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Klare Ansage an Wagenknecht — Dietmar Bartsch im Interview

Anklam / Lesedauer: 7 min

Der Linken–Chef im Bundestag stellt sich vor diejenigen, die Frieden mit Putin fordern. Er stellt aber auch klare Forderungen an alle, die deshalb auf die Straße gehen.
Veröffentlicht:08.03.2023, 17:06

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Die Affäre um Nord Stream 2 und die Klimastiftung lässt den Stuhl von Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) wackeln, und die Linkspartei zittert vor der möglichen Gründung einer neuen Partei durch Sahra Wagenknecht. Im Gespräch mit Nordkurier–Reporter Ralph Sommer spricht der Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, über Waffenlieferungen an die Ukraine, eine europäisch abgestimmte Friedensinitiative und die Stabilität der rot–roten Koalition in Schwerin.

Herr Bartsch, wie genervt sind Sie von Sahra Wagenknecht, die eine Neukandidatur für die Linke ausschließt?

Sahra Wagenknecht ist die bekannteste Politikerin der Linken. Ich habe mit ihr gemeinsam als Spitzenkandidat eine Bundestagswahl erfolgreich bestritten. Wir waren gemeinsam Fraktionsvorsitzende, und ich habe auch heute einen guten Draht zu ihr. Dass wir gelegentlich unterschiedlicher Meinung sind, ist bekannt und unbestritten. Das bespreche ich allerdings mit ihr im direkten Austausch, nicht über die Medien. Ich werbe dafür, dass man sie für den Erfolg der Linken nicht nur einbindet, sondern sie zu einem wichtigen Bezugspunkt macht und ihre Fähigkeiten nutzt.

Sie hat angedeutet, gegebenenfalls eine neue Partei zu gründen. Für wie gefährlich oder ungefährlich halten Sie das für die Linke?

Bartsch: Eine neue, womöglich linke Partei zu gründen, wäre zum Scheitern verurteilt. Aus meiner Sicht wäre das Sektierertum. Man kann in Italien sehen, was aus einer sehr erfolgreichen linken Partei geworden ist, der IKP, die bei Wahlen immerhin über 30 Prozent geholt hatte. Dort gibt es jetzt fünf linke Parteien, und alle sind bedeutungslos.

Das Spielen mit neuen Parteien halte ich für problematisch. Und ich weiß, wovon ich rede, denn ich selbst hatte mit vielen anderen versucht, im Westen mit der damaligen PDS eine neue Partei aufzubauen. Wir haben als Linke eine wichtige Aufgabe für die Menschen, auch als Bundestagsfraktion, und Sahra Wagenknecht ist Mitglied meiner Fraktion. Es gibt angesichts der Herausforderungen — schreiende soziale Ungerechtigkeit, Inflation, Energiepreise, Klimawandel — so viel zu tun. Wir sollten die politischen Konkurrenten in den Fokus nehmen und nicht die innerparteiliche Soße, zu der im Übrigen alles gesagt ist.

Nicht jeder der Verhandlungen mit Russland fordere, sei deshalb gleich ein "Putin-Versteher", so der Co-Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch.
Nicht jeder der Verhandlungen mit Russland fordere, sei deshalb gleich ein "Putin-Versteher", so der Co-Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch. (Foto: Ralph Sommer)

Man hört inzwischen von Parteiaustritten bei Ihnen. Sie selbst hatten gesagt, die Ukraine würde nicht ohne Waffenlieferungen existieren. Das sehen aber offenbar nicht alle so in Ihrer Partei. Registrieren Sie eine Austrittswelle?

Derzeit finden Austritte in besonderer Weise eine öffentliche Widerspiegelung. Ich bedaure jeden Austritt, ebenso wie zur Wendezeit, wo in manchem Monat Hunderttausende gegangen sind, weil das die Linke schwächt. Ich sehe aber auch, dass aktuell Menschen in die Linke eintreten. Davor habe ich höchste Achtung.

Ich bin selbst Ende 1990 bei der PDS Schatzmeister geworden, und da haben alle zu mir gesagt: `Bist du wahnsinnig, sich auf ein totes Pferd zu setzen?´ Und nach über 30 Jahren konstatiere ich, dass die Linke bei aller aktuellen Krise ein Erfolgsprojekt geworden ist. Damals hat das kein Mensch geglaubt. Heute stellen wir einen Ministerpräsidenten, sind drei Mal in Regierungsverantwortung, stellen Landräte und Oberbürgermeister, haben gerade erst mit Eva–Maria Kröger die Oberbürgermeisterwahl in Rostock gewonnen.

Blicken wir mal konkret auf die Situation in der Ukraine: Was halten Sie davon, dass Rheinmetall in der Ukraine ein Panzerwerk bauen will?

Gar nichts. Bei der Rüstungsindustrie klingeln im Krieg die Kassen. Wer glaubt, mit immer mehr Waffen eine Entscheidung auf dem Schlachtfeld herbeizuführen, liegt falsch. Diejenigen, die heute für einen Waffenstillstand sind und sich gegen die Lieferung immer mehr und immer schwererer Waffen aussprechen, sind keine Putin–Versteher oder Moskaus fünfte Kolonne. Nein, das sind Menschen, die sich ernsthaft Sorgen machen, eine Eskalation verhindern und dafür sorgen wollen, dass dieser Krieg möglichst schnell beendet wird. Rheinmetall hat dieses Interesse eher nicht. Je länger der Krieg geht, desto mehr klingelt bei denen die Kasse.

Die Frage ist aber doch, ob man mit diesem Putin überhaupt noch verhandeln kann?

Das Interessante ist doch, dass Verhandlungen Ergebnisse erzielt haben. Etwa beim Getreideabkommen oder beim Gefangenenaustausch. Diplomatie spielt für viele Bürger bei der Bundesregierung eine zu geringe Rolle, auch mir.

In der Debatte heißt es viel zu oft: `Dat bringt doch nichts!´ Aber wer weiß denn das? Warum gibt es denn Friedensinitiativen aus Brasilien, China oder Israel? Ich glaube, dass man alles tun muss, um diesen furchtbaren Krieg Putins schnellstmöglich zu beenden. Ich weiß nicht, ob das erfolgreich ist. Aber ich fordere die Bundesregierung auf, endlich eine europäisch abgestimmte Friedensinitiative vorzulegen. Und natürlich, um das klar festzuhalten, am Ende entscheidet darüber die Ukraine.

Am Montag haben in Mecklenburg–Vorpommern wieder 1.800 Menschen in 16 Städten gegen Waffenlieferungen protestiert und die deutsche Energie– und Flüchtlingspolitik kritisiert. Wie stehen Sie zu diesen Demonstrationen?

Erstens: Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, das zu achten ist. Zweitens werbe ich dafür, dass Bundes– wie Landespolitik die Sorgen der Menschen ernst nehmen und nicht aus Berlin wegwischen. Drittens: Deutschland ist ein Einwanderungsland. Ich bin froh, dass sich viele Kommunen auch in unserem Land mit großem Engagement und parteiübergreifend der Flüchtlingsprobleme stellen. Vor diesen Politikern vor Ort — von den Linken bis zur Union — ziehe ich meinen Hut.

Wir sollten darüber sprechen, wer eigentlich von den Krisen profitiert. Es gibt Profiteure.

Dietmar Bartsch, Linke

Man muss aber auch sagen, viele Kommunen sind am Limit und die Bundesregierung duckt sich weg. Wir haben viele Krisen, die Unsicherheit schaffen, die sich artikuliert. Alle Demonstranten müssen sich aber klar von Rassismus und Antisemitismus abgrenzen. Wir Politiker müssen die Sorgen und Nöte der Menschen ernst nehmen. Die Landesregierung macht da mit ihren bescheidenen Möglichkeiten eine ganze Menge. Ich sehe aktuell besonders die Bundespolitik gefordert.

Inwiefern?

Es hätte lange schon einen Flüchtlings–Gipfel mit den Kommunen geben müssen, um zu klären, wie denn die Unterstützung laufen kann. Da passiert viel zu wenig. Beim Sondervermögen von 100 Milliarden für die Bundeswehr ging es doch über Nacht.

Wunderbar, dass viele bereit sind, nicht nur ukrainische, sondern auch andere Flüchtlinge aufzunehmen, aber es müssen die mittelfristigen Voraussetzungen geschaffen werden. Es sollte nicht noch mehr Frust geschaffen werden — darin liegt ein großes Gefahrenpotenzial. Wir brauchen mehr Dialog und Fingerspitzengefühl. Und wir sollten darüber sprechen, wer eigentlich von den Krisen profitiert. Es gibt Profiteure. Wenn große Energiekonzerne 2022 ihre Gewinne so in die Höhe treiben, wenn Rheinmetall in den DAX aufsteigt, dann muss doch gehandelt werden.

Der Co-Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch (r.), stellte sich in Anklam den Fragen von Nordkurier-Reporter Ralph Sommer (l.). Die rot-rote Koalition bewertet der gebürtige Stralsunder trotz Klimastiftung-Affäre als stabil.
Der Co-Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch (r.), stellte sich in Anklam den Fragen von Nordkurier-Reporter Ralph Sommer (l.). Die rot-rote Koalition bewertet der gebürtige Stralsunder trotz Klimastiftung-Affäre als stabil. (Foto: Björn Ahlers)

In Mecklenburg–Vorpommern regiert die Linke mit der SPD, mit Frau Schwesig, deren Stuhl gerade wegen der Klimastiftung–Affäre und der Verbrennung von Steuerakten heftig wackelt. Wie lang hält die Koalition noch?

Wir fordern konsequente, zügige und vollständige Transparenz und Aufklärung, und zwar nicht scheibchenweise. Auch die Union, die mit Werner Kuhn den Stellvertreter in der Stiftung gestellt hat, sollte den Druck für deren Auflösung verstärken. Ich habe zur Kenntnis zu nehmen, dass die Ministerpräsidentin gesagt hat, dass sie mit den Details nicht befasst war.

Aber glauben tun Sie es nicht?

Das ist keine Glaubensfrage. Und hat im Übrigen auch nichts mit der Stabilität der Koalition in Schwerin zu tun. Die Koalition ist stabil, weil sie viel Vernünftiges angeschoben hat.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die Bemühungen der stellvertretenden Ministerpräsidentin Simone Oldenburg als Bildungsministerin. Da ist wirklich viel passiert. Es wird nicht mehr nur um neue Lehrer und Lehrerinnen geworben, sondern es gibt real neue Einstellungen. Und nicht zuletzt ist es auch dieser Landesregierung ist zu verdanken, dass der Frauentag hierzulande am gestrigen Tag erstmals als gesetzlicher Feiertag begangen werden konnte.