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Sanierungspflicht

Mieter werden die großen Verlierer der Energiewende

Berlin / Lesedauer: 7 min

Durch Sanierungspflichten wird Wohnen in den kommenden Jahren erheblich teurer. Dabei können schon heute viele Bürger die Kosten für Miete und Energie kaum stemmen.
Veröffentlicht:10.05.2023, 07:03

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Inflation, hohe Energiekosten und steigende Mietpreise vor allem im Nordosten: Die Lage für Mieter ist derzeit alles andere als rosig. Und am Horizont ziehen schon die nächsten dunklen Wolken auf: Denn der Gebäudesektor sorgt europaweit für rund 40 Prozent des Energieverbrauchs.

Um diesen Verbrauch zu senken und die Energiewende im Wohnbereich zu stemmen, setzen die Gesetzgeber auf europäischer und nationaler Ebene auf energetische Zwangssanierungen. Das EU–Parlament stimmte Mitte März für strengere Anforderungen an die Energieeffizienz von Gebäuden. Wohngebäude sollen bis 2030 mindestens die Energieeffizienzklasse E und bis 2033 die Energieeffizienzklasse D erreichen.

Auf Bundesebene soll ein schrittweises Verbot von Öl– und Gasheizungen das Ende des fossilen Heizens in Deutschland einläuten. Die Frage ist nur: Wer bezahlt das alles? Nach Einschätzung des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft (GdW) ist die Lage klar: Die EU–Sanierungspflicht gepaart mit den energetischen Vorgaben der Ampel–Regierung wird nicht nur Eigenheimbesitzer, Privatvermieter und Wohnungsunternehmen vor gewaltige Finanzierungsprobleme stellen — es wird in den kommenden Jahren auch zu massiven Mietpreiserhöhungen kommen.

Sanierungskosten können auf Mieter umgelegt werden

Von welchen Größenordnungen sprechen wir hier? Nach Berechnungen von Haus und Grund, dem Zentralverband der Privateigentümer in Deutschland, fallen je Sanierungsstand für ein Mehrfamilienhaus Vollkosten zwischen 357 und 750 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche an.

Für eine 80–Quadratmeter–Referenzwohnung liegen die Kosten somit zwischen 28.560 und 60.000 Euro. Wie diese Kosten auf Mieter umgelegt werden können, regelt die aktuell geltende Modernisierungsumlage, wie der Deutsche Mieterbund dem Nordkurier erläuterte: Vermieter könnten jährlich acht Prozent der Sanierungskosten auf die Miete aufschlagen, wobei die Miete innerhalb von sechs Jahren nicht um mehr als 3 Euro pro Quadratmeter angehoben werden kann. In Wohnungen mit einem Mietpreis von unter 7 Euro pro Quadratmeter liegt diese Obergrenze bei 2 Euro.

Für die 80–Quadratmeter–Beispielwohnung könnten somit jährlich Kosten von 2045 bis 4800 Euro auf die Mieter umgelegt werden, solange die Mieterhöhung die besagten Obergrenzen einhält. Im günstigsten Fall würde ein Mieter unter diesen Voraussetzungen mehr als 170 Euro mehr pro Monat zahlen müssen. „Und zwar zeitlich unbefristet auch über die Amortisation hinaus“, sagte Franz Michel, der beim Mieterbund den Bereich Wohnungs– und Mietenpolitik leitet.

Mit anderen Worten: Auch wenn die Sanierung nach einigen Jahren durch den Mieter vollständig abbezahlt ist, bleibt die Miete dauerhaft erhöht. Deshalb liege das Problem „nicht in den notwendigen Sanierungen, sondern im aktuellen Mietrecht mit der Modernisierungsumlage“, die einseitig die Mieter belaste, so Michel.

Regierung lässt Mieter „rücksichtslos ins Messer“ laufen

Auf der andere Seite stehen private Vermieter und oft sozial ausgerichtete Wohnungsunternehmen, die ihrerseits von den Zwangssanierungskosten überfordert wären, könnten sie nicht auf die Miete umgelegt werden. „Für die sozial orientierten Wohnungsunternehmen ist die Miete die einzige Einnahmequelle, aus der sie die enormen Kosten für die Energiewende begleichen können“, sagte GdW–Präsident Axel Gedaschko dem Nordkurier.

Daher sei es unbedingt erforderlich, schnell passende Förderprogramme aufzusetzen, ansonsten „steigen die Mietpreise unweigerlich. Denn andere Quellen zum Erfüllen der staatlich geforderten Investitionsleistungen gibt es nicht“.

Zwar habe die Bundesregierung ein Förderkonzept vorgelegt, dieses schließe aber ausschließlich selbstnutzende Eigentümer ein. „Im Mieterland Deutschland ist das ein absoluter Skandal." Gedaschko weiter: „Es ist mir unerklärlich, wie man sowohl Vermieter als auch Mieter — und damit einen Großteil der Wählerinnen und Wähler — bei der Bezahlbarkeit der Energiewende so rücksichtslos ins Messer laufen lässt“.

Der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft fordert deshalb, sowohl die nationalen als auch die europäischen Anforderungen zur Erfüllung der Klimaziele abzumildern, zeitlich zu strecken und mit umfangreichen Förderprogrammen zu flankieren. Die Bundesregierung müsse sich schleunigst klar werden, wie dies umzusetzen sei, „sonst wird es Deutschland insgesamt wirtschaftlich und sozial deutlich schlechter gehen und gesellschaftliche Spaltung die Folge sein“, so Verbandspräsident Axel Gedaschko abschließend.

Keine Mieterhöhung in wirtschaftlichen Härtefällen

Für die Mieter gleicht die Energiewende im Wohnbereich somit einem Glücksspiel: Wenn sie vor Jahren zufällig in ein Mietshaus gezogen sind, das heute nicht zwangssaniert werden muss, könnten sie von einer Mieterhöhung verschont bleiben. Ansonsten droht die finanzielle Überforderung, bei einem vielerorts massiv angespannten Wohnungsmarkt. Das Online–Netzwerk ImmocScout24 hat jüngst eine Umfrage unter privaten Vermietern in Deutschland durchgeführt. Das Ergebnis: 47 Prozent der 1204 Befragten denkt zumindest über eine energetische Sanierung nach.

Allerdings kommt eine Sanierung derzeit für 75 Prozent der privaten Vermieter nicht in Frage, weil die Kosten zu hoch sind oder sich der Aufwand finanziell nicht lohnt. Die Vermieter selbst gehen dabei von sehr hohen Kosten aus: 47 Prozent rechnen mit Investitionen zwischen 20.000 und 50.000 Euro, 30 Prozent befürchten sogar Kosten jenseits der 100.000 Euro.

Ein Trostpflaster gibt es zumindest für jene Mieter, die durch eine Mieterhöhung finanziell komplett überfordert wären: Denn „bei der Mieterhöhung ist grundsätzlich auch eine wirtschaftliche Härte für den Mieter zu berücksichtigen“, sagte Corinna Kodim, Energie–Expertin bei Haus und Grund, dem Nordkurier. Liege eine solche Härte vor, sei der Vermieter zwar zur Durchführung einer energetischen Maßnahme berechtigt, eine Mieterhöhung sei jedoch ausgeschlossen.

Der Mietmarkt verstopft, die Preise steigen

Die Lage für Mieter in Deutschland spitzt sich durch die Energiewende also weiter zu. Dabei gehörten Mieter auch in den krisenhaften Entwicklungen der vergangenen Jahre größtenteils zu den Verlierern. Rund 60 Prozent aller Haushalte in Deutschland sind Miethaushalte, die weitaus meisten mit einem niedrigen oder mittleren Einkommen.

Durch gestiegene Lebensmittelpreise und Energiekosten werden diese Haushalte ohnehin schon überproportional stark belastet, da sie im Schnitt einen größeren Anteil ihres verfügbaren Einkommens für die Lebenshaltung ausgeben als vermögendere Haushalte. Hinzu kommt, das nicht nur die Mietnebenkosten, sondern auch die Mieten selbst zuletzt stark angezogen haben.

Der Grund hierfür liegt ebenfalls in der Inflation: Vermieter wollen ihre gestiegenen Kosten auf ihre Mieter umlegen. Das gelingt aber nur, weil ein weitere Faktor ins Spiel kommt. In Deutschland findet nämlich eine kontinuierliche Rotation statt: Jedes Jahr kaufen rund 400.000 neue Haushalte Wohneigentum, das sie selbst nutzen wollen. Zwei Drittel davon haben zuvor zur Miete gewohnt. Jedes Jahr machen daher rund 250.000 Haushalte Häuser und vor allem Wohnungen frei, in die neue Mieter einziehen können, analysierte das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) kürzlich in einem Gutachten für die Deutsche Reihenhaus AG.

Mietpreise in MV und Brandenburg sind explodiert

Da der Immobilienmarkt derzeit aber aufgrund der massiv gestiegenen Bauzinsen stagniert, gerät diese Umzugskette ins Stocken und der Mietmarkt verstopft: Mietinteressenten rücken nach wie vor nach, doch es wird nicht mehr die benötigte Zahl an Mietobjekten frei.

Somit nimmt die Nachfrage relativ zum Angebot zu, was zu steigenden Mietpreisen führt. „Besonders stark stiegen die Mieten zuletzt in Mecklenburg–Vorpommern und in Brandenburg, also dort, wo die Mieten bisher noch günstig waren“, teilte der Informationsdienst des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IWD) jüngst mit.

Tatsächlich sind die Mietpreise nach jüngsten IW–Zahlen im dritten Quartal 2022 auf Jahressicht bundesweit im Schnitt um 5,8 Prozent gestiegen. In den drei Jahren zuvor lag der Zuwachs nur bei 4,5 Prozent. Im Nordosten explodierten die Mietpreise regelrecht: In MV stiegen sie um 10,3 Prozent, in Brandenburg um 9,1 Prozent.