StartseitePolitikHitzige Debatte um grüne Pendler–Pläne

Mobilität

Hitzige Debatte um grüne Pendler–Pläne

Schwerin/Berlin / Lesedauer: 6 min

Die Grünen wollen die Pendlerpauschale auf Klimaschutz trimmen. Was genau sie damit meinen, weiß man nicht. Im Nordosten ist dennoch eine heiße Debatte entbrannt. Wie geht es mit der Pendlerpauschale nun weiter?
Veröffentlicht:14.03.2023, 17:04

Von:
  • Carsten Korfmacher
Artikel teilen:

Nach den verkehrpolitischen Reformvorschlägen aus der Bundestagsfraktion der Grünen hagelt es Kritik aus den Pendlerregionen des Nordostens. Grünen–Co–Fraktionschefin Katharina Dröge hatte am Montag gefordert, die Pendlerpauschale und das Dienstwagenprivileg zu reformieren, um die Klimaziele der Ampel zu erreichen und finanzielle Ressourcen freizusetzen. Damit solle der Haushaltsstreit in der Koalition entschärft werden. Vize–Fraktionsvorsitzende Julia Verlinden sagte: „Die unsoziale und klimafeindliche Subventionierung von überdimensionierten Dienstwagen sollte beendet und die Pendlerpauschale per Reform auf Klimaschutz getrimmt werden“.

In den dünn besiedelten Flächenländern Mecklenburg–Vorpommern und Brandenburg wurden diese eher vagen Andeutungen einer klimaspezifischen Ausdifferenzierung der Pendlerpauschale sogleich als Angriff auf den Verbrenner rezipiert. Stimmt das? Tatsächlich wissen die Grünen selbst noch nicht, was sie fordern. Aus Parteikreisen heißt es, dass interne Beschlüsse noch ausstünden. Die Ampel habe sich auf eine Reform der Pendlerpauschale verständigt, nun sei das FDP–geführte Bundesverkehrsministerium am Zug. Auf den derzeit noch ausstehenden Reformvorschlag wolle man dann reagieren. Die Aussagen der Fraktionsspitze seien lediglich als Hinweis im Haushaltsstreit in Richtung Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zu verstehen gewesen, dass es durchaus Einsparpotenziale gebe.

"Echtalternative Mobilitätsangebote in MV benötigt"

In den Pendlerregionen im Nordosten lösen derartige Vorschläge einer Regierungspartei aber erst einmal Panik aus. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass sich das Konzept der Grünen auf eine einfache Abschaffung der Pendlerpauschale oder eine Mehrbelastung für Pendler mit Verbrenner–Autos beschränken wird. „Wir benötigen in MV endlich echte alternative Mobilitätsangebote, die den Menschen mehr Wahlfreiheit geben“, sagte die verkehrspolitische Sprecherin der Grünen in MV, die Neubrandenburger Landtagsabgeordnete Jutta Wegner. Eine Reform der Pendlerpauschale müsse sowohl zu mehr Klimaschutz als auch zu mehr sozialer Gerechtigkeit führen. „Im Umkehrschluss brauchen die Menschen im ländlichen Raum, die für ihren Arbeitsweg aufgrund der bisherigen schlechten ÖPNV–Anbindung auf das Auto angewiesen sind, selbstverständlich auch weiterhin Entlastung.“

Lesen Sie hier: Breite Mehrheit in Landtag gegen LNG–Terminal vor Rügen

Die Idee hinter den grünen Reformvorschlägen scheint also nicht zu sein, Pendler mit Verbrennern steuerlich schlechter, sondern klimafreundlichere Alternativen besser zu stellen. Setzt man voraus, dass eine Ausweitung des ÖPNV auch in dünn besiedelten Flächenländern wie MV und Brandenburg gelänge, würde der Vorschlag jenem der Linken ähneln, die statt der Pendlerpauschale ein Mobilitätsgeld fordern. Dieses sollen „alle abhängig Beschäftigen als einen festen Betrag pro Entfernungskilometer erhalten“, sagte der Schweriner Landtagsabgeordnete der Linken, Henning Foerster. Der verkehrspolitische Sprecher der Brandenburger Linksfraktion, der Templiner Landtagsabgeordnete Andreas Büttner, erläutert: „Dieses Mobilitätsgeld sollte entweder als Steuerabzug gewertet werden oder bei den Personen, die aufgrund geringer Einkommen keine Steuern zahlen, sollte es direkt ausgezahlt werden“. Pendler sollen es unabhängig von der Wahl des Verkehrsmittels erhalten.

Die Pendlerpauschale ist zwar auch unabhängig von der Art des Beförderungsmittels. Doch das Mobilitätsgeld käme vor allem Geringverdienern zugute, die aufgrund ihrer geringeren Einkommenssteuerschuld von der Pendlerpauschale nur unwesentlich profitieren. Mit einem solchen Konzept könnte sich auch die SPD anfreunden: „Die Idee eines einkommensunabhängigen Mobilitätsgeldes ist überlegenswert“, sagte Marcel Falk, Sprechers für Verkehrspolitik in der Schweriner Landtagsfraktion. Es wäre eine sozial gerechte Lösung, da es insbesondere Haushalten mit kleineren Einkommen deutlich helfen würde. Ohne einen solchen Ersatz sei die Pendlerpauschale aber alternativlos. „Die Menschen fahren nicht aus Spaß und Bequemlichkeit mit dem Auto zur Arbeit, sondern weil sie es müssen. Wir brauchen hier bei uns im Land schlicht und ergreifend die Pendlerpauschale“, so Falk.

Auch AfD will Pendlerpauschale beibehalten

In der Opposition hingegen kommen die Reformideen generell nicht gut an. „Ich sehe keinerlei Notwendigkeit, an der Pendlerpauschale etwas zu ändern“, sagte der Verkehrsexperte der Schweriner CDU–Landtagsfraktion, Daniel Peters. Die Vermeidung von CO2 im Verkehrsbereich werde durch die Lenkungswirkung der CO2–Abgabe erreicht. „Einen zusätzlichen Kulturkampf gegen das Auto braucht kein Mensch“, so Peters. „Wenn der ÖPNV attraktiv ist, dann wird er auch genutzt. Menschen über die Pendlerpauschale dazu zwingen zu wollen, auf ein unattraktives Verkehrsmittel auszuweichen, ist politisch unverfroren.“

Auch die AfD will die Pendlerpauschale beibehalten: „Die staatliche Wegelagerei beginnt in der Zapfsäule“, sagte der wirtschaftspolitische Sprecher der Schweriner AfD–Landtagsfraktion, Martin Schmidt. „Durch die hohe Inflation müssen die Menschen jetzt entlastet und nicht noch stärker belastet werden.“ Wenn man etwas an der Pendlerpauschale ändern wolle, dann sei „eher eine Erhöhung auf 40 Cent ab dem ersten Kilometer angezeigt“.

Die FDP, die sich auf Bundesebene bei vielen Themen erbitterte Schlachten mit dem grünen Koalitionspartner liefert, hält eine Erhöhung der Pendlerpauschale ebenfalls für angemessen: Die Pauschale sollte „eher ausgeweitet werden, weil die Betriebskosten für nahezu jedes Beförderungsmittel deutlich gestiegen sind“, sagte René Domke, Landeschef der Liberalen in MV. Dabei sei es wichtig, „technologieoffen“ zu bleiben. Die Grünen sollten ihre „zwanghafte Alleinberechtigung der E–Mobilität aufgeben, denn diese hat nichts mit den tatsächlichen Verhältnissen in MV zu tun“.

Mehr lesen: Bundesverwaltungsgericht bestätigt Rosneft–Treuhandverwaltung

Eine Reform der Pendlerpauschale steht an, doch Einigung ist in weiter Ferne. Sicher ist nur, dass die Mobilitätsdebatte auch zukünftig die Gemüter erhitzen wird. Denn die Pauschale ist für Arbeitnehmer im ländlichen Raum ein wichtiger finanzieller Faktor. Bisher erkennt das Finanzamt für Fahrten zum Arbeitsplatz pro Arbeitstag für jeden Kilometer eine Entfernungspauschale von 30 Cent an. Ab dem 21. Kilometer gibt es 35 Cent. Bereits im Frühjahr 2022 hatte die Ampel–Koalition eine Erhöhung der Pauschale für Fernpendler auf 38 Cent beschlossen. Unterschiede zwischen verschiedenen Fahrzeug– oder Kraftstofftypen werden bislang nicht gemacht. Für die Pendlerpauschale spielt es also keine Rolle, ob ein Arbeitnehmer einen 30 Jahre alten Diesel oder ein neues Elektroauto fährt — oder mit dem ÖPNV zur Arbeit pendelt.

Bundesweit arbeiten laut dem Bonner Bundesinstitut für Bau–, Stadt– und Raumforschung rund 19,6 Millionen Menschen nicht an ihrem Wohnort. Das sind fast 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Durchschnittlich legen sie dabei 17 Kilometer zurück. Überproportional lange Arbeitswege haben Arbeitnehmer in dünn besiedelten Gebieten wie in Mecklenburg–Vorpommern oder Brandenburg. Mit 27,9 Kilometern pro Strecke pendeln Arbeitnehmer im Landkreis Ludwigslust–Parchim am längsten zur Arbeit.