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Altersarmut

Die Wut muss raus aus der Renten-Debatte!

Berlin / Lesedauer: 5 min

Altersarmut, Aktienrente oder Schuften bis 70? Die Debatte über die Rente wird hochemotional geführt. Eine neue Nordkurier-Serie geht faktenbasiert auf die Suche nach der Lösung.
Veröffentlicht:04.05.2023, 18:17

Von:
  • Carsten Korfmacher
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Die Bundesrepublik hat seit mehr als einem halben Jahrhundert ein Rentenproblem, das sich mit jedem Jahr weiter zuspitzt. Wenn ein Problem so lange besteht, entstehen gewisse Gewöhnungseffekte. Es wächst der Eindruck, dass es unglaublich schwierig wäre, das Problem zu lösen, schließlich lebt es schon so viele Jahre mit uns. Vielleicht ist es sogar naturgegeben, ein Phänomen unserer Zeit, dem wir als Gesellschaft schicksalhaft unterworfen sind?

Es fehlt der Mut gegen die Wut

All dies ist falsch. Die Lösung des Rentenproblems ist ganz einfach. Doch sie wird nicht umgesetzt, weil in der öffentlichen Diskussion um den richtigen Weg vor allem eines herrscht: eine unkontrollierbare Wut, sobald jene Vorschläge unterbreitet werden, die das Rentenproblem effektiv lösen würden. Und in der Politik fehlt seit Jahrzehnten der Mut, sich dieser Wut zu stellen.

Der Nordkurier unterzieht das Rentensystem einer detaillierten Analyse, um herauszufinden, wie sich das Problem lösen lässt. Beginnen müssen wir mit der Frage, warum es politisch überhaupt so schwierig ist, die Systemfehler zu beheben. Im Weg steht das Zusammenspiel zweier Faktoren.

Wut und Machtkalkül behindern die Lösung

Erstens ist die Debatte an sich hochemotional, weil sie die wirtschaftliche Lebensgrundlage der Menschen betrifft: Viele Senioren kommen mit ihrer Rente kaum über die Runden. Arbeitnehmern in der Blüte ihrer Schaffenskraft wird ständig das Gespenst der längeren Lebensarbeitszeit an die Wand gemalt. Und junge Menschen bewegt die Frage, ob für sie am Ende überhaupt noch etwas vom Kuchen übrig bleibt. Das hat zur Folge, dass die Debatte leicht einer Hyper–Emotionalisierung zum Opfer fällt, die eine vernünftige, nüchterne und lösungsorientierte gesellschaftliche Diskussion erschwert.

Zweitens haben liberale Demokratien gegenüber autoritär regierten Staaten zwar viele Vorteile, aber einen entscheidenden Nachteil: Es ist nahezu unmöglich, äußerst unpopuläre, aber notwendige Reformen anzugehen, deren Erfolge erst langfristig sichtbar werden. Entscheidungsträger, die unbeliebte Entscheidungen zur Debatte stellen, können sich fast sicher sein, dass sie das politische Ruder zukünftig nicht mehr in der Hand halten werden. Stoßen sie der größten und aktivsten homogenen Wählergruppe in der Bundesrepublik, nämlich Wählern über 60, vor den Kopf, beginnt mit der nächsten Wahl wohl ihr eigener politischer Ruhestand.

Politische oder gesellschaftliche Gegenspieler schlagen daraus Kapital: Sie mobilisieren die Emotionalität des Themas und stellen sich gegen die unpopuläre Maßnahme, unabhängig davon, ob sie sinnvoll ist oder nicht. Es entsteht eine fundamental unehrliche Debatte, in der es nicht um Wahrheit, sondern um politische Vorteile geht, und in der sich die Entscheidungsträger von einer fieberhaft erregten Masse aus Politikern, Interessensverbänden und Bürgern vor sich her treiben lassen.

Bei der Rente wird viel Augenwischerei betrieben

Das ist das Problem hinter dem Rentenproblem. Und es lässt sich nur lösen, wenn das wilde Renten–Gezanke der vergangenen Jahrzehnte aufhört und von einer nüchternen Problemanalyse gepaart mit einer rein lösungsorientierten Debatte abgelöst wird. Der Nordkurier will mit dieser Serie die Basis dafür liefern. Wir wollen wissen: Was ist eigentlich das Problem, was sind vernünftige Lösungen, welche Vorschläge zur Rettung des Rentensystems sind ideologie–getriebene Augenwischerei und wo werden zukünftig Kompromisse notwendig sein?


Diese Teile zur Renten-Serie erwarten Sie noch:

  • Der Text „So lässt sich das Rentenproblem lösen‟ betrachtet das umlagefinanzierte Rentensystem strukturell. Aus den Überlegungen folgt, dass es nur eine Lösung des Rentenproblems gibt, zu dieser aber verschiedene, und verschieden gute, Wege führen.
  • Der nächste Teil „Warum die Rente mit 70 sozial gerecht ist‟ beschäftigt sich mit einer möglichen Erhöhung des Renteneintrittsalters. Dies ist ein hochemotionales Thema und wird kaum sachlich diskutiert. Längeres Arbeiten wird oft als Rentenkürzung für zukünftige Generationen verstanden. Wenn das so ist, dann muss eine gleichbleibende Lebensarbeitszeit bei gleichzeitig steigender Lebenserwartung als Rentenkürzung für derzeitige Rentner verstanden werden. Das wirft große Fragen auf: Was ist sozial gerecht, nicht nur mit Blick auf zukünftige Rentner, sondern auch gegenüber der heutigen Rentnergeneration? Und wie ist es überhaupt möglich, hier einen gesellschaftlichen Kompromiss zu finden? Schließlich ist völlig klar, dass Pflegekräfte, Polizistinnen oder Dachdecker ihre Lebensarbeitszeit nicht beliebig verlängern können.
  • Teil 4 widerlegt ein politisch sehr beliebtes Argument und stellt fest: „Gute Arbeit kann die Rente nicht retten‟. Der Text sieht sich die Möglichkeit an, das Rentensystem über Arbeitsmarkt–Maßnahmen wie Lohnerhöhungen, flächendeckende Tarife oder eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu lenken. Er kommt zu dem Schluss, dass diese Möglichkeiten alleine das Rentenproblem nicht lösen können und deshalb nur flankierend wirksam sind.
  • Der letzte Teil dieser Serie stellt die Frage: „Wie wird das Rentensystem zusammenbrechen?‟ (7. Mai), wenn sich die Politik weiterhin weigert, eine ernsthafte Reform ins Auge zu fassen. In der Debatte wird häufig vom „Kollaps des Rentensystems‟ gesprochen. Dieser wird schlicht nicht eintreten, solange die Bundesrepublik nicht kurz vor der Staatspleite steht. Doch das ist nicht die eigentliche Gefahr, die von einem immer schwieriger zu finanzierenden Rentensystem ausgeht. Die Gefahr ist vielmehr, dass sich das Problem tief in den Staatshaushalt frisst und andere Bereiche infiziert. Als Folge fehlt Geld für überlebenswichtige Investitionen in die Zukunft des Landes.

Also: Die Wut muss raus aus der Renten–Debatte. Das ist der Anfang. Im nächsten Teil stellen wir uns die Frage, wie sich das Rentenproblem lösen lässt.