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Gaza-Krieg

Steigt die Inflation in Deutschland bald wieder an?

Berlin / Lesedauer: 7 min

Zuletzt ist die Inflationsrate in Deutschland merklich abgekühlt. Die große Frage ist: Setzt sich dieser Trend fort? 
Veröffentlicht:08.11.2023, 18:00

Von:
  • Carsten Korfmacher
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Inflation ist ein gefährliches Phänomen. Anders als eine Deflation, die durch wirtschaftspolitische Stimuli und Zinssenkungen wirksam bekämpft werden kann, kann eine einmal in Fahrt gekommene Inflation geldpolitisch nur schwer kontrolliert werden.

Der Eiertanz der Notenbanken

Die Notenbanken sind in hochinflationären Phasen zu einem Eiertanz verurteilt: Sie müssen die Wirtschaft durch Zinserhöhungen abkühlen, gleichzeitig aber dafür sorgen, dass nicht zu viele Unternehmen insolvent und Arbeitsplätze verloren gehen. Ansonsten bröckelt die politische Stabilität, weil es vielen Menschen im Land wirtschaftlich schlechter geht.

Deswegen wurden die jüngsten Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat durchaus mit Freude aufgenommen: Im Oktober sank die Inflationsrate im Euroraum auf Jahressicht auf 2,9 Prozent, nach 4,3 Prozent im Vormonat. Das ist die niedrigste Inflationsrate seit Juli 2021. Nach vorläufigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeichnet sich in Deutschland ein ähnlicher Trend ab: Hierzulande lag die Inflationsrate im Oktober bei 3,8 Prozent, dem niedrigsten Stand seit August 2021. Europaweit macht vor allem Hoffnung, dass die Energiepreise um 11,1 Prozent sanken und auch die Kerninflation, bei der die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel herausgerechnet werden, von 4,5 auf 4,2 Prozent zurückging.

Allerdings ist zweifelhaft, dass damit das Schlimmste bereits überstanden ist. Denn die allgemeinen Begleitumstände insbesondere in Deutschland sprechen eher für ein anhaltend inflationäres Umfeld: Erstens führt der demografische Wandel dazu, dass das Angebot an Arbeitskräften sinkt. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit für Lohnsteigerungen, die in Form von steigenden Preisen für Produkte und Dienstleistungen an die Endverbraucher weitergegeben werden. Auch eine zunehmende Deglobalisierung sorgt für höhere Preise. Zum anderen wirken auch politische Entscheidungen, insbesondere im Energiesektor, stark inflationär, da Unternehmen die gestiegenen Kosten sowohl für Energie als auch für die politisch verordnete Dekarbonisierung der Wirtschaft an die Bürger weitergeben werden.

In den 1970ern verfünffachte sich der Ölpreis

Hinzu kommt ein statistisches Muster. Inflationsraten verlaufen nämlich oft in Wellenform: Nach einem initialen Anstieg folgt eine Abkühlung, gefolgt von einem weiteren Anstieg, der sogar über das erste Hoch hinausgehen kann. Ein Beispiel ist die Entwicklung der Inflationsrate in Deutschland zwischen den späten 1960er und den frühen 1980er Jahren. Zunächst stieg die Inflationsrate nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes von 1,8 Prozent (1969) auf 7,1 Prozent (1973). In den Jahren danach kühlte die Inflation kontinuierlich ab, bis sie 1978 die Marke von 2,7 Prozent erreichte. Anschließend nahm sie aber wieder Fahrt auf, bis sie 1981 bei 6,3 Prozent ein zweites Hoch erreichte. In den USA verlief die Kurve noch extremer. Nach einem ersten Hoch bei 11,05 Prozent im Jahr 1974 sank die Inflationsrate auf unter 6 Prozent, stieg anschließend aber wieder an und erreichte 1980 bei 13,55 Prozent ein neues Hoch. Die Inflationsrate in den USA war generell höher, weil sich das Land durch den Vietnam-Krieg stark verschuldete und der damalige US-Präsident Richard Nixon im Jahr 1971 die Goldbindung des US-Dollars aufhob.

Die Entwicklung der Inflation in Deutschland (Foto: NK-Grafik)

Ähnlich wie damals liegt auch heute die wohl größte Gefahr für die Geldentwertung in geopolitischen Krisen, wie führende Wirtschaftsforscher dem Nordkurier sagten. In den 1970ern war der treibende Faktor für die hohen Inflationsraten der explodierende Erdölpreis, der in zwei Ölkrisen in den Jahren 1973 und 1979 gipfelte. Ausgelöst wurden diese Preisschocks durch anhaltende Konflikte im Nahen Osten, in die auch arabische Ölförderstaaten involviert waren. Timo Wollmershäuser, Leiter der Abteilung Konjunkturforschung am Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung, sieht deshalb in einer möglichen Eskalation des derzeitigen Nahostkonflikts ein erhebliches Risiko für die globale Konjunktur. Er verweist dabei auf die Erfahrung mit dem Jom-Kippur-Krieg im Jahr 1973, als Ägypten und Syrien, unterstützt von weiteren arabischen Staaten, Israel angriffen. Damals verhängten die arabischen Ölförderstaaten ein Ölembargo. „In der Folge verfünffachte sich der durchschnittliche Erdölpreis binnen weniger Monate von 2,70 US-Dollar auf 13 US-Dollar, was in den damaligen Industrieländern schwere Rezessionen und kräftige Inflationsanstiege auslöste“, sagte Wollmershäuser dem Nordkurier.

Auch heute besteht diese Gefahr. Der Mittlere Osten decke insgesamt etwa 30 Prozent des globalen Ölangebots ab, Saudi-Arabien etwa 12 Prozent, der Iran gut 4 Prozent. „Würde dort die Produktion signifikant zurückgefahren, könnte der Erdölpreise deutlich stärker steigen als bisher“, sagte Wollmershäuser. „In der Folge würden die Energiekosten und Inflationsraten in den entwickelten Volkswirtschaften wieder steigen und die Konjunktur würde über einen Kaufkraftentzug und steigende Zinsen belastet werden.“

Die Straße von Hormus ist eine Schwachstelle

Doch nicht nur ein Produktionsrückgang von Öl im Mittleren Osten wäre problematisch. Der Iran könnte als Reaktion auf die Kämpfe zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen die Straße von Hormus blockieren. Die Straße von Hormus ist eine an der schmalsten Stelle nur knapp 50 Kilometer breite Meerenge, die den Persischen Golf mit dem Arabischen Meer und schließlich dem Indischen Ozean verbindet. Von seiner Hafenstadt Bandar Abbas aus könnte der Iran diese Passage sperren. Da rund ein Fünftel des weltweit verfügbaren Öls durch die Straße von Hormus transportiert wird, würde dies zu einer Verknappung des Ölangebots auf dem Weltmarkt führen. In dem Fall stiege der Ölpreis massiv an, was zu einem weiteren globalen Inflationsschub führen würde. „Dieses Risiko wird an den Märkten aber offenbar als eher gering eingeschätzt, da der Großteil des Golföls nach Asien, insbesondere China geht“, sagte Jürgen Matthes, Experte für Außenwirtschaft am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, dem Nordkurier. Aber: „Sollte es hier wider Erwarten zu Sperrungen kommen, gäbe es ein echtes globales Versorgungsproblem.“

Vor der iranischen Hafenstadt Bandar Abbas entwickelt sich die Straße von Hormus zu einer nur 50 Kilometer breiten Meerenge. (Foto: Carsten Korfmacher)

Derzeit ist ungewiss, wie wahrscheinlich eine Ausweitung des Nahostkonflikts tatsächlich ist. Die anhaltend scharfen Worte aus dem Iran und die Angriffe auf Israel durch iran-nahe Milizen wie der Hisbollah aus dem Südlibanon oder den Huthi-Rebellen aus dem Jemen deuten auf eine Verschärfung des Konflikts hin. Zudem hat es in Syrien und Irak mehrere Dutzend Angriffe auf US-amerikanische Militäreinrichtungen gegeben. Militärexperten führen dies ebenfalls auf in der Region operierende proiranische Milizen zurück. Gleichzeitig scheint der Iran aber nicht an einem Flächenbrand und einer direkten Kriegsbeteiligung interessiert zu sein, da dies ein erhebliches Risiko für den Machterhalt der Mullahs darstellen würde. Die innenpolitische Lage in der Islamischen Republik ist aufgrund einer schweren Wirtschaftskrise und wachsender Unzufriedenheit mit dem Regime seit Jahren angespannt. „Entscheidend ist, wie sich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar positionieren“, sagte Guido Baldi, Konjunktur-Experte am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), dem Nordkurier. „Bislang interpretiere ich die Äußerungen aus diesen Ländern so, dass die Machthaber dort nicht an einem Flächenbrand interessiert sind. Dies dürfte die Entwicklung der Ölpreise dämpfen.“

Die Hafenstadt Bandar Abbas ist für den Iran strategisch wichtig: Von hier aus kann die Straße von Hormus, durch die ein Fünftel des globalen Öls transportiert wird, blockiert werden. (Foto: Carsten Korfmacher)

Verbraucher in Deutschland werden in den kommenden Monaten also weiterhin mit einem Auge auf die Preisschilder im Supermarkt und mit dem anderen auf die geopolitische Lage blicken. Gegenüber den 1970ern ist die Bundesrepublik zumindest in einer Hinsicht im Vorteil: Die Bedeutung von Energie und insbesondere von Rohöl für die Wirtschaftsleistung hat in den vergangenen 50 Jahren stark abgenommen. „So werden beispielsweise in Deutschland heute nur noch 0,2 Barrel Rohöl je 1000 Euro realem Bruttoinlandsprodukt verbraucht, im Jahr 1975 waren es noch fünfmal so viel“, sagte Ifo-Experte Wollmershäuser. Entsprechend hätte „ein und derselbe Anstieg des Erdölpreises heute wesentlich geringere Auswirkungen als in den 1970er Jahren“. Grund für eine Entwarnung ist das aber nicht: „Auch wenn es kurzfristig hoffentlich nicht zu einem Flächenbrand kommen sollte, werden wohl vom Nahen Osten in den kommenden Jahren erhöhte Risiken für die Weltwirtschaft ausgehen, die man nicht unterschätzen sollte“, sagte DIW-Experte Baldi. „Dies dürfte etwa die Schwankungen bei den Energiepreisen verstärken.“

Iran und die Straße von Hormus mit angrenzender Ländern (Foto: dpa-infografik GmbH)