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Corona-Verbote – "Vermutlich aufgrund der Einsamkeit verstorben"

Politik / Lesedauer: 3 min

In der Corona-Zeit durften Bewohner von Alten- und Pflegeheimen ihre Familien lange nicht sehen. Die Folgen sind laut einer aktuellen Studie schlimmer als damals zugegeben wurde. 
Veröffentlicht:18.07.2023, 12:06

Von:
  • Philippe Debionne
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Maßnahmen in der Corona-Zeit wie Isolation und Quarantäne in Altenheimen haben schlimme und teils sogar tödliche Folgen für alte Menschen gehabt. Das ist das Fazit einer Untersuchung des Sächsischen Landesverbands der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Chemnitzer Regionaldirektion der Knappschaft-Krankenkasse zu den Corona-Verboten und sogenannten Schutzmaßnahmen. Viele alte Menschen hätten den Sinn der sozialen Abgrenzung nicht nachvollziehen können und sich regelrecht „weggesperrt“ gefühlt, heißt es im Abschlussbericht der Untersuchung. Zunächst berichtete der öffentlich-rechtliche MDR.

Vermutlich an Einsamkeit verstorben

In Heimen wurde das Infektionsrisiko als sehr hoch eingestuft, zudem war das Risiko schwerer Krankheitsverläufe im Falle einer Corona-Infektion bei alten und kranken Menschen nach Aussagen von Karl Lauterbach sowie des Corona-Expertenrates höher als bei anderen Menschen. Wie die meisten Bundesländer führte Sachsen deshalb Besuchsverbote für Heimbewohner ein, auch soziale Betreuungsangebote in den Einrichtungen wurden größtenteils ausgesetzt. Die Folgen laut der aktuellen Untersuchung: Alte Menschen seien vereinsamt, hätten sich zurückgezogen und teilweise auch depressive Symptome gezeigt. 

Bei zwei Drittel der Betroffenen wurden Stimmungsschwankungen festgestellt, auch Ängste und Sorgen hätten zugenommen. Zudem sei auch die körperliche Alterung "beschleunigt worden". In dem MDR-Beitrag heißt es weiter, einige Heimbewohner seien laut dem aktuellen Forschungsbericht "vermutlich aufgrund der anhaltenden Einsamkeit verstorben".

"Gefühl der Ohnmacht" bei isolierten Senioren

Die schlimmen Folgen werden jetzt auch damit erklärt, dass den Betroffenen "die Möglichkeit zur Selbstbestimmung genommen" worden sei. Das habe "zu einem Gefühl der Ohnmacht" geführt. Zudem sei "die Rolle der Angehörigen unterschätzt" worden. Deren Wert sei "so vielseitig wie unverzichtbar".

Die Autoren des jetzt vorgestellten Berichts hatten die Auswirkungen der Corona-Verbote auf Altenheimbewohner in Gesprächen mit Betroffenen, Angehörigen und Pflegekräften von sechs Altenheimen untersucht. Diese Gespräche wurden dem Bericht zufolge vor etwa zwei Jahren geführt, als die meisten der Corona-Verordnungen noch gültig waren und umgesetzt wurden. 

"Keine Zeit, sterbende Bewohner zu begleiten"

In dem Bericht heißt es weiter, dass einige der Alten und Pflegebedürftigen mit einem persönlichen Schuldempfinden reagiert hätten, als ihre Verwandten nicht mehr zu ihnen kommen durften. Andere ältere Menschen hätten ihren Angehörigen gar vorgeworfen, sie seien "aus eigener Entscheidung" ferngeblieben. Diese Gefühle, so die Forscher, hätten die "gesundheitlichen Folgen der Kontaktbeschränkungen" verschärft.

Für die Psyche vieler Bewohner seien alltägliche, aber für ältere Menschen und deren Wohlbefinden immens wichtige "Kleinigkeiten" wie etwa das gewohnte Rätselheft oder die Lieblingsmarmelade teils einfach weggefallen, weil das Pflegepersonal die fehlenden Verwandten schon aus Zeitmangel nicht ersetzen konnte. In manchen Fällen sei nicht einmal die Zeit geblieben, "sterbende Bewohner zu begleiten", heißt es in dem Bericht. 

Arbeiterwohlfahrt: "Recht auf Selbstbestimmung"

Für mögliche zukünftige Situationen fordern die Studienautoren nun ein klares Schutzkonzept. Wichtig sei demnach, Angehörige mehr einzubeziehen anstatt sie auszugrenzen. Weiterhin sei eine sogenannte "Gruppenisolierung" eine Möglichkeit, damit die Menschen sich nicht zu einsam fühlen. 

Studien-Schirmherrin Dagmar Neukirch sagte MDR zufolge, dass man "den Umgang mit der Maske oder mit Schutzkleidung" üben müsse, damit "das keine Angst ausübt". Die Menschen sollten "wissen, dass dahinter ein achtsamer Gedanke steckt.“ Für die Arbeiterwohlfahrt und die Knappschaft gehören laut MDR "zur Vulnerabilität der Heimbewohner allerdings auch der Schutz vor Vereinsamung und das Recht auf Selbstbestimmung".