StartseitePolitikDeutsche Bevölkerung kaum vor Luftangriffen geschützt

Bunker-Bredouille

Deutsche Bevölkerung kaum vor Luftangriffen geschützt

Berlin / Lesedauer: 5 min

Das Szenario eines Angriffs auf die Bundesrepublik ist nicht mehr ganz so abstrakt wie zuvor. Doch vor allem um den Schutz vor Luftangriffen ist es schlecht bestellt.
Veröffentlicht:24.03.2022, 08:18

Artikel teilen:

Die russische Invasion in der Ukraine hat die Kriegssorgen auch in Deutschland neu entfacht – und die Bundesrepublik steht komplett blank da. „Öffentliche Schutzräume wie zum Beispiel Luftschutzbunker gibt es nicht mehr“, heißt es aus dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).

Mehr zum Thema: Russland setzt erneut Hyperschall-Rakete ein

Im Jahr 2007 haben Bund und Länder unter dem damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) beschlossen, Schutzräume für die Zivilbevölkerung nicht weiter zu erhalten. So konnten die jährlich rund zwei Millionen Euro Unterhaltskosten für die Bunker eingespart werden. Laut Jörg Diester vom bundesweit tätigen Verein „Bunker-Dokumentationsstätten“ habe es in Deutschland einst 2357 Bunker mit Platz für etwa 1,4 Millionen Bürger gegeben.

DDR-Bunker wurden nicht übernommen

Heute steht nicht ein einziger dieser Schutzräume mehr zur Verfügung. In Westdeutschland sind bislang 1400 Anlagen „rückabgewickelt“ worden, berichtet die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Und ostdeutsche Bunker wurden nach der Wiedervereinigung erst gar nicht in das bis dato gültige Verteidigungskonzept des Bundes aufgenommen. „Kein Schutzraum auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hat eine Zertifizierung als Schutzraum nach DIN erhalten“, teilte das brandenburgische Innenministerium in Potsdam dem Nordkurier mit.

Die DDR-Bunker hätten technisch modernisiert und aufgewertet werden müssen, diese Kosten konnten oder wollten nicht aufgebracht werden. Wie in Westdeutschland wurden viele Schutzanlagen deshalb an die Länder und Kommunen verkauft oder verschenkt, die sie entweder verkommen ließen oder bestenfalls als Museen oder Galerien nutzten.

Stasi-Bunker unter Lagerhalle versteckt

In Mecklenburg-Vorpommern gibt es noch heute zahlreiche Bunker aus Nazi- und DDR-Zeiten, wie die Schutzraumanlagen am Kap Arkona auf der Insel Rügen. Dieses aus zwei Bunkern bestehende Bauwerk wurde von der Gemeinde Putgarten erworben und sukzessive renoviert. Der kleinere Arkona-Bunker, der früher von der Wehrmacht genutzt wurde, beherbergt heute eine Kunstgalerie. Im größeren ehemaligen NVA-Bunker ist eine Ausstellung mit damaligen Bunkereinrichtungsgegenständen sowie eine Fotoserie über die Volksmarine zu sehen. Auch in Brandenburg wurden zahlreiche Schutzräume zu Museen umfunktioniert, wie die als Lagerhalle getarnte ehemalige „Ausweichführungsstelle“, die die Stasi 1984 am Rande der brandenburgischen Gemeinde Gosen-Neu Zittau für Spionagechef Markus Wolf errichten ließ.

Überall in der Republik werden Bunker als Galerien, Clubs oder Proberäume für Bands genutzt. Im ehemaligen Bunker in Stuttgart-Wangen, der einst 1000 Bürgern Schutz bot, wurden bis in die 2000er Jahre hinein Champignons angebaut. Heute ist der Stollen mit Wasser vollgelaufen – Abpumpversuche wurden abgebrochen, da befürchtet wurde, dass das Bauwerk in sich zusammenfällt.

600 Bunker könnten reaktiviert werden

Wie soll es nun mit dem Zivilschutz in Deutschland weitergehen? Vor dem Hintergrund des russischen Überfalls auf die Ukraine will die Bundesregierung ihre Fähigkeiten zum Bevölkerungsschutz nun wieder verstärken, sagte das Bundesinnenministerium dem Nordkurier. „In diesem Kontext wird auch das aktuelle Rückbaukonzept für Schutzräume geprüft“, so eine Sprecherin. Allerdings müssten Bund und Länder zunächst eine vollständige Bestandsaufnahme der vorhandenen Schutzräume vornehmen. Erste Schritte in diese Richtung seien bereits initiiert worden.

Die Frage ist nur: Ist eine Reaktivierung überhaupt möglich? Und wenn ja, in welchem Zeitraum? Bunker-Experte Jörg Diester schätzt, dass bundesweit nur noch rund 600 Bunkeranlagen reaktivierbar wären. Mit viel Geld und Zeit könnten so Schutzräume für rund 0,3 Prozent der Bevölkerung entstehen, also für rund 250.000 Bürger. Aber: „Wer über eine Reaktivierung spricht, sollte sich bitte erstmal anschauen, wie es dort aussieht“, so Diester.

Kein Bunkerschutz wegen neuer Militärtechnik?

Eine zweite Frage ist, ob Luftschutzbunker im Lichte moderner Militärtechnik überhaupt noch den erforderlichen Schutz für die Bevölkerung bieten. Russland will nach eigenen Angaben im Krieg in der Ukraine Hyperschallraketen eingesetzt haben, die mit konventionellen oder nuklearen Sprengköpfen ausgerüstet werden. Diese „Kinschals“ können laut eines Berichts der Münchner Sicherheitskonferenz aus dem Jahr 2019 „alle gegenwärtigen Raketenabwehrsysteme überwinden und verkürzen radikal die Reaktionszeit des angegriffenen Akteurs“. Ob bei einem Angriff mit Hyperschallraketen auf europäische Städte überhaupt noch genug Zeit für die Bevölkerung bleibt, sich in Schutzräume zu begeben, ist unklar.

Viele Experten fordern daher eine breiter angelegte Vorbereitung auf den Ernstfall, der auch die Abwehr von Gefahren einer hybriden Kriegsführung einschließt. Neben dem Aufbau von physischen Kapazitäten, zum Beispiel bei Sirenen, Notunterkünften, mobilen Sanitätseinrichtungen, Notstromversorgungen oder alternativen Kommunikationsanlagen, müsse die Bundesrepublik massiv in die Abwehr feindlicher Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur und in die nationalen Reserven, zum Beispiel bei Nahrung und Trinkwasser, investieren.

Bürger sollen sich selbst zu schützen

Denn im Ernstfall versagt Deutschland regelmäßig: Der letzte bundesweite Warntag im Jahr 2020 ist den meisten Deutschen nicht in Erinnerung – weil die Sirenen weitestgehend stumm blieben. Wegen des katastrophalen Verlaufs des Übungstages feuerte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sogar den damaligen BBK-Chef Christoph Unger. Auch in der Corona-Pandemie fehlte es über Monate an Masken und Schutzanzügen, die Flutwarnungen internationaler Meteorologen vor der Katastrophe im Ahrtal versickerten im Sommer 2021 im Dickicht der Behörden. Dieser Tage kam außerdem ans Licht: Laut Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung reichen die deutschen Nahrungs-Notreserven gerade einmal für wenige Tage.

„Wir haben im regulären Haushalt Mehrinvestitionen von rund 135 Millionen Euro beantragt“, sagt deshalb BBK-Präsident Armin Schuster. Der laufende Haushalt sieht lediglich eine Steigerung der Ausgaben für den Bevölkerungsschutz um zehn Millionen Euro vor. Einstweilen kann Schuster der Bevölkerung deshalb vor allem einen Rat geben: Man solle die Ratgeber-Angebote seiner Einrichtung nutzen und eigenständig Sicherheitsvorkehrungen treffen, so der BBK-Präsident.