Kommentar
SPD-Chef Klingbeil zückt das Kriegsbeil – muss das sein?
Berlin / Lesedauer: 5 min

Lutz Reuter
Sie ist der aktuelle Höhepunkt in der Umkehr deutscher Sicherheitspolitik: Die Rede von SPD-Chef Lars Klingbeil bei der Veranstaltung „Zeitenwende“ der Friedrich-Ebert-Stiftung schlägt dank der darin ausgesprochenen Forderungen nach größerer militärischer Stärke der Bundesrepublik aktuell hohe Wellen.
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Aussagen wie „Deutschland muss den Anspruch einer Führungsmacht haben“ müssen einen ohnehin schaudern lassen. Aber auch der Satz „Friedenspolitik bedeutet für mich, auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen“ hat es in sich. Klingbeil rechtfertigt seine Behauptung mit der komplizierter gewordenen Weltordnung und geht davon aus, dass diese Entwicklung auch noch weitergehen wird.
Klingbeils Rede reiht sich ein in eine Kette von Handlungen und Verlautbarungen seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, die oft als Zäsur – mitunter sogar als Tabubruch – in der deutschen Politik bezeichnet werden: Die Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Scholz, das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr, deutsche Offensivwaffen-Lieferungen für den Einsatz gegen Russland - alles auch nach dem ausdrücklichen Willen der mitregierenden selbsterklärten „Friedenspartei“ Bündnis 90 / Die Grünen - sind die wohl prominentesten Beispiele dafür.
SPD-Bundesvorsitzender Lars Klingbeil bei der Friedrich-Ebert-Stifung (Youtube-Video):
Obendrein muss sich Olaf Scholz vom anderen Regierungspartner FDP sowie aus der Bundestags-Opposition immer wieder herbe Kritik dafür anhören, nicht schnell genug oder zu wenige Waffen nach Kiew zu schicken, wie zuletzt etwa von CDU-Chef Friedrich Merz.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten für ein Kriegsende
Bis vor wenigen Monaten galten all diese Entwicklungen über Jahrzehnte hinweg als undenkbar und bieten Anlass zur Verunsicherung. Denn Klingbeils Kriegsbeil-Sicht auf ein kompliziertes Weltgeschehen, das künftig eine militärische Führungsmacht Deutschlands erfordert, steht im Widerspruch zu zwei simplen Fakten.
So führen mehr Waffen in aller Regel nicht zu mehr Frieden beziehungsweise zur Beendigung eines Kriegs. Die totale Vernichtung von Hiroshima und Nagasaki durch amerikanische Atombomben und die darauf folgende Kapitulation Japans können als Gegenbeispiel dafür betrachtet werden. Ein grausames kriegsverbrecherisches Gegenbeispiel, das für eine weltweite, bis heute andauernde Furcht vor der Vernichtung der gesamten Menschheit durch den Einsatz nuklearer Waffen gesorgt hat. Waffen führen also in der Regel nicht zu weniger Krieg, sondern zu mehr Leid.
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Dem schließt sich eine weitere, sehr einfache Erkenntnis an: Ein Krieg kann nur auf zwei Wegen beendet werden: Durch den Sieg einer der beteiligten Konfliktparteien oder durch diplomatische Verhandlungen. Doch Letzteres scheint derzeit diesseits und jenseits der Front in der Ukraine niemand ernsthaft zu wollen.
Ukraines Präsident Wolodymyr Selensky hatte zwar gleich in den ersten Wochen des Kriegs die Bereitschaft zu Verhandlungen über den künftigen militärischen Status der Ukraine signalisiert, nachdem Kremlchef Putin wiederholt – wie bereits vor dem Überfall auf die Ukraine – den Abzug westlicher Waffen an der Grenze zu Russland gefordert hatte.
Verhandlungen darüber könnten einzig und allein die USA als mit Abstand stärkste Militärmacht der Welt ermöglichen. Doch aus dem Weißen Haus wurde bislang nichts bekanntgegeben, das erkennen lässt, die sicherheitspolitischen Bedenken Russlands würden in irgendeiner Weise eine Rolle spielen.
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Im Gegenteil hatte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin im Anschluss an das erste Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe Ende April auf dem Stützpunkt der US-Luftwaffe Ramstein erklärt, ein Ziel der USA mit Blick auf die Ukraine sei, dass Russland aus dem Krieg geschwächt hervorgehen müsse. Die Ankündigung weiterer Waffenlieferungen aus vielen Nato-Mitgliedstaaten inklusive aus Deutschland folgten umgehend.
Man kann nachvollziehen, wieso vor allem die USA zu dieser strategischen Festlegung kommen. Sie ist für das Land auf der anderen Seite der Weltkugel allerdings deutlich weniger riskant als für die europäischen Länder, die sich global betrachtet allesamt in der näheren Umgebung der Schlachtfelder befinden. Die USA mögen riskieren können, dass die europäischen Länder in die militärische Auseinandersetzung verwickelt werden. Einzig: In Europa kann das eigentlich niemand ernsthaft wollen.
Man hätte sich deshalb gewünscht, dass Lars Klingbeil auch das in seiner Rede formuliert hätte: Dass nämlich alle Europäer gemeinsam daran arbeiten müssen, die brutale Gewalt zu beenden - und nicht, sie so lange fortzuführen, bis westlich der Front noch mehr Waffen zur Verfügung stehen. Natürlich lässt sich dann besser verhandeln, doch das damit einhergehende Risiko einer weiteren Entgrenzung dieses entsetzlichen Krieges scheint dafür viel zu real.
Klingbeil selbst hat in seiner Rede offen zugegeben, dass niemand abschätzen kann, welche Folgen Russlands Krieg in der Ukraine und die damit einhergehenden Waffenlieferungen aus dem Westen für das künftige internationale Zusammenleben haben: „Wir haben jetzt einige Jahre der Unklarheit und der Unsicherheit vor uns, was die künftige Weltordnung anbelangt“, so der Sozialdemokrat in seiner Rede.
Dass Klingbeil sich gleichzeitig sicher ist, dass Deutschland in diesem Zusammenhang eine militärische Führungsmacht werden und deshalb massiv aufrüsten muss, wirkt deshalb einigermaßen befremdlich. Und deshalb darf man es wahlweise ideenlos oder rückgratlos finden, dass Klingbeil sich so freimütig von der einstigen, auf Dialog und Verständigung ausgerichteten Russland-Politik seiner Partei verabschiedet. Man darf außerdem ein mulmiges Gefühl dabei haben, dass ein 1978 geborener Westdeutscher, der in seinem bewussten Leben bislang nur Frieden und unbestrittene globale US-Hegemonie erlebt hat, dermaßen leichtfertig mit kriegerischer Rhetorik operiert.
Es ist deshalb gut, dass es auch innerhalb der Sozialdemokratie Widerstände gegen Klingbeils Wortwahl gibt. Und es wäre wünschenswert, wenn Klingbeil sich mit möglichst vielen Parteifreunden – am besten vor allem mit den älteren, die noch vom Krieg erzählen können – darüber unterhält, ob man nicht trotz des unbestrittenen und von Russland ausgehenden Grauens in der Ukraine mehr auf Diplomatie setzen sollte. Und weniger auf Waffen.
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