Lesbarkeit leidet
Sprachexperte hält Gendern für schädlich
Mannheim / Lesedauer: 5 min

- Robin Halle
Wortschöpfungen wie „Kunden*innen“, „Preistragende“ oder „tote Radfahrende“ gehören inzwischen zum deutschen Sprachgebrauch, weil immer öfter gegendert wird ‐ auch im Fernsehen, an Schulen und Hochschulen.
Dr. Josef Lange, der Vorsitzende des Rats für deutsche Rechtschreibung, beobachtet diese Entwicklung mit großer Sorge. Er spricht im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“ sogar von einem Alarmsignal bei den schulischen Leistungen von Grundschülern.
Herr Lange, was halten Sie davon, dass in den Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gegendert wird?
Aus meiner Sicht gehen die Redaktionen der öffentlich-rechtlichen Sender über ihren Auftrag hinaus, zur Gemeinschaft in der Gesellschaft beizutragen. So steht es fast wörtlich im Medienstaatsvertrag.
Die Verwendung von Sonderzeichen im Wortinneren, das berühmte Asterisk-Sternchen, der Doppelpunkt, Unterstrich oder Mittelstrich sollen deutlich machen, dass mit einem Wort Menschen jeglichen Geschlechts gemeint sind.
Das ist eine moralische, metasprachliche Aufladung der Begrifflichkeiten. Das Gendern führt dazu, dass die Lesbarkeit, Vorlesbarkeit und Verständlichkeit der Texte leidet. Teils auch die Logik.
Können Sie Beispiele nennen?
Beim Gendern werden Partizipkonstruktionen genutzt. Man spricht beispielsweise nicht von Teilnehmerinnen und Teilnehmern, sondern von Teilnehmenden. Kürzlich las ich auf der Website des Norddeutschen Rundfunks eine Meldung über eine Demonstration, die es im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen im Nahen Osten gab.
Sinngemäß stand dort: Die Demonstration fand am Wochenende statt und jetzt ermittle die Polizei bei rund 300 Teilnehmenden. Das ist von der Logik schlicht Unsinn.
Die Menschen nehmen nicht mehr teil. Die Demonstration ist vorbei. Wenn man es gendergerecht korrekt schreiben will, müsste es heißen: der „Teilgenommenhabende“. Bei solchen Wörtern habe ich meine Schwierigkeiten.
Das ist so ähnlich wie die „toten Radfahrenden“. Man vermeidet beim Gendern die Worte Radfahrerinnen und Radfahrer. Wenn die aber tot sind, fahren sie nicht mit dem Fahrrad. Wenn es um die Verständlichkeit des Gehörten geht, sollte man sich auch Schreibweisen in Stellenausschreibungen ansehen.
Beispielsweise bei der Suche nach Fachleuten auf dem Bau. Es wurde ein „Bauoberinspektoranwärter*in“ gesucht. Wollte man in der Logik der gegenderten Sprache konsequent sein, müsste es heißen „Bauoberinspektor*inanwärter-*in“. So spricht kein Mensch. Das versteht auch niemand. Das gehört in die Kategorie Inkonsequenz beim Gendern.
Hat das Gendern auch Auswirkungen auf die Rechtschreibfähigkeiten von Schülerinnen und Schülern?
Ja. Wenn man die Ergebnisse der Lese- und Rechtschreibfertigkeiten deutscher Schülerinnen und Schüler im internationalen Vergleich betrachtet, stellt man fest: Mit der Gestaltung der Schriftsprache tut man den Schülerinnen und Schülern keinen Gefallen.
Es ist ein Alarmsignal, wenn in manchen Ländern der Bundesrepublik Deutschland mehr als 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler in der vierten Klasse die Mindestanforderung nicht erreichen. Also die Bewertung schriftlicher Arbeiten mit der Note „ausreichend“.
Das kann man nicht allein auf die Rechtschreibung schieben. Das hat auch soziale Hintergründe. Aber man kann die Sprache nicht aus der Schule heraus in der Rechtschreibung so kompliziert machen, dass es noch schwieriger wird, sie zu lernen.
Ich darf daran erinnern, dass die Reform der Rechtschreibung in den Jahren 1996 und 2006 ausdrücklich mit dem Anspruch angetreten ist, die Rechtschreibung zu vereinfachen und die Erlernbarkeit zu erleichtern. Auch deshalb lehnt die deutliche Mehrheit der Gesellschaft das Gendern ab. Das zeigen Umfragen in verschiedenen Medien.
In einer Verlautbarung der niedersächsischen Kultusbürokratie heißt es: „Aufgrund mehrfacher Anfragen möchten wir klarstellen, dass gegenderte Texte (z. B. Schüler:innen) in den unterschiedlichsten Schreibweisen zwar nicht dudenkonform sind, in Abiturprüfungen jedoch nicht als Fehler gewertet werden.“ Wie bewerten Sie den Vorgang?
Mir bereitet die Entwicklung große Sorge. Es gilt in allen Ländern das amtliche Regelwerk für die Rechtschreibung. Was in Niedersachsen passiert, ist ein klares Abweichen von der Rechtschreibung.
Die niedersächsische Kultusministerin hat auch gesagt, sie würde es begrüßen, wenn Lehrerinnen und Lehrer noch viel stärker gendern würden. Sowohl im Schreiben als im Sprechen. Gleichzeitig zu erklären, man bleibe bei der amtlichen Rechtschreibung, passt nicht zusammen.
Es trägt nicht zur Glaubwürdigkeit von Politik bei. Die Hochschulen haben die gesetzliche Aufgabe, Lehrerinnen und Lehrer auszubilden, die Schülerinnen und Schülern ausschließlich die verbindliche deutsche Rechtschreibung beibringen sollen.
Haben Sie Verständnis für Frauen, die sagen, dass ihnen die deutsche Sprache grundsätzlich zu maskulin sei?
Es gibt den Vorbehalt, dass mit dem generischen Maskulinum nur männliche Rollenvorbilder vermittelt werden. Wenn ich die Realität anschaue, wird beispielsweise mit der Bezeichnung „Lehrer“ mitnichten ein Maskulinum vermittelt.
Die Mehrheit der Lehrkräfte ist seit Jahrzehnten weiblich. Es ist trotzdem sinnvoll, Lehrerinnen und Lehrer zu sagen. Oder Ärztinnen und Ärzte. So viel Zeit sollte jeder haben. Aber „Ärzt*Innen“ zu sagen, bei denen die Ärzte nicht vorkommen, macht keinen Sinn. Ich möchte noch ein Argument nennen.
Bitte.
Wir führen, wie ich finde, eine zunehmend deutsche, provinzielle Diskussion. Die Übersetzbarkeit in andere Sprachen ist nicht gegeben. Wenn Sie „Richter:Innen“ in Übersetzungsprogramme eingeben, kommen Wörter heraus, die nichts mit Richterinnen und Richtern zu tun haben. Aber wir tun so, als wäre Deutschland der Nabel der Welt.
Reden wir noch über die Zunahme von Anglizismen in der deutschen Sprache. Warum sagen immer mehr Menschen „Meeting“ statt „Besprechung“ oder „Call“ statt „Anruf“?
Das hängt mit der Internationalisierung und der Digitalisierung zusammen. Es werden Begrifflichkeiten eingedeutscht. Da kommen Dinge heraus, die rechtschreibkompliziert sind. Das Wort „getimed“ beispielsweise.
Jeder sollte wissen, dass „timing“ mit „g“ am Ende geschrieben wird. Trotzdem findet man häufig das Wort „timet“ im Zusammenhang mit „getimed“. Das irritiert mich wahnsinnig, weil ich mit dem Begriff nichts anfangen kann. Ich begrüße es grundsätzlich, Worte so zu übernehmen, wie sie in der Ausgangssprache gebraucht werden.
„Cappuccino“ wird mit“ci“ geschrieben, wie es die Italiener machen. Bei „Spaghetti“ hat sich herausgestellt, dass die Eindeutschung ohne „h“ nicht funktioniert. Es wird mit „h“ geschrieben. Also wurde diese Variante im neuen Wörterverzeichnis gestrichen.