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Seymour Hersh

Pulitzer-Preisträger sicher, dass USA Nord Stream sprengte

Washington / Lesedauer: 6 min

Ein bekannter US-Journalist will Belege dafür haben, dass der Geheimdienst CIA hinter der Attacke auf die Nord-Stream-Pipeline in der Ostsee steckt. Doch ist das seriös?
Veröffentlicht:08.02.2023, 18:11

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Die Geschichte ist schnell erzählt, auch wenn sie im englischen Original 5000 Wörter lang ist: Recherchen des US-Journalisten Seymour Hersh belegen angeblich, dass die USA für den Anschlag auf die Ostsee-Pipeline Nord Stream verantwortlich sind. Den Befehl zur Sprengung der Pipeline soll demnach US-Präsident Joe Biden persönlich gegeben haben – nach langem Zögern. 

Journalist gewann 1970 den Pulitzerpreis

Der Journalist ist nicht irgendwer: Der heute 85-Jährige gewann 1970 den Pulitzer-Preis, der als weltweit renommierteste Auszeichnungen für Journalisten gilt. Er zeichnete in den vergangenen Jahrzehnten für zahlreiche Enthüllungen in der US-Öffentlichkeit verantwortlich. Zuletzt hatte es aber auch Kritik an seiner Arbeitsweise und seinem freizügigen Rückgriff auf anonyme Quellen gegeben.

Hersh veröffentlichte seine Recherchen, an denen er angeblich drei Monate lang gearbeitet hat, nicht in einem Medium, sondern auf seiner eigenen Internetseite, die er erst kurz zuvor eröffnet hatte. Manche Beobachter spekulierten daher, Hersh habe schlicht kein Medium gefunden, das seine Recherche habe veröffentlichen wollen. Für Hersh wäre das allerdings nicht das erste Mal: Auch die Geschichte, für die er 1970 den Pulitzer-Preis gewann - eine spektakuläre Enthüllung über von der US-Armee verantwortete Gräuel in Vietnam - hatte zunächst keine US-Zeitung veröffentlichen wollen. Erst als Hersh zu einer List griff und mehreren Redaktionen wahrheitswidrig erzählte, andere Zeitungen würden die Recherche veröffentlichen, erschien sein Artikel letztlich zeitgleich in mehreren Zeitungen.

Hersh gilt als "Reporterlegende"

Der durch die Veröffentlichung ausgelöste Skandal gilt als mitverantwortlich dafür, dass die Stimmung in den USA zum Vietnamkrieg von mehrheitlicher Befürwortung in mehrheitliche Ablehnung umschlug. Eine ähnliche Rolle spielte Hersh Jahrzehnte später im Zusammenhang mit dem Skandal um das CIA-Foltergefängnis "Abu Grahib" im Irak. Auch in deutschen Medien wurde Hersh vielfach als "Reporterlegende" bezeichnet.

Dennoch: Hershs neue Recherche über die mutmaßlichen Drahtzieher der Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines scheint letztlich nicht ganz so sicher zu sein wie der Text behauptet. Aus der Veröffentlichung gehen keine zwingenden Beweise für die darin aufgestellten Behauptungen hervor – die Leser müssen letztlich selbst entscheiden, ob sie ihm glauben oder nicht.

Zündung mithilfe eines norwegischen Flugzeugs ausgelöst

Glaubt man Hersh, nutzten die USA gemeinsam mit Norwegen ein NATO-Manöver, um unbemerkt die Sprengsätze an der Pipeline anzubringen und diese später ferngesteuert zur Explosion zu bringen. Das entscheidende Signal zur Zündung sei von einer Sonarboje ausgegangen, die wiederum von einem norwegischen Überwachungsflugzeug im Rahmen eines vermeintlichen Routineflugs ausgesetzt worden sei – und zwar am 26. September 2022.

Den Flug hat es tatsächlich gegeben, doch ob von dort tatsächlich eine Sonarboje ausgesetzt wurde, wird sich wahrscheinlich nie zweifelsfrei beweisen lassen. Die übrigen Informationen aus Hershs Artikel gehen angeblich auf eine anonyme Quelle aus dem US-Machtapparat zurück. Auch dabei wird sich die Authentizität der Quelle schwerlich überprüfen lassen. Hersh schildert in dem Bericht ausführlich, wie die US-Geheimdienste mit großem Aufwand einen Weg gefunden hätten, den Anschlag so durchzuführen, dass der US-Kongress nicht mit einbezogen werden musste – normalerweise wäre das bei solchen Operationen Pflicht, schreibt Hersh.

Deutsche Ermittler haben keine Beweise für russische Täterschaft

Offiziell ist weiterhin unklar, wer die Pipeline sabotiert hat. In der westlichen Öffentlichkeit war hier – vor allem seitens der Regierungen – immer wieder Russland in den Fokus geraten. Zuletzt hatte aber etwa der deutsche Generalbundesanwalt, der in dem Fall ermittelt, mitgeteilt, dass zumindest ihm bislang keine Beweise für eine Täterschaft Russlands vorliegen. Demgegenüber hatte der deutsche Sicherheitspolitiker Roderich Kiesewetter (CDU) kürzlich im Gespräch mit dem Nordkurier gesagt, er sehe sehr wohl Anhaltspunkte für eine Täterschaft Russlands.

Hersh weist in seinem Artikel auch darauf hin, dass Joe Biden Anfang 2022 bei einer Pressekonferenz mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) tatsächlich geäußert hatte, die USA werde eine Inbetriebnahme von Nord Stream 2 verhindern, wenn Russland in die Ukraine einmarschierte. Biden hatte auf einer Pressekonferenz wörtlich gesagt: „If Russia invades (...) there will no longer be a Nord Stream 2. We will bring an end to it.” Ins Deutsche übersetzt heißt das ungefähr: „Wenn Russland einmarschiert (…), wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben. Wir werden dem ein Ende bereiten.”

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Die Äußerungen Bidens machten nach den Anschlägen im Herbst 2022 die Runde im Internet - Autoren diverser Medien, etwa NZZ und Spiegel Online, stellten sich allerdings auf den Standpunkt, dass man aus den Aussagen Bidens nicht ableiten könne, dass die USA vorhätten, die Pipeline zu zerstören. 

USA haben Täterschaft als „absurd” bestritten

Auch die USA selbst hatten stets zurückgewiesen, hinter den Anschlägen auf die Pipeline zu stecken. „Die Vorstellung, dass die Vereinigten Staaten in irgendeiner Weise an der offensichtlichen Sabotage dieser Pipelines beteiligt waren, ist absurd“, hatte es etwa aus dem US-Außenministerium geheißen: „Es ist nichts weiter als eine Funktion russischer Desinformation und sollte als solche behandelt werden.“

Auch den Bericht Hershs wies das Weiße Haus postwendend als unwahr zurück. Die Veröffentlichung sei „absolut falsch und eine vollstänige Fiktion” („utterly false and complete fiction”) hieß es von dort am Mittwoch. Auch das norwegische Außenministerium dementierte den Bericht scharf. Zuvor hatte das russische Außenministerium in Moskau auf Hershs Veröffentlichung reagiert und gesagt, die USA müssten nun „Fragen beantworten”. Russland behauptet schon länger, die USA steckten hinter dem Anschlag.

Nicht die einzige Spekulation über westliche Täter

Der deutsche Nordstream-Manager Matthias Warnig wiederum, der als zentrale Figur der russischen Wirtschaftsinteresssen in Deutschland gilt, hatte vor Kurzem in einem Gespräch mit der ZEIT spekuliert, dass Großbritannien hinter dem Anschlag stecke.

Über die Veröffentlichung Hershs berichten derzeit zahlreiche englischsprachige Medien, darunter die britische Times. Das Blatt hatte vorige Woche bereits berichtet, dass mehrere westliche Geheimdienste und Ermittlungsbehörden – darunter auch deutsche – es für möglich hielten, dass westliche Kräfte hinter den Anschlägen steckten. Auch die Washington Post, eine der wichtigsten Zeitungen der USA, hatte bereits im Dezember in diese Richtung berichtet.