Rentner auf dem Land leiden am meisten unter der Inflation
Berlin / Lesedauer: 5 min

Carsten Korfmacher
Derzeit erlebt die Bundesrepublik eine der einschneidendsten Streikphasen in ihrer jüngeren Geschichte. Seit Wochen legen Angestellte im Öffentlichen Dienst immer wieder ihre Arbeit nieder, gestern stand aufgrund eines Mega–Streiks praktisch der gesamte öffentliche Verkehr in Deutschland still. Die Gewerkschaften fordern für die 2,5 Millionen Beschäftigten der Kommunen und des Bundes eine Lohnsteigerung um 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro pro Monat.
Der Grund: Die Inflation raubt vielen Menschen ihre Existenzgrundlage, vor allem Haushalte mit niedrigen Einkommen leiden unter den massiv gestiegenen Preisen für Energie, Verkehr, Lebensmittel und Dienstleistungen. Die Arbeitgeber bieten 5 Prozent ohne Untergrenze — zu wenig, sagen die Gewerkschaften.
Für die Millionen Rentner im Land stellt sich die Sachlage anders dar. Die Erhöhung ihrer Bezüge wird von der Bundesregierung per Verordnung festgelegt, nämlich auf Basis vergangener Lohnerhöhungen und anderer Faktoren. In der vergangenen Woche wurden die Sätze für die Rentenanpassung ab dem 1. Juli dieses Jahres bekannt: Die Rente steigt demnach um 5,86 Prozent in Ostdeutschland und um 4,39 Prozent in den alten Bundesländern. Dem gegenüber steht eine Inflationsrate von 8,7 Prozent, die im Februar 2023 auf Jahressicht gemessen wurde.
Auch wenn die Rentenanpassung die Inflation in diesem Jahr nicht ausgleichen kann: Durch die Dynamisierung der Rentenerhöhungen auf Basis der allgemeinen Lohnentwicklung profitieren Ruheständler mit einer gewissen Zeitverzögerung immer auch von Lohnerhöhungen. Zudem gibt es in Wirtschaftskrisen wie zuletzt im Coronajahr 2020 bei sinkenden Löhnen aber trotzdem keine Rentenkürzungen, sondern höchstens Nullrunden. Auf den ersten Blick scheinen Rentner deswegen grundsätzlich nicht deutlich schlechter gestellt als Arbeitnehmer.
Rentner geben mehr für Strom und Heizen aus
Und doch gibt es in der derzeitigen Krise einen entscheidenden Unterschied: Arbeitnehmer und Rentner sind im Durchschnitt nämlich sehr unterschiedlich von Inflation und Energiepreisexplosion betroffen — insbesondere dann, wenn sie im ländlichen Raum leben oder verhältnismäßig niedrige Renten beziehen.
Zu diesem Schluss kam jüngst eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln (IW). Demnach leiden Rentner deutlich stärker unter der Inflation als große Teile der arbeitenden Bevölkerung. Der Grund dafür ist, dass der Ausgabenanteil für Energie in durchschnittlichen Rentnerhaushalten deutlich höher liegt. Somit fallen die Ausgaben für Strom und Heizung besonders stark ins Gewicht.
Wie fallen diese Unterschiede im Detail aus? Um das herauszufinden, hat das IW die Preisindizes des Statistischen Bundesamtes und Daten über das Konsumverhalten von Haushalten untersucht. Zunächst haben die Experten den der Inflationsrate zugrunde liegenden Warenkorb nach sozioökonomischen Merkmalen wie dem Alter und der Einkommensart segmentiert. Diese neuen Warenkörbe wurden dann mit den monatlichen Preisdaten des Statistischen Bundesamts insbesondere für das Jahr 2022 verknüpft, sodass für einzelne Gruppen spezifische Inflationsraten ermittelt werden konnten.
Besonders stark fiel die Teuerung bekanntlich bei Energie, Lebensmitteln und Mobilität aus. Wie schnitten Rentner hier ab? Die Energiekosten fielen bei durchschnittlichen Rentnerhaushalten mit 6,8 Prozent der Gesamtkonsumausgaben 1,7 Prozentpunkte höher aus als in Nicht–Rentnerhaushalten. Damit gaben Rentner ein Drittel mehr für Energie aus als Nicht–Rentner, insbesondere die Kosten für Strom und Heizöl waren für sie höher.
Bei Nahrungsmitteln, die 14,0 Prozent der Konsumausgaben ausmachten, lag die Differenz bei plus 0,6 Prozentpunkten. Auch in den anderen Kategorien gaben gesetzlich Rentenversicherte mehr aus als Nicht–Rentner, mit einer Ausnahme: Auf den Verkehr fielen nur 10,0 Prozent ihrer Ausgaben, während Nicht–Rentnerhaushalte 15,6 Prozent aufwenden mussten. So konnten Rentner rund ein Drittel dieser Ausgaben einsparen.
Ärmere Rentner leiden finanziell ganz besonders
Doch nicht alle Rentnerhaushalte verhalten sich bei ihren Konsumausgaben gleich. Die IW–Studie zeigte auch, dass ältere Bürger mit geringeren Renten verhältnismäßig viel für Nahrungsmittel und Energie ausgeben. Mit steigenden Rentenbezügen nimmt dieser Faktor immer weiter ab.
Das Fünftel der Haushalte mit den geringsten Renten gab 18,7 Prozent ihrer Konsumausgaben für Nahrungsmittel und 8,9 Prozent für Energie aus. Beim Fünftel der höchsten Renten sanken diese Zahlen auf 13,3 Prozent für Lebensmittel und 5,4 Prozent für Energie.
Hinzu kommt, dass bei Beziehern kleiner Renten ein Großteil ihrer Ausgaben auf die ebenfalls stark gestiegenen Mieten fällt: 30,6 Prozent beim Fünftel mit den niedrigsten Renten und 18,7 Prozent beim nächsten Fünftel. Die älteren Bürger mit den höchsten Renten wendeten lediglich 5,9 und 10,6 Prozent ihrer Gesamtausgaben für die Miete auf.
Großstädter haben eine geringere Inflationsrate
Was bedeuten all diese Zahlen nun in der Zusammenfassung? Sie bedeuten, dass insbesondere Rentner im Nordosten unter der hohen Inflation leiden. Denn Rentner in Mecklenburg–Vorpommern und Brandenburg erhalten nicht nur überdurchschnittlich häufig geringe Renten.
In Mecklenburg–Vorpommern liegt nach jüngsten Zahlen aus dem Jahr 2021 fast genau die Hälfte aller Renten unter 1251 Euro, der offiziellen Schwelle für Armutsgefährdung. In Brandenburg sind es 46,1 Prozent aller Renten. Einberechnet wurden hier nur Rentenbezieher mit mindestens 45 Versicherungsjahren. Aufgrund der Umbrüche der Nachwendezeit und der hohen Arbeitslosigkeit in den frühen 2000er Jahren dürfte die Zahl der Rentner, die keine 45 Versicherungsjahre vorweisen können und somit wahrscheinlich eine geringere Rente haben, im Nordosten noch deutlich höher ausfallen.
Zudem profitieren Rentner im Nordosten auch nicht von den für ältere Haushalte typischen Einsparungen bei Verkehr und Mobilität. Denn im dünn besiedelten ländlichen Raum ist für viele Rentner auch im hohen Alter das Auto unverzichtbar, um die Strecke zum Arzt oder dem nächsten Supermarkt zurückzulegen.
Tatsächlich kommt das IW zu dem Schluss, dass die persönliche Inflationsrate aller Haushalte für das Jahr 2022 bei 8,3 Prozent lag. Rentnerhaushalte, die mit Öl heizen, hatten jedoch eine Inflationsrate von 9,2 Prozent, bei Rentnerhaushalten mit Gasheizungen waren es 8,4 Prozent. Sieht man sich nur den Unterschied zwischen Stadt und Land an, fielen die Unterschiede noch dramatischer aus: Rentner in Städten mit mindestens 100 000 Einwohnern hatten eine persönliche Inflationsrate von 7,5 Prozent, während die Teuerung für Rentner in Regionen mit weniger als 20 000 Einwohnern mit 8,9 Prozent außergewöhnlich hoch ausfiel.