfahrene Kommunalpolitiker.
„Nicht alle in dieser Partei sind Faschisten“, sagte der 62–Jährige dem Mitteldeutschen Rundfunk in Thüringen. Er selbst binde schon längst die AfD–Abgeordneten bei Sachfragen im Stadtrat mit ein. „In solchen Fällen lehne ich parteipolitische Spielchen ab“, betonte Brychcy, der auch dem Landespräsidium der Thüringer CDU angehört. Und dann fügte der CDU–Politiker einen Satz hinzu, der von erheblicher Tragweite sein könnte: Die Zusammenarbeit und Einbindung der AfD könne seiner Meinung nach auch im Landtag funktionieren. Mit dieser Position stellt sich Brychcy zwar frontal gegen seinen Parteichef Friedrich Merz – will diesen sich verstärkenden Konflikt aber parteiintern ausfechten.
Eine Brandmauer zur AfD ließ Brychcy allerdings stehen: Mit Björn Höcke und dem rechten Flügel der AfD könne man nicht reden, so der CDU–Politiker.
In Mecklenburg–Vorpommern wagen sich die örtlichen Christdemokraten noch nicht so weit aus der AfD–Deckung. Als am vergangenen Sonntag klar war, dass es beim Kampf um den Oberbürgermeisterposten in der Landeshauptstadt Schwerin am 18. Juni zu einer Stichwahl zwischen dem SPD–Amtsinhaber Rico Badenschier und dem AfD–Landeschef und Bundestagsabgeordneten Leif–Erik Holm kommen würde, brauchte der CDU–Kreisverband Schwerin geschlagene 24 Stunden, um dann doch eine Wahlempfehlung für den SPD–Politiker auszusprechen. Es sei eine sehr schwierige Entscheidung gewesen, hieß es anschließend.
Da zeigte sich die Schweriner FDP schon ein wenig mutiger – und verzichtete ganz auf eine Wahlempfehlung. Das brachte den Freidemokraten in der Landeshauptstadt politische Haue und Dresche – sowohl vom Landes–Generalsekretär als auch aus der Parteizentrale in Berlin. Die Äußerung eines Schweriner FDP–Vorstandsmitglieds, wonach die anstehende Stichwahl eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera wäre, sei „sachlich falsch“, sagte Alexander Graf Lambsdorff, Vize–Fraktionschef im Deutschen Bundestag. Die SPD sei ein demokratischer Mitbewerber, so Graf Lambsdorff, „mit dem wir zur Zeit im Bund koalieren“. Der Graf an die Adresse seiner Parteifreunde in Mecklenburg–Vorpommern: „Die SPD ist links, nicht liberal, aber sie ist weder Pest noch Cholera“. Beides aber gelte für die AfD.
Ohne das Wort AfD in den Mund zu nehmen, versuchte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag in Berlin die hohen Umfragewerte der Partei zu erklären. Hebestreit verwies auf gesellschaftliche Umbrüche und Unsicherheiten, sprach davon, dass der Klimaschutz halt jetzt auch im Heizungskeller der Bürger ankommen würde. Es gebe Zielkonflikte in der Gesellschaft, es werde über den richtigen Weg gestritten und dabei beobachte die Bundesregierung auch eine gewisse Unruhe in der Bevölkerung. Dies, so die augenscheinliche Interpretation in der Ampel, könnte die AfD aktuell begünstigen.
Hebestreit warnte vor einfachen Lösungen und schnellen Rückschlüssen. Motto in der Scholz–Regierung: „Wenn es mit der Auflösung von Zielkonflikten voran geht, verringert sich auch die Unruhe.“ Und die Werte der AfD würden sinken, so offenbar die unausgesprochene Hoffnung in der Bundesregierung.