Interview

Schwesig — Die Ampel verprellt die Menschen beim Klimaschutz

Schwerin / Lesedauer: 12 min

Lob für den Kanzler, aber Kritik an der Regierung. Ministerpräsidentin Manuela Schwesig müht sich um den Spagat zwischen Loyalität zur Partei und zu den Bürgern in MV.
Veröffentlicht:08.04.2023, 19:00

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Nachdem in den vergangenen Wochen wenig zu vernehmen war, hat die Landesregierung zuletzt eine Reihe von Themen gesetzt: Mehr Geld für Bildung und die Feuerwehren, Ausbaupläne für den ÖPNV und vieles weitere. Ist das jetzt der Versuch, die öffentliche Aufmerksamkeit vom Thema Klimastiftung wegzulenken?

Nein. Wir als Landesregierung kümmern uns kontinuierlich um die Themen des Landes. Das sind die wirtschaftliche Entwicklung, der soziale Zusammenhalt und auch der Klima– und Umweltschutz. In den letzten Monaten stand das Thema Energie im Mittelpunkt. Wir haben uns erfolgreich für die Gas– und die Strompreisbremse eingesetzt. Und jetzt nutzen wir das Haushaltsplus des Jahres 2022, um mehr Geld in die Schulen und die Feuerwehren unseres Landes zu investieren.

Vorige Woche wurde bekannt, dass die Landesregierung sich für einen fünfstelligen Betrag im Jahr von einer Kommunikationsagentur beraten lässt. War ein Ratschlag, mit anderen Themen in die Offensive zu gehen?

Nein. Der wäre auch nicht nötig, denn die Landesregierung kümmert sich die ganze Zeit um Themen wie Wirtschaft, Arbeit, Energie, Familien und Bildung. Bei dem Auftrag, den Sie meinen, geht es ausschließlich um das Thema Klimastiftung. Uns war bei diesem Thema immer Transparenz wichtig, deshalb haben wir uns für einen externen Blick entschieden.  

Die Menschen bewegt nach wie vor das Thema Energiepreise. Wer mit Heizöl oder Flüssiggas heizt, wartet bis heute auf Unterstützung.

Ich kann die kritischen Fragen der Bürgerinnen und Bürger gut verstehen. Auch wir in der Landesregierung sind unzufrieden, dass es so lange gedauert hat, bis der Bund die Hilfen freigegeben hat. Wir haben uns schon vor Monaten dafür eingesetzt, dass es neben der Gaspreisbremse auch für diejenigen eine Hilfe gibt, die mit Öl, Pellets, Flüssiggas oder Briketts heizen. Zum Glück ist inzwischen klar, dass es in den nächsten Wochen für diejenigen eine Unterstützung geben wird, die besonders stark von Preissteigerungen betroffen sind.  

Wie kompliziert wird es jetzt für die betroffenen Bürger, an die Hilfen zu kommen?

Im Mai soll das Antragsverfahren losgehen. Alle Informationen zu dem Thema werden auf unserem Energieportal im Internet eingestellt. Dort gibt auch Informationen zu allen anderen Hilfen. 

Betroffen sind viele ältere Menschen, die sich mit dem Internet manchmal schwer tun. Wie werden die eingebunden?

Unser Landwirtschaftsminister Till Backhaus arbeitet an einer Lösung, das Bürgerinnen und Bürger, die kein Internet haben, ihren Antrag auch auf dem Briefweg stellen können.  

Es war eben schon zu merken, dass Sie in Sachen Energiepolitik nicht zufrieden mit der Bundesregierung sind. Zuletzt haben Sie auch die Pläne zur Heizungsumrüstung kritisiert, bei denen sich die Ampel–Koalition ja inzwischen auf ein Verfahren geeinigt hat. Ist Ihre Kritik damit ausgeräumt?

Nein. Ich sehe das geplante Gesetz weiterhin kritisch und auch der jüngste Kompromiss überzeugt mich nicht. Wir müssen mehr für den Klimaschutz tun, das ist richtig. Aber das darf nicht mit der Brechstange passieren. Es darf nicht gegen die Bürger gehen, sondern wir müssen Ihnen Anreize und Programme anbieten.  

Sind Verbote in dieser Hinsicht der richtige Weg?

Es ist der falsche Ansatz. Wieso kümmern wir uns nicht zunächst primär darum, im städtischen Kontext Fernwärmenetze auszubauen und bestehende auf erneuerbare Energien umzurüsten? Wir zeigen ja beispielsweise in Greifswald, wo kürzlich eine Solarthermieanlage für die Fernwärme in Betrieb gegangen ist, wie das gehen kann.  

Und der dörfliche Raum ist davon ausgenommen?

Auch im dörflichen Raum muss energetisch saniert werden. Die meisten Hausbesitzer haben ja selber ein Interesse daran, Energie und damit Kosten zu sparen. Aber viele, die ein Haus haben oder sich ein Haus kaufen, haben einfach nicht die Mittel, ihre Heizung umzurüsten. Und auch nicht jedes Haus kann baulich so einfach umgerüstet werden. Ich habe Herrn Habeck vorgeschlagen, gemeinsam mit der Wirtschaft ein Bundesprogramm zu machen. Es muss klar gesagt werden: Welche Umrüstungsmöglichkeiten haben die Bürgerinnen und Bürger? Wie viel kann das Handwerk pro Jahr einbauen? Und wie unterstützen wir die Bürgerinnen und Bürger? Deswegen halte ich nichts von einem Gesetz, das flächendeckend Verbote erteilt. Damit verprellt man die Menschen, auch viele, die ihren Teil zum Klimaschutz leisten wollen.  

Wenn man anerkennt, dass es Häuser gibt, die man nicht energetisch sanieren kann: Muss man sich dann nicht auch vom Ziel verabschieden, im Gebäudesektor in den nächsten Jahrzehnten CO2–neutral zu werden?

Nein, dieses Ziel bleibt richtig. Aber es muss von der Bundesregierung ein realistischer Plan vorgelegt werden, der machbar und gerecht ist.  

Sie reden jetzt auffallend kritisch über die Bundesregierung. Wie ist denn ihr Verhältnis zu Olaf Scholz? Erwarten sie sich da mehr vom SPD–Kanzler?

Ich habe ein sehr gutes Arbeitsverhältnis zum Kanzler. Das heißt aber nicht, dass man immer einer Meinung sein muss. Und ich sage auch ganz deutlich: Nicht alle Themen können immer bei Olaf Scholz abgeladen werden. Dafür gibt es die Minister. Es war Olaf Scholz, der jetzt dafür gesorgt hat, dass der Gesetzentwurf nachgebessert worden ist. Ich sehe meine Aufgabe darin, die Interessen der Bürgerinnen und Bürger auf Bundesebene einzubringen.  

Angesichts all dessen: Wie froh sind Sie, in MV nicht mit den Grünen zu regieren?

Ich bin sehr zufrieden über unsere Koalition mit den Linken. Wir arbeiten vertrauensvoll. Ich habe eine solche konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit in einer Koalition noch nie erlebt. Und ich kann nur denjenigen, die sagen, sie würden sich für Klimaschutz einsetzen, nur raten, dass wir dabei die Bürgerinnen und Bürger nicht verprellen dürfen. Sonst kommt nämlich am Ende gar nichts raus.  

Wegen der Heizungspläne ist zuletzt kaum noch über die Kindergrundsicherung gesprochen worden…

 Wir müssen sicherstellen, dass Familien mit kleinen Einkommen mehr Unterstützung erhalten und dass Eltern, die arbeiten gehen, erleben, wie sie am Ende des Monats mehr auf dem Konto haben als Eltern, die nicht arbeiten. Die Idee der Kindergrundsicherung ist ja, Kindergeld und Kinderzuschlag zusammenzulegen: 250€ Kindergeld plus 250€ Kinderzuschlag — das wären sofort 500€ für alle Familien, in denen Eltern arbeiten und aufgrund der kleinen Löhne kaum über dem Niveau des Bürgergelds liegen.  

Wie viele Familien betrifft das in Mecklenburg–Vorpommern?

Gerade in einem Land wie Mecklenburg–Vorpommern würden viele Familien davon profitieren. Untersuchungen des Bundes zeigen, dass nur ein Drittel der Kinder, bei denen ein Anspruch auf den Zuschlag besteht, diesen auch tatsächlich erhalten. Das muss einfacher werden. Insgesamt ist die Kinderarmut in Mecklenburg–Vorpommern zuletzt erfreulicherweise geringer geworden. Das zeigt ja, dass man mit wirtschaftlicher Entwicklung, mit Arbeitsplätzen, aber auch mit der kostenfreien Kita einiges bewegen kann. Aber das reicht noch nicht. Die Bundesregierung muss die Kindergrundsicherung jetzt endlich auf den Weg bringen.  

Auf den Weg gebracht ist ja das 49–Euro–Ticket. Zahlt da nun die Landbevölkerung den Großstädtern indirekt ihr verbilligtes Ticket?

Es gibt auch bei uns Menschen, die mit dem ÖPNV zur Arbeit pendeln und von dem Ticket profitieren werden. Aber es wäre in der Tat ungerecht, wenn es jetzt keine Pläne gäbe, auch den öffentlichen Nahverkehr im ländlichen Raum auszubauen. Unsere Landesregierung arbeitet an der landesweiten Einführung eines Rufbus–Systems. Und in Vorpommern haben wir jetzt zwei große Projekte: die Darßbahn und die Karniner Brücke.  

Aber ist nicht gerade die Karniner Brücke, die den Süden Usedoms per Bahn mit dem Festland verbinden würde, eher ein Projekt, das vor allem Touristen zugutekommt?

Nein, es entlastet den Verkehr auf Usedom und das hilft dann auch allen. Es sind ja auch gerade die Bürger auf Usedom, die dieses Projekt vorantreiben.  

Seit Jahren sind im Sommer die Züge von Berlin nach MV so überfüllt, dass mitunter Fahrgäste am Bahnhof zurückbleiben — und in der Schweriner Landesregierung interessiert es niemanden. Wird das auch in diesem Sommer wieder so sein?

Es gibt kein Desinteresse der Landesregierung. Im Gegenteil: Das sind wir dran. Aber die Kapazitäten bei der Bestellung zusätzlicher Züge sind begrenzt, weil die Anbieter nicht genug Zugmaterial haben. Das wird sich leider nur mittel– und langfristig lösen lassen.  

Mecklenburg–Vorpommern hat die Regionalisierungsmittel jahrelang nicht in voller Höhe ausgegeben. Es gibt da sogar Rücklagen.

Die Rücklagen sind wichtig, damit wir auch in Zukunft noch Züge bestellen können. Unser Verkehrsminister Reinhard Meyer hat aber angekündigt, einen Teil der Rücklagen jetzt zu nutzen, um das ÖPNV–Angebot im Land zu verbessern. Diese Woche hat die Landesregierung bekanntgegeben, einen Teil des Haushaltsüberschusses für neue Projekte auszugeben — etwa für mehr Geld für Bildung und die Feuerwehren.

Hätte man das Geld nicht lieber zur Tilgung der beträchtlichen Schulden des Landes ausgegeben?

Zunächst einmal: Das Land hat einen Plan zur Schuldentilgung in dieser Wahlperiode. Und den halten wir auch ein. Jetzt ist es wichtig, Geld in Energiehilfen für die Bürgerinnen und Bürger, gute Schulen und die Feuerwehren zu investieren. Wir haben mit einem ersten 50–Millionen–Paket viele moderne Fahrzeuge für die Feuerwehren im Land beschafft. Das Programm war ein großer Erfolg. Aber viele Gerätehäuser sind in desolatem Zustand, es fehlt am nötigsten. Deshalb gibt es jetzt ein zweites 50 Millionen–Programm für moderne Feuerwehrhäuser. 

Jeder weiß, wie hoch die Baupreise sind. 50 Millionen Euro werden nicht für viele neue Gerätehäuser reichen.

Wir müssen aber mal anfangen. Der Landesfeuerwehrverband hat ein neuen Gebäudetyp, vorgestellt der immer wieder gebaut werden kann. Das würde die Kosten senken.  

Lassen Sie uns zum Schluss noch einmal über die Klimastiftung reden, die mit russischen Millionen vom Land gegründet wurde und den Bau von NordStream2 sicherstellen sollte. Könnten Sie nicht zumindest einräumen, dass bei der Aufarbeitung einiges schiefgelaufen ist?

Zu diesem Thema sind ja viele Behauptungen, Unterstellungen bis hin zu Verschwörungstheorien im Raum. Ich sage sehr klar: Da ist nichts dran. Wir haben als Landesregierung im Interesse des Landes gehandelt. Das erläutere ich in Reden im Landtag. Ich gebe Interviews. Wir beantworten Fragen. Die Stiftung ist 2021 ganz transparent im Landtag vorgestellt und ohne Gegenstimme beschlossen worden. Wenn die CDU jetzt so tut, als ob sie nicht dabei war und davon nichts wusste, obwohl sie im Landtag zugestimmt hat und die zuständige Justizministerin gestellt hat, den Europaminister, den Wirtschaftsminister, ist das wenig glaubwürdig.  

Die Frage zielte ja mehr auf die Aufarbeitung seit dem Krieg in der Ukraine und dem damit verbundenen Aus für NordStream2...

Richtig ist: Wir haben den Bau der Ostseepipeline immer unterstützt, weil es uns um preiswerte Energieversorgung für die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft ging. Das wollten mehrere Bundesregierungen und davon hat ganz Deutschland profitiert. Jetzt mit dem Finger auf MV zu zeigen, das ist nicht in Ordnung. Es ist aber auch klar, dass mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die Pipeline nicht mehr genutzt werden kann. Die Stiftung haben wir damals eingerichtet, um einerseits die Unternehmen, die an NordStream2 arbeiten, vor amerikanischen Sanktionen zu schützen, aber auf der anderen Seite eben auch, um zusätzliches Geld für Klimaschutz zu haben. Auch beim Bau von Nord Stream 1 sind zwei Stiftungen entstanden. Die arbeiten übrigens bis heute in enger Zusammenarbeit mit dem Umweltverbänden und dem Geld von Nord Stream. 

Aber es gab ja im vergangenen Jahr schon so ein paar Merkwürdigkeiten: Einen Stiftungsvorsitzenden, der erst nicht zurücktreten wollte, dann doch und jetzt wieder nicht. Oder die Affäre um die verbrannte Steuererklärung.

Dass eine Finanzbeamtin die Steuererklärung verbrannt hat, ist ein schwerer Fehler gewesen. Den hat sie eingeräumt. Das ist aufgearbeitet worden. Sogar die Staatsanwaltschaft hat ermittelt und festgestellt, dass auf die Frau keinerlei Einfluss ausgeübt worden ist. Es ist absurd, den Eindruck zu erwecken, als ob der Finanzminister oder die Ministerpräsidentin damit etwas zu tun hätten. Es zeigt, dass es gar nicht um Fakten geht, sondern dass man die Dinge einfach falsch darstellt.  

Ist es nicht ein bisschen wohlfeil, die Konstruktion dieser Stiftung jetzt auf den Landtag zu schieben? Die Vorschläge dazu kamen aus der Landesregierung. Sie stellen es jetzt so dar, als hätten Sie nichts damit zu tun.

Das habe ich nicht gesagt, das ist ein schönes Beispiel, dass Dinge unterstellt werden, die ich überhaupt nicht gesagt habe. Ich stehe zu der Entscheidung. Der Vorschlag kam aus der Landesregierung. Aber Voraussetzung für die Gründung war die Zustimmung des Landtags. Und jeder im Landtag wusste, worum es bei der Stiftungsgründung ging. Der Antrag mit der Beschlussvorlage war gerade einmal fünf Seiten lang. Man kann von jedem Abgeordneten erwarten, dass er sich das durchgelesen hat und es stand genau darin, was wir vorhaben. Da ist nichts verschleiert worden.  

Wie passt der Wunsch von Transparenz damit zusammen, dass ja im vergangenen Jahr die Herausgabe bestimmter Dokumente erst eingeklagt werden musste?

Wir haben eine Vielzahl von Presse–Anfragen beantwortet. Wir haben die Unterlagen dem Landtag gegeben. Wir müssen aber auch aufpassen, dass wir auch rechtliche Vorgaben einhalten.  

Das Landgericht Schwerin hat dem Stiftungsvorsitzenden, Herrn Sellering, sogar mit Ordnungshaft gedroht, wenn er Dokumente nicht herausgibt...

Die Stiftung ist eigenständig. Das Land hat die Stiftung um Transparenz gebeten.   

Sollte Erwin Sellering als Chef der Stiftung zurücktreten?

Der Vorstand hat selbst vorgeschlagen, dass er nach der Abwicklung des Geschäftsbetriebs und der Vorlage von Testaten unabhängiger Wirtschaftsprüfer zurücktritt. Das haben wir in einer gemeinsamen Erklärung mit dem Vorstand im Mai letzten Jahres vereinbart.